Macht macht an

Corine Mauch (56) regiert als erste Frau die grösste Gemeinde der Schweiz. Die Zürcher Stadtpräsidentin über uneinsichtige Banker, vorbildliche Frauen und ihren Aargauer Dialekt.

Interview: Peter Hossli und Gabi Schwegler Fotos: Hannes Schmid

corine_mauchFrau Mauch, wie viele Kerzen haben Sie zu Hause?
Corine Mauch: Zwei Schachteln.

Reicht das? In Zürich fällt häufig der Strom aus.
Es würde recht lange reichen. Es sind grosse Schachteln mit Kerzen in vier verschiedenen Farben, die ich gerne kombiniere. Trotzdem hoffe ich, dass der Strom in Zukunft nicht mehr so häufig ausfällt wie vor einigen Wochen.

Digitale Firmen, die nach Zürich kommen, werden sich fragen: Ist die Infrastruktur dieser Stadt stark genug?
Unsere Infrastruktur ist in Gesprächen mit Unternehmen stets Thema. Wir haben ein hervorragendes ÖV-Angebot, Glasfaserleitungen, Gasanschlüsse. Dass diese Infrastruktur sehr gut unterhalten ist, ist wichtig für die Standort- und Lebensqualität der Stadt.

Wie kann Zürich attraktiv bleiben?
Wir müssen weiter investieren. Nicht nur in die Infrastruktur, sondern in den sozialen Zusammenhalt, die Integration, in das vielfältige Kulturangebot, in die Bildung. Internationale Rankings und Bevölkerungsbefragungen bestätigen die hohe Lebensqualität der Stadt.

Die Finanzwirtschaft trägt zur Attraktivität Zürichs bei. Aber Ihre Partei zwängt die Branche seit Jahren in ein Korsett …
… inzwischen tun das nicht mehr meine Parteifreunde, sondern internationale Organisationen. Die SP war einfach früher.

Als Stadtpräsidentin sind Sie auf Steuereinnahmen aus der Finanzbranche angewiesen. Wie schaffen Sie diesen Spagat?
Es ist kein Spagat mehr. Ich wurde 2009 in dieses Amt gewählt, just, als die Finanzkrise ausgebrochen war. Bei der ersten Sitzung mit den Spitzen einiger Banken erschrak ich, wie uneinsichtig viele waren. Seither gab es einen Bewusstseinswandel. Heute stellt in der Branche niemand mehr in Abrede, dass es international akzeptierte Geschäftsmodelle braucht.

Ist Ihnen die Stadt wichtiger als Ihre Partei?
Als Exekutivpolitikerin bin ich Mitglied eines Kollegiums von zwei Stadträtinnen und sieben Stadträten, das ich präsidiere. In dieser Funktion steht das Parteibüchlein nicht im Vordergrund. Wir sind vom Volk gewählt. Ich kann mir kein Kabinett zusammenstellen, sondern wir arbeiten gemeinsam in einer zusammengewürfelten Truppe. In der Exekutive müssen wir uns austauschen, argumentieren, unterschiedliche Gesichtspunkte einbringen und letztendlich gemeinsam die besten Lösungen finden. Mir gefällt, dass ich in der Funktion als Stadtpräsidentin im Team führen kann.

corine_mauch3Wenn Sie mit dem CEO eines Grosskonzerns am Tisch sitzen – wer fühlt sich mächtiger?
Schwierig, da ich ja nicht weiss, wie sich mein Gegenüber fühlt. Aber sicher verdienen sie mehr. Häufig kommen sie mit der Limousine und ich mit dem Velo.

Und wer ist wirklich mächtiger?
Rein finanziell hat ein CEO mehr Macht, politisch gesehen die Stadtpräsidentin. Regierungen können wirtschaftliche Macht mit Regulierungen einschränken. Aber diese Hoheit ist immer mit einer Funktion verbunden, und diese wiederum mit einer Aufgabe. Meine Macht habe ich nicht als Corine Mauch, sondern als Stadtpräsidentin.

Hat die Macht Sie verändert?
Macht verändert immer. Sie darf mich aber nicht als Person verändern. Ich versuche, die Funktion von der Person zu trennen. Als Stadtpräsidentin bin ich verpflichtet, die Macht meiner Position wahrzunehmen, um Ziele zu erreichen. Aber es braucht das Bewusstsein, dass diese Macht nicht bis ans Lebensende bleibt.

Wie gerne haben Sie Macht?
Wenn es mir hilft, ein Ziel zu erreichen, habe ich sehr gerne Macht.

Sind Sie die mächtigste Person in der Schweiz?
Das glaube ich nicht. Wir sind als grösste Gemeinde vielen Regeln von Kantonen und Bund unterworfen. Oft sind wir nur umsetzende Instanz.

Niemand nimmt mehr Steuern ein als Sie!
Die Stadt Zürich ist tatsächlich einer der grössten öffentlichen Haushalte der Schweiz. Im Unterschied zum CEO muss ich aber politische Mehrheiten haben. Ich muss den Stadtrat überzeugen, oft das Parlament und das Volk.

Zwei Jahre nach Ihrem Amtsantritt wurde Zürichs Slogan von «Downtown Switzerland» zu «World Class. Swiss made» geändert. Weshalb diese Anpassung?
«Downtown Switzerland» hebt die Qualitäten der Stadt hervor, ist aber auch eine Aussage über die anderen. Das entspricht nicht meinem Verständnis. Wir sind die grösste Stadt und Wirtschaftsmotor der Schweiz. Das ist eine Funktion, die wir nicht nur für uns wahrnehmen, sondern mit anderen Gemeinden und Kantonen teilen.

