Eine Frau gewinnt, die Frauen verlieren

Mit Hillary Clinton zieht wohl die erste Frau ins Weisse Haus ein. Nach dem sexistischsten Wahlkampf aller Zeiten.

Von Peter Hossli

frauenHeute wählt Amerika. Heute schreiben die USA vermutlich Geschichte. Erstmals darf eine Frau im Weissen Haus wohnen. Nicht als First Lady. Als Präsidentin.

Als mächtigster Mensch der Welt. Sie entscheidet, ob Atomwaffen eingesetzt werden. Sie kürt Bundesrichter. Sie erklärt Kriege. Sie begnadigt zu Thanksgiving einen Truthahn.

Richtig freuen mag sich in Amerika darüber keiner. Und keine. Zu hässlich war dieser Wahlkampf. Er hat dem Land zugesetzt. Nie war er sexistischer, obszöner, frauenfeindlicher. Obwohl das Land einen Schritt vorwärts wagt, ging es rückwärts.

Ein Kandidat – der Mann Donald Trump (70) – lachte Frauen aus, die ihre Regel haben. Auf einer Skala von 1 bis 10 bewertete er ihr Aussehen. Er glaubt, weil er reich und berühmt sei, könne er sich an jeder Frau sexuell bedienen.

All das widert über 40 Prozent der Amerikaner nicht etwa an. Nein, sie unterstützen es mit ihrer Stimme. Zelebrieren den Sexismus an Wahlveranstaltungen. Die stolzen und staatstragenden Republikaner kürten ihn zu ihrem Kandidaten.

Mit Hillary Clinton (69) gewinnt wohl eine Frau. Die Frauen aber verlieren.

Damit wiederholt sich die Geschichte. Vor acht Jahren zog mit Barack Obama (54) der erste Schwarze ins Weisse Haus ein. Der Sohn eines Afrikaners wurde Präsident des Landes, dessen Reichtum auf Arbeit afrikanischer Sklaven fusst. Kaum war er gewählt, brannten im Süden schwarze Kirchen. Flammte landesweit der Rassismus auf. Stiegen die Waffenkäufe. Weisse Männer glaubten, sich verteidigen zu müssen.

Jetzt fühlen sie sich erneut bedroht: von einer blitzgescheiten Frau. Weil Hillary Clinton klug und erfahren ist, trifft sie einen Nerv. «Männer fürchten sich vor ihren Fähigkeiten», sagt Princeton-Historiker Harold James (60). Unsere Gegenwart sei «zwischen Putins Macho-Gehabe und Merkels Kompetenz» polarisiert.

Wenn Männer sehen, was Frauen erreichen, fühlen sie sich unterlegen. «Männer sind zwar bereit, mit starken Frauen zu arbeiten», sagt die New Yorker Gender-Professorin Tina Campt. «Aber es ist etwas ganz anderes, wenn die Frau der Boss ist, wenn Hillary sagt, ich bin die Beste.»

Dann reagieren Männer heftig. «Hure», «Lügnerin», «Mörderin» sind noch die harmlosen Begriffe, die sich Hillary Clinton anhören muss. Die «Sperrt sie ein! Sperrt sie ein!»-Chöre bei Trumps Auftritten wirken gewalttätig. «Kann eine Frau etwas, löst das Hass aus», sagt Historiker James. Die erste Präsidentin? «Dürfte in den USA Anti-Feminismus provozieren.»

Aber warum? Weil die Frauen sich bewegen, die Männer aber stehen bleiben, wie die New Yorker Anwältin und Feministin Jill Filipovic (33) in einem Essay schreibt. Amerikanerinnen haben den Herd verlassen. Sie machen Karriere in Politik, Wirtschaft, Medien. Nebenher besorgen sie das Haus, ziehen Kinder gross, kümmern sich um alte Eltern. Männer trotzen, statt daheim mehr zu tun.

Vor Jahren schon sagte mir eine befreundete New Yorkerin: «Eigentlich kenne ich kein Paar, bei dem der Mann so viel verdient wie die Frau. Amerikanerinnen arbeiten mehr, sorgen sich um die Kinder. Männer? Machen immer weniger.» Laut Feministin Filipovic «hat sich die Welt um die Männer verändert, sie aber blieben in der Vergangenheit stecken».

Eine «vornehmlich häusliche Rolle» schrieb der französische Gelehrte Alexis de Tocqueville (1805–1859) Amerikanerinnen nach seiner berühmten USA-Reise zu. Obwohl die USA bereits 1920 das Frauenstimmrecht einführten, gab es 1969 bloss eine Senatorin. Als Clinton im selben Jahr ihr Rechtsstudium abschloss, war es legal, die eigene Ehefrau zu vergewaltigen.

Das ist passé, weil Frauen für ihre Rechte kämpften. Im Job, im Haus, im Leben. Sie müssen nicht mehr den ersten Mann heiraten, den sie küssen. Sie können studieren und Karriere machen, bevor sie Kinder kriegen. Wenn sie denn eine Familie wollen. «Einst brauchte es uns, um Kinder zu zeugen und Zuckerdosen aus dem obersten Küchenfach zu holen», sagt Filmemacher Michael Moore (62). «Heute gibt es künstliche Befruchtung und Aluminiumleitern.»

Glauben Männer, es brauche sie nicht mehr, kommt einer wie Trump wie gerufen. Mit ihm dürfen wir hässlich sein. Er steht für eine pornografische Fantasie männlicher Macht. «Trump ist eben ein echter Mann, der seine Männlichkeit nicht versteckt», sagte mir am Mittwoch ein 18-jähriger Trump-Wähler. Eine 47-jährige Trump-Anhängerin in Pennsylvania meinte am Samstag: «Dächten die Männer nicht so wie Trump, gäbe es keine Babys mehr.»

Bei solchen Worten geht etwas vergessen: Mit Hillary Clinton zieht eine Mutter ins Weisse Haus, eine Tochter, eine Grossmutter. Jedes Mädchen dieser Welt sieht: «Du kannst alles sein.»

Aber Amerika muss sich besinnen. Dass einer wie Trump so weit kommen konnte! Seine Politik macht keinen Sinn. Er ist ein Narzisst, der alle verachtet.

Besinnen müssen sich auch die Medien. Ohne sie wäre Trump nirgends. Obwohl er sie beschimpft und bedroht. Aber er brachte Klicks im Internet und Quoten im Fernsehen.

Trump hat allen einen Spiegel vorgehalten. Legen wir unsere Menschlichkeit ab, sind wir wie er. Er hat eine Falle gestellt, viele sind reingetreten.

Eine Frau muss sie herausziehen. Es ist zu hoffen, dass Amerika heute Hillary Clinton wählt.