Ein Amerika, das Trump nicht sieht

Die Republikaner küren in Cleveland mit Pomp und Luxus einen Milliardär zu ihrem Präsidentschaftskandidaten. Zehn Minuten davon entfernt leben die Menschen in grosser Armut.

Von Peter Hossli (Text) und Stefan Falke (Fotos) und Stephanie Seliner (Video)

supermarktFarbe blättert ab. Zu kaufen gibts nichts, auf dem Parkplatz wuchert Unkraut. Es riecht nach Schmieröl. Seit zwei Jahren ist der Supermarkt East Cleveland Family Foods geschlossen. Damals stürzte das Dach ein. Es fehlte das Geld, es zu reparieren. «Wer kann, zieht weg», sagt Walter ­Koontz (47). Der Bauarbeiter sieht hier nach dem Rechten.

Sein ganzes Leben hat er in East Cleveland verbracht. Nun denkt er darüber nach, zu gehen. «Früher war East Cleveland ein wunderbarer Ort, heute ist es ein Loch.»

Zehn Autominuten vom kaputten Supermarkt entfernt hat Donald Trump (70) in der Nacht auf heute die Nominierung als republikanischer Präsidentschaftskandidat akzeptiert. Vier Tage lang feierte die Partei in Cleveland sich und den lauten Milliardär aus New York. Hunderte von Millionen Dollar gaben sie dafür in der schmucken Stadt am Lake Erie aus. Bei Steak und Hummer, mit Champagner und dicken Zigarren.

koontzNach East Cleveland ging keiner. «Nein, einen Republi­kaner habe ich hier nicht ge­sehen», sagt Koontz.

Es ist ein Amerika, das es in Trumps Welt nicht gibt. Eine der ärmsten und deshalb gefährlichsten Gegenden Amerikas. Fast jeder Einwohner – 93 Prozent – ist schwarz. Das durchschnittliche Jahreseinkommen liegt bei 12 600 Dollar. Ein Drittel der Einwohner lebt unter dem Existenzminimum. Doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt ist die Kriminalität. Das Stahlwerk hat längst dichtgemacht. Häuser zerfallen. Autos verrosten. Die Strassen sind voller Schlaglöcher.

Das sei nicht immer so gewesen, sagt Koontz, Vater einer zwanzigjährigen Tochter, Grossvater eines zweijährigen Enkels. «Der Ort war voller Energie und Kraft.» Dann kamen Crack, Heroin, Crystal Meth, schliesslich korrupte Politiker. Zwei der letzten drei Bürgermeister sitzen im Knast.

Daran ändert der Parteikonvent der Republikaner nichts. «Kein einziger Cent geht an uns», sagt Koontz. «Die vielen Polizisten hindern uns daran, ins Stadtzentrum zu gehen und etwas zu verkaufen.» Koontz bleibt der Konvention fern. «Ich bin doch nicht lebensmüde.» Er fürchtet, erschossen zu werden. Einzig, weil er schwarz ist.

daleAn der Euclid Avenue, der Lebensader East Clevelands, steht ein grosses Zelt. T-Shirts der Cleveland Cavaliers sind zu kaufen. Das Basketball-Team ist eben in jener Halle Meister geworden, in der Trump letzte Nacht sprach. Dale Morgan (51) will ein grosses Shirt, «eines, das mir über den Gurt hängt». Er ist ­schmal, drahtig, hinkt.

Als Grenadier diente er im ersten Irak-Krieg. Noch immer stecken Granatsplitter in seinen Muskeln. Er lebe von einer Invaliden-Rente, «mehr schlecht als recht». Morgan sagt: «Erschiesst die Polizei einen Schwarzen, ist das zwölf Stunden in den Nachrichten, tötet aber irgendein Idiot einen Cop, ist das ganze Land monatelang in Aufruhr.»

Klar, den Parteikonvent der Republikaner verfolge er am Fernseher. Klar habe First Lady in spe Melania Trump (46) Teile von First Lady Michelle Obamas (52) Reden übernommen. «Wenn die Republikaner Worte klauen, stell dir mal vor, was sie im November mit den Stimmen machen werden.» Für ihn ist klar: «Sie klauen diese Wahl.»

reifenEinst gab es in East Cleveland Kneipen, in den sich die Schwarzen bei frittiertem Poulet zum Schwatz trafen. Doch diese Kneipen gibt es nicht mehr. Der Stammtisch ist jetzt aus Plastik und steht im klimatisierten McDonald’s. Hier schlürft Stahlarbeiter Reggie Willean (59) an einem Pappbecher, gefüllt mit Kaffee. Seit Jahren ist er krankgeschrieben. Selbst wenn er wieder gesund wäre – zurück kann er nicht.

Das Stahlwerk, in dem er einst arbeitete, ist dicht. «So lange es keine Arbeit gibt, kommt East Cleveland nicht hoch.» Für ihn ist sicher: «Wird Trump gewählt, werden reiche Amerikaner noch reicher, die Armen noch ärmer.»

Und sie, die Schwarzen? «Uns hat man längst vergessen.» Obwohl mit Barack Obama ein Schwarzer im Weissen Haus regiert. «Er wollte der Präsident aller sein, nicht von uns Schwarzen.»

farmerSchmuck ist ein gelbes Haus an der Euclid Avenue. Die Fenster sind zwar vergittert, aber sauber und nicht zerschlagen. Im Erdgeschoss logiert Doc Sheet’s Barber Shop, einer der populärsten Coiffeure in East Cleveland. Männer kommen zur Rasur und zum Millimeter-Schnitt. Vor allem aber kommen sie für den langen Schwatz.

«Nein, ich gehe im November nicht wählen», sagt Christopher Farmer (49). «Keiner zählt meine Stimme.» Er trägt Mütze und Leibchen der Cleveland Browns, dem lokalen Football-Team. «Obama ist cool», sagt Farmer, der als Tagelöhner auf dem Bau schuftet. «Aber Coolness verändert mein Leben nicht.» Noch immer töteten in den USA Polizisten unschuldige Schwarze, ohne dass sie ins Gefängnis müssen.

sheetsSeit Jahren sei kein Politiker mehr hier gewesen, die Republikaner hätten die Aufträge für den Parteikonvent untereinander vergeben. «Die hätten wenigstens ein paar Aufträge hier vergeben können.»

Seit dreissig Jahren führt Doc Sheet den Coiffeur-Salon. Er hat immer weniger Kunden. «Die Leute verlassen die Stadt, weil es hier nichts mehr gibt.» Geld machten nur noch Drogenhändler. Gangs hätten East ­Cleveland unter sich aufgeteilt.
Er werde Hillary Clinton wählen. «Weil Trump Mauern statt Brücken bauen will», sagt Doc Sheet. «Um ehrlich zu sein: Nur eine Frau kann uns noch aus diesem Schlamassel raus­holen.»