“Mein Narzissmus hält sich in Grenzen”

Er stellt provokante Fragen. Er polarisiert. Er gilt als eitel. Jetzt hat Medienpionier Roger Schawinski ein Buch über Narzissten geschrieben. Darin geht es nur am Rand um ihn.

Interview: Peter Hossli Fotos: Pascal Mora

schawinski_01Herr Schawinski, wann können wir uns treffen?
Roger Schawinski: Mir ginge es am Mittwoch um 9 Uhr in Zürich.

Okay, ich bringe einen Fotografen mit.
Gut zu wissen, dann muss ich mich rasieren.

(Mittwoch um 9 Uhr in Schawinskis Büro)

Herr Schawinski, Sie haben sich rasiert!
Ich ging unrasiert aus dem Haus, da habe ich mich an den Fotografen erinnert – und bin umgekehrt.

Und was sahen Sie da im Spiegel?
Mich – wie jeden Morgen. So genau schaue ich nicht hin. Eitelkeit ist nicht mein Ding. Meine Kleider kauft mir meine Frau.

Eitel sind Sie nicht – und narzisstisch?
Selbstverliebt sind wir alle irgendwie. Der Narzissmus entfaltet sich auf einer Skala, und zwar von einem gesunden Narzissmus bis hin zur Persönlichkeitsstörung.

Ihr Buch über Narzissmus heisst «Ich bin der Allergrösste». Das löst bestimmt Häme aus. Warum nehmen Sie das in Kauf?
Weil der Titel besser ist als «Das Narzissmus-Syndrom». Er beschreibt auf treffende Weise die Selbstüberschätzung extremer Narzissten.

Was bewirken solche Menschen?
Das Verhalten eines Narzissten wird für alle zum Problem – ausser für ihn selber.

Haben Sie ein Buch über sich selber geschrieben?
Tatsächlich habe ich mir neue Fragen zu meinem Verhalten gestellt.

Zu welchem Befund kamen Sie?
Im Gegensatz zu den Personen, über die ich schreibe, hält sich mein Narzissmus in Grenzen.

schawinski_02Wie können Sie da so sicher sein?
Die psychiatrische Gesellschaft der USA nennt neun Punkte für narzisstische Persönlichkeitsstörungen. Auf mich treffen nur wenige zu.

Sieht Ihr Umfeld Sie als Narzisst?
Vor dem Buchprojekt hat mir noch keiner gesagt, ich sei narzisstisch. Heute ist mir klar: Ich habe einen gewissen Narzissmus, ohne den wäre ich nicht in den Medien gelandet. Dort ist eine Portion hilfreich. Aber ich glaube, dass ich empathisch geblieben bin, mir meine soziale Kompetenz bewahren konnte. Ich mag extrovertiert sein, an Selbstüberschätzung leide ich nicht. Dafür musste ich zu oft und zu hart kämpfen.

Sie beschreiben den Narzissmus als Leitneurose unserer Zeit. Warum hat die Empathie im Gegenzug abgenommen?
Die sozialen Medien kamen auf, die soziale Kompetenz geht immer mehr verloren. Der Selfie-Stick ist die Monstranz des erschreckenden Trends. Ein Ende ist nicht in Sicht.

Mit Donald Trump könnte ein Narzisst bald mächtigster Mann der Welt sein.
Trump ist die Speerspitze dieser Entwicklung. Zumal er mit seinem Narzissmus grossen Erfolg hat. Das ist ganz gefährlich.

Warum soll Trump gefährlich sein?
Extreme Narzissten wie er gelangen dank Charisma in leitende Positionen. Kurzfristig funktionieren sie in ihrem Job recht gut. Bald aber müssen sie die Narzissmus-Dosis weiter erhöhen. Ein extremer Narzisst darf auf keinen Fall ins Weisse Haus einziehen!

Wie schützen wir uns vor diesem Typus?
Das ist ganz schwierig. Viele zeigen ihr wahres Gesicht erst, wenn sie ganz oben angekommen sind. Es gilt, den Narzissmus zu -erkennen, bevor er Schaden anrichtet. Es ist zu hoffen, dass das die US-Wähler schaffen.

