Peer Steinbrück im Bürogebäude am Pariser Platz in Berlin, wo er heute arbeitet.

“Manche dieser Herren haben offenbar den Knall nicht gehört”

Einst wollte er die Kavallerie gegen das Bankgeheimnis ausreiten. Nun kritisiert der ehemalige deutsche Finanzminister Peer Steinbrück den Schweizer Bundesrat, übt Selbstkritik – und zweifelt an den Chancen von Parteigenosse Martin Schulz.

Peter Hossli (Text) Maria Schiffer (Fotos) 13.05.2017 Blick

Peer Steinbrück im Bürogebäude am Pariser Platz in Berlin, wo er heute arbeitet.

Er war 2013 Kanzlerkandidat der SPD, drohte als Finanzminister Deutschlands der Schweiz mit der Kavallerie. Nun schreitet Peer Steinbrück (70) durch sein geräumiges Büro am Pariser Platz in Berlin. Ein grosser, stattlicher Mann. Durchs Fenster sieht er Touristen, die sich beim Brandenburger Tor ablichten lassen. Daneben steht das Max Liebermann Haus. «Maler Liebermann sah, wie die Nazis durch das Brandenburger Tor zogen», sagt Steinbrück. «Darauf hat er den berühmten Spruch geprägt, ‹ich kann gar nicht so viel fressen wie ich kotzen möchte›.» Daran denke er oft. Berlin sei «zu Stein gewordene Geschichte.»

Herr Steinbrück, haben Sie uns Schweizer unterschätzt?
Peer Steinbrück: Nein, nie. Mir sind das Selbstbewusstsein und die vielen Tugenden der Schweizer bewusst. Gegen Heucheleien habe ich jedoch immer das Wort erhoben.

Sie glaubten, das Bankgeheimnis mit der Kavallerie bodigen zu können. Dabei liess der Schweizer Geheimdienst die deutschen Finanzbehörden mit Spionen aushorchen.
Aber doch sehr dilettantisch! Jenseits jeder Ironie: Das ist schon ein ziemliches Ding, was sich der Schweizer Geheimdienst da leistet. Manche dieser Herren haben offenbar den Knall nicht gehört. Da setzt sich endlich die Erkenntnis in der Schweiz durch, dass Schwarzgeld als Geschäftsmodell nun wirklich obsolet ist. Was denkt sich so ein Geheimdienstchef dabei? Er sagte, geheimdienstliche Tätigkeiten seien kein «Kuschelzug» und hält die Beihilfe zur Steuerhinterziehung offenbar für völlig in Ordnung. Da muss ich sagen: Das ist eine der dämlichsten Bemerkungen, die ich von einem Geheimdienstmann je gehört habe.

Die Schweiz – so lautet der Verdacht – soll ihren besten Freund ausspioniert haben. Tut man das?
Freundschaften und gute Beziehungen müssen gegebenenfalls intellektuelle und verhaltensbezogene Verirrungen aushalten. Der Spion wird das deutsch-schweizerische Verhältnis nicht nachhaltig schädigen. Aber es ist ein Indiz, dass mindestens eine Schweizer Behörde – mit Wissen ihrer Regierung – nicht auf der Höhe der Zeit ist.

Spionieren nicht alle Staaten ihre Freunde aus? Dumm nur, wer sich dabei erwischen lässt.
Hier ist aber eine höchst problematische Geisteshaltung erkennbar: Mindestens ein Teil der offiziellen Schweiz glaubt, sie müsste sich dagegen wehren, dass andere Länder sich ihrerseits gegen vorsätzliche Einladung zum Steuerbetrug und Verletzungen ihrer Steuergesetze wehren. Die Banken sind da längst weiter: Credit Suisse und UBS wissen genau, dass sie aus der Schmuddel-Ecke herauskommen und ihr Geschäftsmodell im Sinne einer Weissgeldstrategie ändern müssen.

Die Schweiz wehrte sich für ihre Gesetze!
Was ich nicht verstehe: Das Bankgeheimnis ist doch gefallen und die Schweiz hat das Abkommen über den automatischen Informationsaustausch unterzeichnet.

