Keine Überraschung – aber historisch

Erstmals will eine grosse amerikanische Partei eine Frau ins Weisse Haus schicken. Warum dauerte es so lange?

Von Peter Hossli

hillary_clintonHillary Clinton (68) hat es geschafft. Sie hat genügend Delegierten-Stimmen, um im Juli am Parteitag der Demokraten zur Kandidatin gekürt zu werden.

Das ist keine Überraschung, Clinton war die Favoritin ihrer Partei. Aber es ist historisch.

Erstmals will eine der beiden grossen Parteien eine Frau ins Weisse Haus schicken. Darüber entscheiden lassen, wann Atomwaffen eingesetzt werden, die obersten Bundesrichter küren, Kriege erklären. Eine Frau, die zuvor die Gattin eines Gouverneurs und eines Präsidenten war, später Senatorin und Aussenministerin. Jetzt vielleicht Präsidentin.

Warum ist Amerika frauenfeindlich?

Es dauerte lange. Die USA sind die älteste Demokratie der Welt, keine Verfassung hielt länger bestand als das 1787 verabschiedete Papier. Bereits 1920 führte Amerika das Wahlrecht für Frauen ein, zwar nach Norwegen (1913), aber lange vor Grossbritannien (1928), Frankreich (1936) oder Italien (1946). Schweizerinnen erhielten erst 1971 volles Stimm- und Wahlrecht.

Gleichwohl hatten viele diese Länder bereits Frauen an der Spitze ihrer Regierung, sitzen in ihren Parlamenten viel mehr Frauen als in den USA. Weit nach den Frauen erhielten die als Sklaven unterjochten Schwarzen 1965 in Amerika sämtliche Rechte als bürger. Und doch zog mit Barack Obama 2008 viel früher ein Schwarzer ins Weisse Haus ein.

Warum ist Amerika frauenfeindlich? Dieses aufgeklärte, politisch korrekte Land, in deren Verfassung zuoberst steht, alle Menschen seien gleich?

US-Politik? Sie war lange Zeit Männersache.

Amerikanische Pilotinnen fliegen längst in Kampfjets. Schauspielerinnen verdienen in Hollywood fast so viel wie Schauspieler. Richterinnen sprechen an oberster Stelle Recht. Sportlerinnen erzielen höchste Einschaltquoten. Professorinnen lehren an Topuniversitäten. In den Medien haben vife Journalistinnen das Sagen. Wirtschaftlich denken US-Frauen ohnehin längst selbstständig: Seit Mitte des 19. Jahrhundert gilt in den USA die Gütertrennung innerhalb der Ehe.

Bei vom Volk besetzten Ämtern aber hapert es. Obwohl heute mehr Frauen als Männer wählen und Frauenthemen – Abtreibung, das Gesundheitswesen, Sicherheit an Schulen – die politische Diskussion mehrheitlich bestimmen. Die Hauptschuld an der krassen Untervertretung trägt das Majorzwahlsystem. Jede Wahl in den USA ist eine Personenwahl. Frauenlisten gibt es nicht. Sowohl die Demokraten wie die Republikaner vernachlässigen parteiinterne Förderungsprogramme. Statt dessen werden Frauen von beiden Fraktionen offen entmutigt anzutreten.

Amerikanische Politiker wehren sich gegen Amtszeitbeschränkungen, meist zum Nachteil der Frauen. Posteninhaber werden meist wieder gewählt. Kommissionssitze werden im Kongress nach Amtsdauer vergeben, nicht auf Grund von Fähigkeiten. Frauen – oft politische Newcomerinnen – bleiben draussen.

Zusätzlich hindern gesellschaftliche Schranken Amerikanerinnen am Politisieren. Männer besassen in den USA von Beginn weg das Bürgerrecht, sie hatten sich am Aufbau des Staates zu beteiligen. Bei den Frauen hingegen galt allein das Muttersein als politische Pflicht. Schon der französische Gelehrte Alexis de Tocqueville (1805 – 1859) bemerkte nach einer USA-Reise die vornehmlich häusliche Rolle amerikanischer Frauen.

Politische Amerikannerinnen? Sie gehen in die Medien.

Noch heute ist das Pult auf der Redaktion ein Ersatz für das politische Amt. In den USA ist der Anteil einflussreicher Journalistinnen weit höher als in Europa. Weil den Frauen der Einstieg in die Politik nach wie vor nicht leicht gemacht wird. Die wenigsten Bundesstaaten werden von Frauen geführt. Bis 1992 waren von 100 Senatoren nie mehr als 2 Frauen. Heute sind es immerhin 20, also ein Fünftel.

Als die Kolonien der Neuen Welt noch im Aufbau waren, beteiligten sich Siedler wie Siedlerinnen am politischen Prozess. Erst die Revolution und die Verfassung beendeten dies 1787. Da erhielten die Amerikannerinnen weniger Rechte als die Männer.

Ausgerechnet die Hinterwäldler von Kentucky gaben den Frauen 1834 als erster Staat das Stimm- und Wahlrecht zurück. Es folgte Staat um Staat. 1848 verabschiedeten Suffragetten eine Unabhängigkeitserklärung mit den Worten «Alle Männer und Frauen sind gleichberechtigt geboren». Das war der Anfang des politischen Feminismus in den USA. Er gipfelte in der Annahme des Frauenwahlrechts 1920.

Die Sechzigerjahre brachten die Pille und sexuelle Freiheiten, Jobs in der Privatwirtschaft und Bürgerrechte für alle.

Hillary Clinton – mittlerweile Grossmutter – schaffte nun die zweitletzte Hürde: Sie wird offiziell Präsidentschaftskandididatin. Schlägt sie am 8. November den Republikaner Donald Trump (69), nähme sie die letzte.

Jedem Mädchen zeigt Clinton damit: «Du kannst alles sein, sogar die mächtigste Person der Welt.»