Wann ist Selbstliebe gesund?
Gesunde Narzissten sind ehrgeizig, fleissig, sie kommen voran. Unsere Gesellschaft braucht Menschen mit Visionen und Zielen.

schawinski_03Wo erkennen Sie gesunde Narzissten?
Teilweise im Silicon Valley. Dort wollen -viele tatsächlich die Welt verbessern. Allerdings haben sie oft unglaubliche Defizite im persönlichen Bereich. Sie sind egozentrisch und terrorisieren ihr Umfeld. Das ist leider die Kehrseite vieler genialer Menschen.

Wir laden Selfies ins Internet. Was unterscheidet diesen Narzissmus von narzisstischen Störungen in Chefetagen?
Chefs haben Macht über Firmen und über Menschen. Sie nützen sie aus, indem sie
andere manipulieren, um sich selbst feiern zu lassen.

Sie beschreiben unsympathische Typen.
Unsympathisch ist falsch. Sepp Blatter ist ausgesprochen charmant. Ebenso Marcel -Ospel. Daniel Vasella war es in früheren -Lebensphasen, wurde mir bestätigt.

Was fasziniert Sie an arroganten Männern, die aufsteigen, bevor sie fallen?
Ihre Wirkungsweise. Meist ist sie verheerend. Früher standen autoritäre Menschen an der Spitze von Unternehmen, die einfach befohlen haben. Jetzt sind es charismatische Narzissten, die äusserlich sympathisch wirken, aber weit mehr Schaden anrichten können.

Es sind Männer, die sich für unverletzlich hielten – und abstürzten. Warum kippte beispielsweise Fifa-Präsident Blatter?
Früher schaute er zu Staatschefs hoch. Dann sagte er den Satz: «Jetzt bin ich mit Putin auf Augenhöhe.» Bis ihm Putin nicht mehr reichte. Er wollte mit Mandela auf Augenhöhe sein, mit dem Papst. Narzissten müssen ständig die eigene Bestätigung erhöhen, um zu spüren, wie wichtig und einzigartig sie sind. Deshalb ist es nie genug. So entsteht Hybris –Hochmut. Blatter glaubte zuletzt allen Ernstes, ihm stünde der Friedensnobelpreis zu.

Gegen aussen wollte er bodenständig und bescheiden wirken. Nun ist publik geworden: Er bediente sich schamlos.
Blatter sah, wie die anderen in der Fifa sich bereichern. Da wollte er nicht der Dumme sein und bloss für ein Trinkgeld arbeiten. Und er hatte es leichter als andere, weil er ganz tief in die Firmenkasse greifen konnte. Deshalb hat er bis heute kein Schuldbewusstsein.

Blatter ist nicht nur eitel und gerissen – sondern durchaus charmant. Warum lassen wir uns von Narzissten einwickeln?
Es ist ihre grosse Gabe. Narzissten sind perfekte Menschenfänger. Nur so kommen sie überhaupt so weit. Umso dringlicher müssen wir ihnen gegenüber skeptisch bleiben.

Ex-CEO Daniel Vasella meint, er hätte Novartis weit mehr gebracht als die vielen -Millionen, die er erhielt. Warum verstand er die Kritik an seinen Mega-Boni nicht?
Viele Menschen, die in ihrer Kindheit Traumata erlebten, fühlen sich ihr Leben lang als Zukurzgekommene. Vasella verlor seinen Vater früh, seine Schwester starb, als er noch ein Kind war. Trotz 400 Millionen hatte er stets das Gefühl, das Leben habe ihn betrogen.

Apple-Gründer Steve Jobs dachte, unverwüstlich zu sein. Er schlug sogar eine -korrekte Krebstherapie aus. Warum?
Jobs glaubte, er wisse alles besser als andere.

Und als er an Krebs erkrankte?
Er verhielt sich wie immer, traf wie bei Apple alle Entscheidungen allein. Seine Ärzte hatten nichts zu sagen. Das war ein besonders fataler Fall von Selbstüberschätzung, von -Hybris. Er tat das Falsche und bemühte sich viel zu spät um eine Nierentransplantation.

