Unerbittlich

An einem Herbsttag in New York posierte Autor Peter Hossli in New York neben drei Männern, die er bisher nicht kannte. Es sind Mega-Super-Überstars. Die skurrile Begegnung zwischen den harten Rockern von Metallica und einem Reporter, der keine Ahnung hat von Metal-Rock.

Von Peter Hossli

Plötzlich stehen drei ältere Männer -neben mir. Zwei mit Haaren, einer versteckt die Glatze unter dem Käppi. Gemeinsam lachen wir in eine Kamera. Der grosse Kerl legt mir die Hand auf die rechte Schulter. Es blitzt. Einmal, zweimal, dreimal. Fertig. Sie reichen mir ihre warmen Hände. «Cool, man», sagt der Kleinste der drei auf Englisch. Er hat einen nordischen Akzent.

Sie schieben mich nach links weiter, ein italienischer Reporter steht bereits da. Erneut hält der grosse Kerl ein Quartett zusammen. Es blitzt. Einmal, zweimal, dreimal. «Cool, man» – in nordischem Akzent.

Wer diese Männer sind, wie sie heissen, wie sie aussehen, das wusste ich bis kurz vor diesem Treffen nicht. Denke: Warum bloss wollen die sich mit mir fotografieren lassen?

Weil es Mega-Super-Überstars sind.

Die Mitglieder der amerikanischen Thrash–Metal-Band Metallica. Die haben eine neue Platte, und das soll weltweit zum Ereignis werden. Einst spielten sie in Moskau vor fast zwei Millionen Fans, erzählt der Kollege am Pult nebenan. Ein bisschen eifersüchtig scheint er, dass ich sie treffen würde, die harten – bestimmt: härtesten – Rocker aus Amerika.

Es war «out of this world», ausserirdisch. Über den US-Wahlkampf habe ich im September berichtet, das erste TV-Duell zwischen Donald Trump und Hillary Clinton besucht. Es fand in New York statt. Und dort luden Metallica am Tag danach zum Musikhören. Da ich ohnehin in New York sei, bei Ringier keine unnötigen Reisespesen entstehen sollten, sandte mich der Metallica-Experte der Redaktion zum «Listening», zum Plattenhören. Nicht irgendwohin, sondern in die legendären Electric Lady Studios in Manhattan. Wo einst Jimi Hendrix (†27) rockte.

Es ist Mittag, vor dem Eingang stehen vielleicht fünfzig Musik-Reporter, alle aus Europa angereist, einige davon tragen -Metallica-T-Shirts. Sind es Fans? Oder Journalisten? Oder vermischt sich das? Mit Sakko und weissem Hemd tanze ich aus der Reihe.

Ein enger Gang führt hinunter ins Studio, alle sind nett. «Sie werden gefilmt, wir verwenden die Aufnahmen zu Werbezwecken», heisst es auf einem Schild. Journalisten, die über Musik schreiben, sind eingebunden als Statisten in einem Werbespot für die Musik.

Fans, Statist und potenzieller Dieb

Artig tauschen am Eingang alle ihre technischen Geräte gegen Notizbücher und Kugelschreiber ein. Niemand soll das Metallica-Album mitschneiden und verbreiten. Heisst: Journalisten sind hier Fans, Statisten für Werbespots – und gelten potenziell als Diebe.

Dafür gibt es Gratisbier, vier verschie-dene Sorten, dazu Wasser, aber nichts zu -essen. Plötzlich: Applaus. Gefolgt vom nordischen Akzent. «Schön seid ihr hier», grüsst Lars Ulrich (52), Däne. Der Metallica-Gründer gilt als härtester Schlagzeuger der Welt. Er hält eine Dose Perrier in der Hand, im Mundwinkel steckt ein Zahnstocher. Er fragt jeden, woher er kommt. Italien. Deutschland. Frankreich. Schweiz. Spanien. Ein Däne redet mit ihm Dänisch. Viel sagt Ulrich nicht. Schreibe jedes Wort auf, da ich ja darüber schreiben muss. «Das Album ist seit 14 Tagen fertig. Es ist ganz frisch. Ihr seid die Ersten, die es hören. Im letzten Moment habe ich die Reihenfolge der Songs geändert. Wir haben sie in San Francisco aufgenommen.» Das ist schon alles. Fragen stellen? Das dürfen Reporter, deren Werkzeug die Fragen sind, heute nicht.

Was soll ich da nur schreiben? Kurz befällt mich Panik. Bis lauter Sound den bösen Gedanken im Kopf weg bläst. Ulrich schiebt die CD in die Stereoanlage. Sofort hämmern, heulen, peitschen die Boxen. Roh ist die Musik, heavy und hart, als würde sie einen über Pflastersteine zerren.

Über den Tod hämmern sie, über Rache und das Ende der Welt. Und über Motten, die in Flammen aufgehen. Unerbittlich, halt. Aber ehrlich: Ich verstehe kein Wort. Nicht nur, weil ich müde bin von zehn Tagen Reportage-Tour durch die USA. Sondern weil die Worte eher geschrien als gesungen sind. Und doch: Irgendwie höre ich gerne zu. Der laute, raue, atemlose Sound beruhigt.

Nach knapp 80 Minuten verstummt das letzte Riff. Drummer Ulrich, Frontmann James Hetfield (53) und Leadgitarrist Kirk Hammett (53) betreten den Raum, mischen sich unter die Journalisten, trinken zahm Mineralwasser, posieren. Den Fotografen stellt Metallica. Am nächsten Tag erhält jeder Reporter einen Dropbox-Link. Von dort lassen sich die Bilder runterladen.

Vorerst muss ich schweigen. Bis am 1. November gilt eine Sperrfrist für «Hardwired … to Self-Destruct» – so heisst die zehnte Studioplatte der Band, die erste seit acht Jahren, weiss Wikipedia. «Etwas dünn» sei der Text geworden, rüffelt der Redaktor, der Spesen sparen wollte und deshalb mich schickte. Zu Recht. Ich hatte halt nicht mehr.

«Wow! Du warst bei Metallica», freut sich ein Layouter. «Kauf ich!» Aufgabe erfüllt.