“Patriarchisches, sexistisches und homophobes Land”

Die Stimme der türkischen Frauen lebt im Exil. Die türkische Autorin Elif Shafak (44) stand wegen eines Buchs vor Gericht.

Von Peter Hossli

shafakEs sind harsche Worte der türkischen Schriftstellerin Elif Shafak: «Die Türkei war schon immer ein patriarchisches, sexistisches und homophobes Land», schreibt sie in einem Essay im Nachrichtenmagazin «Spiegel», der Anfang Oktober erschienen ist. «Es ist ein Land, in dem Frauen von ihren Männern, Ex-Männern und Freunden umgebracht werden.» Jede vierte Braut sei «noch ein Kind».

Shafak gilt als eine der meistgelesenen türkischen Autorinnen – und lebt im Exil in London. Sie schreibt auf Türkisch und Englisch, ein «gespaltenes Land» nennt sie ihre Heimat. «Wir sind ein wütendes Volk geworden. Verfolgungswahn, Verschwörungstheorien und Schuldzuweisungen prägen unser Leben.»

Weltweit berühmt ist Shafak, weil sie im Roman «Der Bastard von Istanbul» 2006 den Völkermord an den Armeniern thematisiert. Sie wurde angeklagt wegen «Beleidigung des Türkentums».

Journalisten wie Autoren müssten in der Türkei ständig mit einer Anklage rechnen, selbst wegen eines Tweets. Deshalb betrachtet sie die Türkei, besonders die Situation der Frauen, von London aus. Nirgends werde der dramatische Wandel der Türkei so offenbar wie «bei den Frauen und der Beschneidung ihrer Rechte und Freiheiten», so die Autorin von 13 Büchern.

Ihre Grossmutter bedeckte ihr Haar, ihre Mutter habe Miniröcke getragen. Nun sei das Kopftuch zurück, die Debatte darüber habe die Situation der Frauen verschlimmert. «Frauen wurden in Lager eingeteilt, je nachdem, ob sie es tragen oder nicht.» Wer ohne auftrete, fühle sich bedroht. Resolut gehe die regierende AKP gegen unverheiratete Paare vor. Obwohl ein Schwangerschaftsabbruch nicht grundsätzlich verboten ist, sei er zur Klassenfrage geworden. «Frauen, die es sich leisten können, fahren ins Ausland; die anderen müssen hier ihr Leben riskieren», so Shafak.