Warum konnte er keine Hilfe annehmen?
Narzisst Jobs war ein extremer Ästhet, in allen Bereichen. Deshalb scheute er sich davor, für eine Operation seinen Bauch aufschneiden zu lassen. Dies war ein tödlicher Fehler. Seine Hybris tötete also ein epochales Genie.

Hätte sich Microsoft-Gründer Bill Gates, sein Konkurrent, gleich verhalten?
Er ist kein extremer Narzisst. Das sieht man schon äusserlich. Er hat soziale Kompetenz. Gates hat die grösste Stiftung der Welt gegründet, gibt den Grossteil seines Vermögens weg, will weltweit Malaria ausrotten. Jobs -erachtete karitative Spenden als etwas völlig Unsinniges. Er hat nie einen Dollar weggegeben.

Sie porträtieren ausschliesslich Männer. Sind sie extremere Narzissten als Frauen?
Männliches Verhalten – «ich muss gewinnen, ich muss der Beste sein, ich muss die anderen besiegen» – erzeugt weit eher Hybris als das, was Frauen tun. Wird es mehr Chefinnen -geben, werden diese vermutlich viele dieser männlichen Eigenschaften übernehmen.

schawinski_hossliBlatter soll keine echten Freunde haben. Warum sind Narzissten so einsam?
Sie umgeben sich nur mit Menschen, die -ihnen etwas nützen, die sie manipulieren können, -die ihnen Bewunderung schenken. Einseitige Bewunderung ist keine Basis für Freundschaft.

Haben Sie denn echte Freunde?
Zu meinem 70. Geburtstag habe ich nicht nur Prominente eingeladen, sondern Menschen, die mir nahestehen – von früher, von meinen Firmen, vom Studium. Ans WEF gehe ich nicht. In Davos umgeben sich Narzissten mit den Eliten, um sich noch besser zu fühlen.

Sie fragten Velofahrer Lance Armstrong nach seinem grössten Fehler. Was ist Ihrer?
Ich habe viele Fehler gemacht, aber nie einen so kolossalen wie Armstrong. Es gibt nichts in meinem Leben, was, wenn es jetzt bekannt würde, alles zum Einstürzen brächte.

Armstrong sagte, sein grösster Fehler sei die Rückkehr in den Radsport gewesen. Nur deshalb sei sein Dopingvergehen aufgeflogen. Dopen aber bereute er nicht.
Weil er das nicht als Fehler sah. Er glaubte, er habe sich systemkonform verhalten, da alle gedopt hätten. Er sagt damit, es wäre anders gar nicht gegangen. Vermutlich hat er sogar recht.

Verteidigen Sie jetzt einen Narzissten?
Es gibt andere, die etwas hätten ändern -können. Dass Blatter das korrupte System der Fifa nicht aufbrach, ist viel schlimmer.

Zum Narzissmus gehört auch die Manipulation. Wie hält man es aus, ständig zu lügen?
Narzissten leiden unter Realitätsverlust. Sie haben kein Unrechtsbewusstsein, sehen nur sich selbst. Nie spiegeln sie ihre Wirkung bei anderen. Weil sie keine Empathie haben.

Jörg Kachelmann lebte viele Beziehungen gleichzeitig. Warum suchte er solchen Stress?
Weil er wohl glaubte, in allem der Beste sein zu müssen. Er sah sich als weltbesten Affären-Jongleur, der gleichzeitig 14 Kugeln in der Luft halten konnte.

Der Heilige Gral unserer Gesellschaft ist der Erfolg. Gibt es ihn ohne Hybris?
Langfristig führt Hybris zu Misserfolg. Hybris versperrt den Blick auf Realitäten und Gefahren. Ospel dachte, er sei der weltweit grösste Banker, die UBS die beste Bank Europas. Das machte ihn nachlässig. Er sah die Finanzkrise nicht; für die UBS eine Katastrophe.

