Unfrei frei

gaithGhaith A. ist 17 Jahre alt. Er flüchtete vor einem Monat aus seiner Heimat Deir ez-Zor. In der ostsyrischen Stadt hat sich die Terrorband «Islamischer Staat» festgekrallt. Ghaith floh alleine, ohne Eltern. Schlepper führten ihn im Schlauchboot über die Ägäis. Er schaffte es über die Balkanroute nach Deutschland, kam mit nichts in München an. Nun gilt er als «unbegleiteter Flüchtling», ist in der Obhut des städtischen Jugendamtes von München.

Am Mittwoch hatte er Glück. Er durfte zwei Stunden mit Bayern München trainieren. Ghaith, vor einem Monat noch in Todesangst, kickte einen Ball mit Star-Stürmer Thomas Müller.

Nach dem Training fragte ich ihn, ob er mir ein Interview gewähren würde. «Sicher, das mache ich sofort», sagte Ghaith in perfektem Englisch. Gerne hätte er erzählt, was ihm in Syrien und auf der Flucht widerfahren ist, was ihm das Training mit Bayern bedeutet. Zumal es gerade traumatisierten Menschen hilft, wenn sie darüber reden können. Wenn ihre Geschichte als so wichtig gilt, sie in der Öffentlichkeit zu erzählen.

Das passte einer städtischen Beamtin nicht. Tanja Al-Mehiawi, in München zuständig für unbegleitete Flüchtlinge, zog Ghaith vom Mikrofon weg bevor er ein Wort sagen konnte. Sie nahm ihn zur Seite – und machte ihm Angst. Sagte, es sei gefährlich für ihn, mit der Presse zu reden. Was, wenn ein Schlepper das Gespräch sehen würde?

Ghaith, vorher noch strahlend, zog wortlos davon. Nach dem Gespräch mit der Beamtin sah er den Reporter als Gefahr. «Sie brauchen eine Bewilligung der Eltern, um mit Minderjährigen zu reden», sagte mir Al-Mehiawi. Da die Eltern von Ghaith nicht da seien, müsse das die Stadt tun. Und das könne sie nicht. «Wir müssen die Jugendlichen schützen.»

Juristisch hat Al-Mehiawi zweifelsohne Recht. Die Szene in München aber ist grotesk: Die Beamtin einer Demokratie in Europa flösst einem Flüchtling Angst vor der Presse ein. Dabei floh Ghaith vor einem Diktator und dem Horror des «Islamischen Staates», aus einem Land ohne freie Presse.

Auf der Flucht erhielt Ghaith keinen Schutz von jenen Regierungen, die ihn jetzt vor der Presse schützen wollen, ihm das Reden verbieten. Ghaith war Schleppern ausgeliefert, zahlte Tausende von Euros für die Überfahrt von der Türkei nach Griechenland. Dabei kostet ein Flugticket von Izmir nach Berlin weniger als hundert Euro.

Jetzt ist er im System der deutschen Demokratie angelangt. Frei ist aber ist er dann, wenn er reden und schweigen darf, wann es ihm beliebt.

Foto: Pascal Mora