Von seinem Zimmer aus sieht Peer Steinbrück das Brandenburger Tor.

Der deutsche Staat kaufte gestohlene Bank-CDs, die Schweiz schickt Spione: eine verständliche Retourkutsche.
Diese Haltung ist mir bewusst. Die Schweiz verwechselt aber Ursache und Wirkung. Schweizer Banken haben vorsätzlich zur Verletzung deutscher Steuergesetze eingeladen, sie haben Beihilfe dazu geleistet …

… jetzt werden Sie richtig leidenschaftlich …
… und zwar über Jahre, und dies in Fortsetzung anderer Machenschaften wie etwa der Goldwäsche zugunsten der Nazis.

In keinem anderen Land haben die Banken ihre Vergangenheit so gründlich aufgearbeitet wie in der Schweiz!
Dem stimme ich sogar zu. Die Schweizer Banken haben früher als der Schweizer Nachrichtendienst gemerkt, dass man diese Strategie nicht fortsetzen kann.

Der Schweizer Aussenminister Didier Burkhalter sagt: Was damals zwischen der Schweiz und Deutschland lief, müsse man jetzt vergessen. Ist «tempi passati» eine kluge Strategie?
Es gibt bei uns den etwas flapsigen Satz: Ich bin nicht nachtragend, aber ich vergesse auch nichts. Hat die Schweizer Regierung – der Bundesrat war ja informiert – eine solche Aktivität des NDB gebilligt, hat sie offenbar noch nicht genug gelernt.

Gibt es noch weitere Spione?
Davon weiss ich nichts. Es ist nach wie vor zweifelhaft, ob der für den Schweizer Nachrichtendienst tätige Daniel M. wirklich einen Schläfer in der deutschen Steuerfahndung platziert hat. Es scheint mir ein überschaubares Problem zu sein.

Das Bankgeheimnis ist weg. Und doch scheinen die einst ausgezeichneten Beziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland nur noch gut zu sein.
Jetzt braucht es neues Vertrauen. Aber solche nachrichtendienstlichen Tätigkeiten sind nicht gerade vertrauensbildend.

Sie selbst haben zum getrübten Verhältnis beigetragen. War es ein Fehler, der Schweiz mit der Kavallerie zu drohen?
Nein, ich stehe dazu. Zuvor hatten wir uns mit diplomatischen Formulierungen eine Leisetreterei über ein kriminelles Vorgehen angewöhnt. Geändert hatte sich darauf nichts.

Aus dem Mund eines Deutschen wirkte Ihre Drohung doch sehr befremdlich.
Ich weiss, das hat die Schweizer Befindlichkeit gestört, es wurde als deutsches Rabaukentum verstanden. Mir ging es einzig darum, den Steuerbetrug als das zu klassifizieren, was er ist: kriminell und nicht etwa eine Verletzung der Schweizer Souveränität, sondern deutscher Steuergesetze. Jene, die sich daran beteiligten, waren kriminell, indem sie Beihilfe leisteten. Klarmachen konnte man das nicht mit zurückhaltenden, tänzelnden, um das Problem herumkreisenden Formulierungen.

Sie mussten die Peitsche auspacken?
Es brauchte ein Bild, das aufschreckte. Übrigens: ich habe nur über die Kavallerie gesprochen. Die Amerikaner haben sie ausreiten lassen. Das Schweizer Bankgeheimnis ist nicht etwa wegen Herrn Steinbrück gefallen, sondern wegen eines klaren Ultimatums des US-Justizministeriums.

Der ehemalige deutsche Finanzminister Peer Steinbrück arbeitet heute als Berater einer Bank.

Heute beraten Sie die international tätige Bank ING-DiBa. Ist es nicht sonderbar, wenn Europas schärfster Banken-Kritiker jetzt bei einer Bank sein Geld verdient?
Ich bin bei dieser Bank, weil sie nie in dubiose Geschäfte verwickelt war. Eine wettbewerbsfähige Bankenlandschaft ist zwingend notwendig, gerade in Deutschland mit einer sehr starken Realwirtschaft. Wir brauchen funktionierende Finanzmärkte mit wettbewerbsfähigen und soliden Banken. Die müssen allerdings einem gewissen Ethos folgen.