Warum tendieren Manager eher zu Hochmut als Unternehmer?
Unternehmer riskieren alles, mitunter sogar das Erbe der Familie. Sie können nicht einfach kassieren und dann mit Millionen -verschwinden. Josef Ackermann sagte einmal, «kassiere ich weniger, verschlechtert sich mein Image in der Firma». Es war sein Freipass, masslos zuzulangen. Die einstige Bescheidenheit und das Augenmass sind verloren gegangen. Schamgrenzen sind gefallen.

Was bedeutet Ihnen Geld?
Ich habe nie wegen des Geldes gearbeitet. Ich habe immer das Leidenschaftliche gesucht, Dinge gemacht, die mich inhaltlich interessierten und euphorisierten. Oft war ich rechtzeitig am richtigen Ort. So kam der Erfolg.

Narzissten wollen Macht, um ständig überhöht zu sein. Suchen Sie die Macht?
Gesucht habe ich sie nie, ich bewahre Macht, um unabhängig zu sein. Ich bin glücklich, mich nicht verbiegen zu müssen. Zuletzt hielt ich es als Senderchef bei Sat.1 fast nicht mehr aus, als ich etwas umsetzen sollte, an das ich nicht glaubte.

Was ist dem Narzissten wichtiger: Erfolg zu haben oder geliebt zu werden?
Er will alles gleichzeitig. Liebe, Respekt, Macht – und alles grenzenlos. Kritik lehnt er ab. Deshalb umgibt er sich allein mit Schmeichlern und Heuchlern.

Wollen Sie geliebt werden?
Ich hoffe auf Respekt. Kritik stelle ich mich durch kritisches und oft provokatives
Auftreten, vor allem in meinen Sendungen. Dies wird bei diesem Buch in besonderem Mass der Fall sein. Aber ich wollte nie Everybody’s Darling sein. Das wäre grässlich.

Blatter hätte 2011 Fifa-Ehrenpräsident werden können. Er machte es nicht, weil er die Bühne nicht preisgeben wollte …
… nicht preisgeben konnte.

Wie wichtig ist Narzissten diese Bühne?
Narzissten fürchten nichts so sehr wie die -Bedeutungslosigkeit. Alles basiert darauf, -bewundert zu werden. Je extremer jemand narzisstisch veranlagt ist, desto wichtiger ist die Bühne. Fällt sie weg, ist der Boden weg.

Sie selbst waren bedeutungslos, nachdem Sie im August 2001 Ihre Firmen verkauften.
Das nahm ich in Kauf, darunter gelitten habe ich nicht. Ich konnte loslassen. Das ist das Schwierigste, aber auch das Wichtigste.

Aber Sie kamen zurück, gründeten Radio 1, führen durch eine TV-Talkshow auf SRF. Weil Sie nicht ohne Bühne sein können?
Als ich nach der Zeit bei Sat.1 in Berlin in die Schweiz zurückkam, wartete niemand auf mich. Dann habe ich Dinge gesucht, die mich aufs Neue faszinieren. Dazu gehört in der Nacht ein solches Buch zu schreiben.

Mit diesem Buch bleiben Sie im Gespräch. Können Sie sein, ohne Schawinski zu sein?
Als ich die Firma verkaufte, war ich zwei Jahre weg von der Bildfläche. Da habe ich das Leben genossen, ging ins Kino, brachte meine Tochter in die Schule. Alles war paletti.

Das reichte Ihnen aber nicht aus.
Ich bin ja erst 71. Doch irgendwann wird auch für mich die Phase der Bedeutungslosigkeit kommen. Dieser Test steht noch bevor.

Wie werden Sie diesen bestehen?
I don’t know.

Roger Schawinski über … das Geheimnis einer langen Karriere
Wer wie Armstrong, Blatter oder Ospel Skelette im Schrank hat, darf den Zeitpunkt des Abgangs nicht verpassen.

Gabriella Sontheim
Meine Frau sagte, ich müsse im Buch auch über mich schreiben.

Respekt
In der Schweiz bedeutet der Prophet im eigenen Land meist wenig.

Manager und Unternehmer
Als Chef von Sat.1 entwickelte ich eine gewisse Demut.

Franz Beckenbauer
Bei ihm war die Fallhöhe grösser, denn er war der Kaiser

Medien
Journalisten brauchen eine gewisse Dosis Narzissmus.