Warten auf die Demokratie

Erdogan-Referendum Tausende Türken standen gestern in Zürich an, um abzustimmen. Viele ohne Vertrauen in eine faire Abstimmung.

Von Peter Hossli und Ramona De Cesaris

Was für ein Andrang! Genau 3215 Türken stimmten gestern beim Generalkonsulat an der Weinbergstrasse in Zürich über die umstrittene Verfassungreform ab. Im Quartier parkierten Busse mit französischen Nummernschildern, in Autos aus dem Thurgau, aus Basel und aus dem Aargau reisten Gruppen an. Sogar aus dem Tessin kamen Türkinnen und Türken an die Urne.

Das türkische Generalkonsulat in Zürich ist neben der Botschaft in Bern und dem Konsulat in Genf der einzige Ort, an dem sie abstimmen können. Wer mitmachen wollte, musste geduldig sein. Die Wartezeit betrug um die drei Stunden.

Der türkisch-schweizerische Doppelbürger Hakan Parlak (42) beobachtet die Wahlen für die Opposition. Er schätzt: «So viele Personen wie am Sonntag gab es noch nie.» Der grösste Andrang steht laut dem Beobachter aber noch bevor. Am nächsten Sonntag, dem letzten Abstimmungstag. Parlak betont: «Die Abstimmung in der Schweiz verläuft fair und neutral.» Der Wahlbeobachter, der selbst mit Nein stimmte, sagt: «Es wird sehr darauf geachtet, dass niemand beeinflusst wird. Obwohl die Beamten der Staatspartei angehören.»

Gemäss Parlak wird «das Wahlgesetz strikte eingehalten». Trotzdem ist die Stimmung unter Erdogan-Anhängern angespannt. Ein Mann im Anzug reklamiert: «Ihr berichtet ja sowieso nicht von den Befürwortern der Reform.» Eine Einladung zu einem Interview lehnt er aber ab: «Ich komme ja doch nicht in die Zeitung.» Eine Erdogan-Anhängerin meldet sich zuerst für ein Interview, bricht dieses aber ab, als ein Bekannter interveniert.

Umso lauter melden sich die Erdogan-Kritiker zu Wort. Einige sprechen sogar von Wahlmanipulation. Sie wurden laut eigenen Angaben daran gehindert, ihre Stimme abzugeben – überprüfen lassen sich die Vorwürfe nicht. Demir aus Pratteln BL wartete mehrere Stunden und sei am Schluss weggeschickt worden: «Ich komme, um abzustimmen, und plötzlich kann ich das nicht mehr! Sie sagten, ich müsse dafür in die Türkei reisen – die haben das doch extra gemacht!»

Yusuf Caliskan aus Basel sieht das ähnlich: «Ich weiss von 30 Leuten, die immer hier abgestimmt haben. Auf einmal geht das nicht mehr, weil die Namen nicht gefunden werden. Dafür muss es einen Grund geben.»

Trotz der mitunter aufgeheizten Stimmung vor dem Konsulat wagt Wahlbeobachter Parlak eine Prognose für die Schweiz: «60 Prozent sagen Nein.» Begründung: «In der Schweiz hat es viele Türken mit kurdischem Hintergrund, die stimmen mehrheitlich mit Nein.»