Warum ist Zürich nicht die Hauptstadt?
Das ist historisch bedingt. Zürich wollte ja das Bundeshaus, unterlag aber Bern. Als vermeintlichen Trostpreis erhielten wir die ETH, die ich nicht mehr hergeben würde. Ohne diese Institution wäre Zürich nicht das Zürich von heute.

Zürich gilt im Rest der Schweiz als arrogant. Warum schaffen Sie es nicht, dieses Klischee loszuwerden?
Solche Klischees halten sich unglaublich hartnäckig. Vielleicht ist es die Sprache, das schnelle Denken und Laufen, das dieses Image so prägt. Für mich ist Zürich nicht arrogant, sondern offen und gastfreundlich. Wir feierten dieses Jahr 100 Jahre Dada. Die Dadaisten waren Emigrantinnen und Emigranten, die in Zürich aufgenommen wurden und die Stadt bereicherten. Mit Klischees kämpfen alle. Bern wird das Vorurteil nicht los, langsam zu sein.

corine_mauch2Sie sprechen nach vielen Jahren in Zürich immer noch Aargauer Dialekt. Wollen Sie sich vom lauten Züridütsch abgrenzen?
Mein Vater schimpft mit mir, weil ich nicht mehr so stark aargauere. Für mich sind zwei Sprachen eine Normalität, nicht Abgrenzung. Die ersten vier Jahre meines Lebens wuchs ich in den USA auf, wo wir zu Hause auch eine andere Sprache als auf der Strasse redeten.

In Zürich hält der Stapi an der Macht fest. Es gibt keine Amtszeitbeschränkung.
Ihre Formulierung stimmt nicht ganz. Das Stadtpräsidium hält nicht an der Macht fest. Es gibt einfach keine vorgegebene Beschränkung. Es ist der Stimmbevölkerung überlassen, wie lange jemand ein Amt ausübt. Wir haben andere Einschränkungen. So darf ich nicht für den Nationalrat kandidieren, anders als in der Stadt Bern.

Sie wollen noch lange Stapi sein?
Mein Vorgänger war sieben Jahre im Amt, sein Vorgänger 12 Jahre, dessen Vorgänger wurde aus dem Amt abgewählt. Die Stapis Emil Landolt und Sigi Widmer waren über 15 Jahre im Amt. Die ganz langen Amtszeiten sind nicht mehr machbar. Früher jasste der Stadtrat am Mittwochnachmittag nach der wöchentlichen Sitzung. Das ist heute unvorstellbar. Nur schon wegen der neuen Kommunikationstechnologien ist alles viel schneller geworden. Der Job zehrt mehr an den Kräften.

Gibt es eine Schweizer Stadt, die Zürich den Rang abläuft?
Ich betrachte andere Städte nicht primär als Konkurrenten. Wir tauschen uns intensiv aus im Städteverband. Gerade mit Genf pflegen wir eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit. Basel, Genf und Zürich repräsentierten an Weltausstellungen in Shanghai und Mailand gemeinsam die urbane Schweiz.

Welche internationale Stadt ist Zürichs grösste Konkurrentin?
Beim Finanzplatz ist es London. Bei der Kultur sind es im deutschsprachigen Raum vielleicht Wien, München und Berlin.

Gibt es eine Stadt, die Sie gerne regieren würden?
Züri, dänk!

Im August besuchten Sie mit den Stadtpräsidenten der zehn grössten Schweizer Städte die Manifesta in Zürich. Sie waren die einzige Frau. Warum?
Das habe ich mich auch gefragt. In Zürich bin ich die erste Frau im Stadtpräsidium. Möglicherweise gibt es jetzt in Basel und Bern einen Wechsel. Dann stünde es 3:7. Aber dieses Phänomen beschränkt sich nicht auf die Politik, sondern spiegelt sich in den Führungsetagen von Unternehmen wider.

Wie können Sie das ändern?
Indem ich mich zur Verfügung stelle für eine solche Funktion und versuche, ein Vorbild zu sein. An einem Besuchstag fragte ich ein achtjähriges Mädchen, was sie werden möchte. Sie sagte: Stadtpräsidentin! Das fand ich so super. Sie hätte kaum die gleiche Antwort gegeben, wenn ein Mann sie gefragt hätte. Wir brauchen Frauen, die sich das zutrauen und diese Aufgaben übernehmen.

Haben es junge Frauen heute einfacher in der Politik als Ihre Generation?
Meine Mutter war Politikerin und hatte es sicher viel schwerer. Als die ersten Frauen in den Nationalrat gewählt wurden, war das verstörend für die Männer. Die waren sich nicht gewohnt, dass da plötzlich Frauen in der Wandelhalle rumlaufen. Heute ist das nichts Auffälliges mehr.

Welche Bedeutung haben führende Politikerinnen wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel für junge Mädchen und Frauen?
Das ist ganz wichtig. Wenn Frauen in den höchsten Positionen sichtbar sind, ist das ermutigend für andere Frauen. Wenn die das kann, kann ich das auch. Die Nicht-Wahl von Hillary Clinton und vor allem das respektlose Frauenbild des neu gewählten Präsidenten sind hingegen ein ziemlicher Rückschlag.