Dann gibt es gute und böse Banken und Banker?
Sogar die grösste in Deutschland ansässige Bank …

… die Deutsche Bank …
… ist ja in teilweise zumindest dubiose Geschäfte verwickelt gewesen.

Wie erklären Sie sich das?
Sehr ehrenwerte Banker haben den Überblick und die Kontrolle verloren. Unter dem Renditedruck liessen sie augenzwinkernd Geschäfte zu, die sich als Bumerang herausstellten.

Sie standen für Honorare in der Kritik, die Ihnen Banken für Reden zahlten. Ähnlich ging es Hillary Clinton. Sie beide verloren Wahlen. Warum dürfen Ex-Politiker nicht viel Geld verdienen?
Für diese Frage bin ich der falsche Adressat. Ich kann sie nicht beantworten. Als Staatsdiener werden Politiker anders beurteilt als Fussballspieler, Künstler und Schauspieler, die ganz andere Honorare nehmen.

Was bedeutet Ihnen Geld?
Es ist nützlich, es erleichtert die Lebensführung. Mehr nicht. Ich lebe nicht auf grossem Fuss.

Sie beraten die ING-DiBa hinsichtlich der Entwicklung der europäischen Finanzmärkte. Bringt die Wahl von Emmanuel Macron in Frankreich endlich die nötige Stabilität?
In jedem Fall bringt sie mehr Stabilität als wenn das Gegenteil eingetreten und Frau Le Pen gewählt worden wäre. Es ist schon erstaunlich, mit welcher pro-europäischen Ansage Macron diese Wahlen gewonnen hat. Nun ist zu wünschen, dass nach der Bundestagswahl Deutschland und Frankreich eine neue Initiativkraft entwickeln.

Wird durch Macrons Wahl die EU nicht einfach weiter durchgeseucht?
Deshalb müssen Deutschland und Frankreich die anderen jetzt mitnehmen. Europa muss nicht vertieft und erweitert werden. Es gilt, Europa zu verbessern und den Gewinn europäischer Zusammenarbeit für seine Bürger zu belegen.

Frankreich steckt in einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Was passiert, wenn Macron scheitert?
«Ich bin ins Gelingen verliebt», hat der deutsche Philosoph Ernst Bloch gesagt. Ich beschäftige mich nicht mit dem Scheitern.

Stabil ist die Sache ja nicht. Die Briten verlassen die EU. Ein Drittel der Franzosen wählte eine rechtspopulistische EU-Gegnerin.
Dass Le Pen viele Millionen Stimmen erhalten hat, ist die Schattenseite dieser Wahl. Die Mehrheit der Europäer will in der EU bleiben. Aber ihr Zustand ist in der Tat fragil.

Deutschland profitiert wie kein anderes Land von der EU. Wie brenzlig ist die deutsche Situation?
Deutschland geht es immer nur so gut, wie es unseren Nachbarn geht. Das muss man dem deutschen Wahlvolk vermitteln. Und man muss sagen: Das wird uns etwas kosten.

«Stein gewordene Geschichte»: Neben dem Bürokomplex von Peer Steinbrück steht das Brandenburger Tor on Berlin.

Viele Deutsche klagen über Nettobeiträge in Milliardenhöhe, die von Berlin nach Brüssel fliessen.
Das ist gut investiertes Geld. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir in den kommenden Jahren noch mehr aufwenden müssen, um Europa zusammenzuhalten.

Deutschland wählt dieses Jahr. Wie verfolgen Sie diese Wahlen?
Ich habe mich von der politischen Bühne zurückgezogen, mein Mandat im Bundestag abgegeben. Während des Wahlkampfs werde ich nicht von der Seitenlinie auf den Platz rufen. Das mögen die Spieler nicht. Deshalb habe ich mir da eine ziemliche Zurückhaltung auferlegt.

