Warum wir weg schauen

In Afrika ist das Leid so gross wie schon lange nicht mehr. Doch es interessiert kaum jemanden. Woran liegt das eigentlich?

Von Peter Hossli

Trump. Erdogan. Stockholm. Syrien. Und dann dieser Jegge. Wer soll sich in einer solchen Woche noch mit Afrika befassen?

Dort sind zwanzig Millionen Menschen vom Hungertod bedroht. Es herrschen Krieg und Dürre.

«Interessiert das überhaupt jemanden?», fragt der Kollege. Eine berechtigte Frage.

Zwanzig Millionen? Das sind fast dreimal so viele Menschen, wie in der Schweiz leben. Und doch kümmern sie uns kaum.

Viel weniger als in den 1980er-Jahren, als in Äthiopien eine Hungersnot herrschte und Bob Geldof (65) mit der «We Are the World»-Hymne aufrüttelte.

Die ganze Welt blickte damals nach Addis Abeba.

Heute tut sie es nicht mehr, weil wir abgestumpft sind. Weil die Medien heute neue Krisen im Stakkato abhandeln.

Uns packt nur noch ihr Ausbruch, nicht mehr deren Entwicklung. Zumal wir glauben, die Krisen seien ohnehin nicht zu lösen.

Also schauen wir weg.

Zudem ist es einfacher, über die Launen von Donald Trump (70) oder Recep Tayyip Erdogan (63) zu fachsimpeln, als sich mit hungernden Kindern in Afrika zu befassen.

Zumal wir dann ja etwas tun müssten.

Ihre leeren Augen lassen uns nicht los

Uns plagen keine existenziellen Sorgen. Und doch fürchten wir um unsere Existenz. Deshalb verdrängen wir und lassen zu, dass wir abstumpfen. «Es ist schrecklich, was ich jetzt sage», erklärte unlängst Bundesrat Didier Burkhalter (56): «Daran hat man sich gewöhnt.» Daran, dass die Welt offenbar nicht besser wird.

Distanz bestimmt unser Mitgefühl, geografische wie kulturelle. Vom Schicksal schwarzer Kinder in Somaliland ist die Schweiz kaum betroffen. Es fällt leicht wegzuschauen. Bis man selbst vor ausgemergelten schwarzen Kindern steht. Ihre leeren Augen lassen uns nicht los.

Zwei Dinge haben sich verändert seit Geldof: Weil die Berliner Mauer weg ist, steht die Welt allen offen; und Informationen drehen rasanter denn je.

Was heute passiert, interessiert morgen kaum noch. Die Aufmerksamkeitsspanne hat sich auf Tweets reduziert. Journalisten, Publikum, Politiker: Alle brauchen neue Kicks im Sekundentakt.

Wer will sich da noch auf eine humanitäre Krise einlassen, die sich schleichend entfaltet?

Als die Welt noch entweder amerikanisch oder sowjetisch war, wusste jeder, wo er hingehört. Kleine Konflikte hatten sich dem einen grossen unterzuordnen.

Seit Ende des Kalten Kriegs sind schwelende Konflikte zu heissen Kriegen geworden. Sie bringen Chaos, Unruhe und Leid.

Das überfordert. Also schauen wir weg. Wären wir nicht stumpf, müssten wir aus Barmherzigkeit nicht mehr einfach nur Geld spenden. Sondern nach Afrika schauen.

Wir tun es nicht. Aus Angst, es würde uns um unsere Behaglichkeit bringen.