“Ich verurteile den Putschversuch”

Bundesrat Didier Burkhalter erklärt den Putschversuch in der Türkei – und sagt, warum die Welt nicht zur Ruhe kommt.

Von Peter Hossli (Text) und Pascal Mora (Foto)

burkhalter_putschSommerferien. Zeit, loszulassen. Doch Europa bebt. Und blutet. In Nizza fährt ein radikaler Muslim fast 100 Menschen tot. In der Türkei versuchen Offiziere, die Regierung wegzuputschen. Schon während der Fussball-WM ging die Angst um. Wir haben Aussenminister Didier Burkhalter (56) schriftlich Fragen dazu gestellt.

Herr Burkhalter, wie reagiert der Bundesrat, wenn eine Krise wie jene in der Türkei heraufzieht?
Didier Burkhalter: Es ist Teamwork. Solche kritischen Situationen halten viele im EDA wach. Ich stehe in Kontakt mit zuständigen Personen im Departement, um handeln zu können. Das war schon in der Nacht zuvor der Fall, als mich nach dem schrecklichen Attentat von Nizza das Krisenma­nagementzentrum regelmässig informierte, auch über mögliche Schweizer Betroffene.

Es sieht so aus, als ob Präsident Erdogan die Situation unter Kontrolle hat. Was bedeutet das?
Ist der Putschversuch tatsächlich beendet, ist das gut, denn ein solcher bringt Gewalt und Instabilität. Deren Folgen sind immer unvorhersehbar. Gewalt ist nie ein angemessenes Mittel, um Situationen zu ändern. Deshalb verurteile ich den Putschversuch, der viele Menschenleben gekostet hat. Und ich rufe dazu auf, jetzt den Weg der gesellschaftlichen Versöhnung einzuschlagen.

Sie sagten mehrmals, die Beziehungen zur Türkei müssten enger werden. Ist das möglich, wenn in einem Land das Militär putscht?
Die Türkei ist nicht nur unter dem Blickwinkel der Migrationspolitik ein wichtiger Partner für die Schweiz. Auch sicherheits- und friedenspolitisch ist sie ein wichtiges Land. Zudem spielt die Türkei mit ihren 80 Millionen Einwohnern wirtschaftlich eine grosse Rolle. Deshalb ist es wichtig, dass wir regelmässig Gespräche führen.

Wie beurteilen Sie die Demokratie der Türkei?
Das Land hat eine demokratisch gewählte Regierung. Zugleich nimmt der Bundesrat mit Sorge zur Kenntnis, dass sich die Sicherheits- und Menschenrechtslage in der Türkei zunehmend verschlechtert. Die Schweiz setzt auf Dialog und Kooperation, um etwa die Wichtigkeit der Einhaltung des Völkerrechts zu unterstreichen. Eine Verbesserung der Menschenrechtssituation wäre ein Zeichen der Stärke.

Welche Folgen hat der Putsch für Flüchtlinge in der Türkei?
Hier habe ich Sorgen: im Allgemeinen für die regionale Stabilität, die sich aber auch auf die Situation der Flüchtlinge negativ auswirken könnte. Die Rolle der Türkei ist sehr wichtig in der ganzen Region. So hat die Türkei über drei Millionen Flüchtlinge aufgenommen und diese Herausforderung bisher bemerkenswert gut gemeistert.

Die Türkei hat den Schlüssel zum IS-Terror, zur Situation in Syrien, zur Flüchtlingskrise. Dabei erscheint das Land selbst instabil.
Die Türkei ist wegen ihrer geografischen Lage mit vielen Problemen direkt konfrontiert, die auch Europa betreffen. Etwa mit der Migrationsproblematik, dem Terrorismus und dem gewalttätigen Extremismus. Diese Probleme kann die Staatengemeinschaft nur gemeinsam angehen – mit der Türkei. Instabilität in der Türkei wäre für die Menschen und für ganz Europa schlecht.

Warum kommt es in Frankreich so häufig zu Terroranschlägen?
Die Welt ist insgesamt unsicherer geworden. Probleme werden häufiger mit Gewalt gelöst, die Instabilitäten nehmen zu. Vieles hat auch mit der Globalisierung zu tun, die viel Positives bewirkt, aber auch Veränderungen und Verunsicherung mit sich bringt. Der Schlüssel ist: mehr Perspektiven – vor allem mehr Ausbildung und mehr Jobs – für die Menschen und für die Jugend in den fragilen Regionen. Darum haben wir im April unseren Aktionsplan für die Prävention des gewalttätigen Extremismus lanciert.

Ein Terrorakt wie in Nizza könnte auch bei uns passieren. Wie können wir so etwas verhindern?
Der Bundesrat hat im Kampf gegen den Terrorismus bereits verschiedene Massnahmen eingeleitet. In der Schweiz ist die Taskforce Tetra für die Koordination zuständig, sie vereint alle nationalen und kantonalen Sicherheitsakteure der Schweiz an einem Tisch. Aber Terrorbekämpfung heisst auch: Bekämpfung der Ursachen der Gewalt. Wer keine Zukunft für sich sieht, erliegt schneller dem Reiz des Extremismus. Wir müssen deshalb unseren Beitrag leisten, damit die Menschen Perspektiven haben. Deshalb fördern wir im Inland die Integration, vermeiden die Ghettoisierung in unserer Gesellschaft und fördern in vielen Ländern Projekte im Berufsbildungsbereich.

Warum, Herr Bundesrat, kommt die Welt nicht zur Ruhe?
Wir leben in einer Zeit der Unsicherheiten und der Ängste. Es gibt in der Welt zu viele Menschen, die den Eindruck haben, sie hätten keine Zukunft und keine genügenden Rechte. Zum Beispiel habe ich junge Erwachsene im Nahen Osten getroffen, die eine gute Ausbildung hatten, aber keinen Beruf ausüben durften. Man muss die Zukunft mit den Leuten, mit den Völkern aufbauen, nicht mit dem Populismus. Dazu kann unser Land weiterhin viel beitragen: Mit unseren inneren Werten, die dann in den vielen Projekten für den Frieden und die Entwicklung in unserer Welt umgesetzt werden. Für viele Leute bedeutet die Schweiz Hoffnung vor Ort. Und das ist sehr viel.