Konkret werden Sie sich kaum äussern, also versuche ich, auf Eiern zu tanzen …
… was Ihr Job ist …

… was passiert mit Deutschland nach Merkel?
Na ja, wenn Sie Frau Merkel das fragen, dann ist ihre Zeit ja noch nicht gekommen mit dieser Bundestagswahl. Die SPD wird sagen, wir wollen Herrn Schulz als Kanzler haben. Greife ich aber Ihr Szenario auf, bin ich mir sicher, dass Frau Merkel – sollte sie gewinnen – noch eine halbe Legislaturperiode Kanzlerin sein wird.

Wen sehen Sie als möglichen Kanzler oder als Kanzlerin nach ihr?
Keine Ahnung. Hätten wir vor einem Jahr darüber geredet, wären nur wenige auf die Idee gekommen, Martin Schulz könnte Spitzenmann der SPD sein.

Nach den Landtagswahlen im Saarland und in Schleswig-Holstein sieht es nicht nach einer Änderung in Berlin aus. Ist Deutschland zu satt für einen Wechsel?
Die Wechsel-Stimmung ist heute stärker als vor vier Jahren, als ich Spitzenkandidat war. Damals – wie es ein Kölner Sozialwissenschaftler sagte – wollte sich der Grossteil der deutschen Wählerschaft bequem in einer permanenten Gegenwart einrichten. Frau Merkel galt als Mutter über alle deutschen Porzellankisten. Das hat sich geändert. Es gibt Ermüdungserscheinungen, verbunden mit der Anerkennung, dass sie das deutsche Schiff gut gesegelt hat durch die Widrigkeiten der letzten Jahre. Ob das für einen Wechsel reicht, weiss keiner.

Donald Trump gewann in den USA, weil er über die Nöte der Globalisierungsverlierer sprach. Worüber müsste ein Kanzlerkandidat reden, um einen Wechsel in Deutschland zu schaffen?
Zwar gehört das Thema der sozialen Gerechtigkeit zum Gen-Code der SPD. Aber das reicht nicht. Die SPD muss zusätzlich Zukunftsoptionen liefern. Die Menschen müssen wissen: Wo will die Partei mit dieser Gesellschaft hin.

Macht die SPD das deutlich genug?
Meine Befürchtung ist, dass die SPD den Akzent zu einseitig auf die soziale Gerechtigkeit setzt und vergisst, dass die Wähler Antworten haben wollen zur Sicherung des Wohlstands, zum Bildungssystem, zur Infrastruktur und zur inneren wie äusseren Sicherheit. Insbesondere für den grossen Teil der Bevölkerung, die nicht Opfer sind, die mit ihren Steuern und Abgaben Staat und Gesellschaft tragen.

Peter Hossli (r.) im Gespräch mit Peer Steinbrück

Dann versucht die SPD derzeit zu sehr, das Negative abzuholen?
Sie glaubt in Teilen, mit der Addition von Minderheiteninteressen eine Mehrheit gewinnen zu können. Das ist in meinen Augen ein Denkfehler.

Waren Sie als Kanzlerkandidat Ihrer Zeit voraus?
Das kann ich selber nicht beurteilen. Sonst wird das ja zu einem Eitelkeits-Trip. Aber das politische Umfeld von 2017 ist für meine Art Wahlkampf zu machen vermutlich günstiger als es 2013 war.

Sie spielten damals mit Ironie, zeigten sogar den Stinkefinger, begannen rotzfrech, griffen die Presse an – und verloren die Wahlen. Drei Jahre später kam Donald Trump ins Weisse Haus: mit einer sehr lauten Taktik.
Ich hoffe sehr, dass ich jetzt nicht mit Trump verglichen werde. Das wäre mir zuwider. Aber ich war wahrscheinlich der falsche Kandidat für das zeitliche Umfeld von 2013. Ich verlor meine Eigenständigkeit, eingebettet in ein Wahlprogramm der SPD, das in den Augen zu vieler Wähler nicht zu mir passte.

Es schien, der eigentlich schlagfertige Steinbrück war nicht mehr sich selbst. Wer nicht sich selbst ist, gewinnt nicht.
Da ist was dran. Ich habe ja gesagt, Kandidat, Partei und Programm müssten übereinstimmen. Das schleift natürlich den Kandidaten ein bisschen ab. Vermutlich erschien ich etwas verfremdet im Wahlkampf 2013 gegenüber dem, was ich zuvor war.

Haben Sie sich selbst in ein Korsett gezwängt oder wurden Sie reingedrängt?
Es gehören immer zwei dazu. Bei Goethe heisst es: «Halb zog sie ihn, halb sank er hin.»

Später bedauerten Sie Ihren Stinkefinger. Bedauern Sie ihn noch heute?
Ja, das war ein Fehler.

Warum denn?
Weil ich dadurch unbeherrscht wirkte. Einem Mann, der sich zu einer solchen Geste hinreissen lässt, kann man nicht das Ruder der Staatsverantwortung übergeben. Das dachten vor allem ältere Wähler.

Im Vergleich zu Trump wirkt der Stinkefinger fast läppisch. Er sagte, er könne jemanden erschiessen und würde trotzdem gewählt. Was ist da passiert?
Donald Trump ist der personifizierte Tabubruch. Ich will um Himmels willen nicht in die Nähe dieses Mannes geraten. Der Narzissmus und die Inkompetenz, die dieser Mann ausstrahlt, sind ziemlich befremdlich.

Ohne aggressiv zu twittern, scheint ein Politiker heute aber keine Wahlchancen mehr zu haben.
Man kann sich als Politiker dabei lächerlich machen oder selber herabwürdigen. Gefährlich ist die Beschleunigung von Prozessen und die Kurzlebigkeit von Nachrichten. Politiker passen sich dem an – und merken nicht, dass sie selbst zur Banalisierung von Politik beitragen. Dann wundern sie sich, dass weite Teil der Wählerschaft entpolitisiert sind.

Lässt sich das Aufgedonnerte der Politik nochmals zurückdrehen?
Mein Wunsch: ja. Meine Befürchtung: das ist nicht mehr reversibel. Wir haben es mit einer völligen Auflösung von Zeit- und Raumgrenzen zu tun. Egal, wo sich etwas ereignet: es wird einem das Mikrofon hingehalten, und man soll sofort Stellung nehmen.

Ist die Niederlage das Schlimmste, was ein Politiker erleben kann?
Nein. Ein Politiker muss die eine oder andere Niederlage erleben, um daran zu wachsen. Und daraus zu lernen.

Sie haben in Nordrhein-Westfalen und auf Bundesebene verloren. Was haben Sie gelernt?
Beide Niederlagen habe ich vor mir erklären können, mit eigenen Fehlern, aber auch Umständen, die nicht günstig für mich waren.

Und für Sie selbst?
Dass es ein Leben nach und neben der Politik gibt. Und dass ich nicht süchtig danach bin.

Sie sind jung, wirken vital. Können Sie sich eine Rückkehr vorstellen?
Ausgeschlossen. Ich bin siebzig!

Adenauer wurde mit 73 noch Kanzler.
Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn ein so alter Hirsch nochmals auf die Waldlichtung galoppiert.

Sie sagten im «Spiegel», Sie hätten bereits neun Monate vor der Bundestagswahl gewusst, dass Sie verlieren würden. Wie hielten Sie die Strapazen eines Wahlkampfs aus?
Mit Pflicht und Verantwortung für andere Menschen und die eigene Partei, und aus Respekt vor demokratischem Wettbewerb.

Sie opferten sich für andere auf?
Das klingt mir zu selbstlos. Ich hatte eine Verantwortung für all jene Menschen, die sich für mich engagierten, für meine Partei. Zudem ging es mir darum, einigermassen in «bella figura» durch den Wahlkampf zu kommen.

Wie schafft man das?
Politiker sind darin trainiert. Wie Boxer. Liegst du im Ring, bist du bis sieben angezählt, dann musst du wieder aufstehen. Das gehört dazu. Wer das nicht möchte, darf nicht in die Politik.

Kann ein so politischer Mensch wie Sie aufhören, ein Politiker zu ein?
Ich höre ja nicht damit auf, politisch interessiert zu sein. Aber ich bin kein aktiver Politiker mehr. Ein Politiker sollte den Zeitpunkt seines Abschieds aus der aktiven Tätigkeit sehr überlegt bestimmen. Nichts wäre schlimmer, als in der politischen Manege wie ein altes Zirkuspferd wahrgenommen zu werden.