Handschlag für die Hoffnung

Aussenminister Didier Burkhalter im gefährlichsten Slum von Beirut.

Von Peter Hossli (Text) und Pascal Mora (Fotos)

Hastig führt der libanesische Polizist den Bundesrat hinter die hohen Mauern. Seine Pistole ist geladen, der Kämpfer grau-schwarz gefleckt. «Wir verlassen die Anlage nicht», sagt ein Mitarbeiter von Didier Burkhalter (56). Eben ist der Schweizer Aussenminister in Hay al-Gharbeh angekommen, «im gefährlichsten Slum von Beirut», wie es heisst.

Geschwind steigt er auf die Terrasse des Tahaddi-Zentrums, einer Schule im Libanon, welche die Schweiz unterstützt. Zerfallene Häuser sieht Burkhalter, Müll, schlammige Wege. «Wo aber sind die Kinder?», fragt er.

Die Kinder? Sie sind auf der Strasse, die Schule ist längst aus. Just löst der Bundesrat Krawatte und den obersten Hemdknopf. Er steigt die Treppe runter, geht vorbei an den dicken Mauern – und spaziert fast ohne Begleitschutz durchs Quartier. Geht dort, wo die ärmsten Libanesen derzeit von syrischen Flüchtlingen verdrängt werden.

Eine Mutter führt ihn in den Raum, in dem sie mit drei Töchtern haust. Er lacht Kinder an, will mit ihnen reden. Doch der Ausflug des Bundesrats ist so spontan, die Übersetzerin hat ihn verpasst. «Wer spricht Arabisch?», ruft er in Englisch in die Menge. Ein bewaffneter Polizist eilt herbei, führt ihn durch ein Gespräch mit dem syrischen Buben Ali. «Ich werde Profifussballer», sagt er. «Lebe deine Träume», ermutigt ihn Burkhalter. «Zuerst machst du aber die Schule fertig.»

Die 13-jährige Syrerin Rawane dankt Burkhalter, «dass ich in dieser Schule lernen darf». Sie will Lehrerin werden – daheim in Syrien. «Schreib uns, wie es mit dir weitergeht.» Echt wirkt es, wenn Burkhalter sagt: «Kinder verdienen ein würdiges Leben, hier werden sie rasch erwachsen, man muss alles tun, damit sie nicht dem Extremismus verfallen.»

Ingenieur Mourad (24) darf nicht arbeiten, obwohl seine Mutter Libanesin ist. Der Vater ist Palästinenser, und der Libanon verbietet Palästinensern manchen Beruf. «Wie gehen Sie damit um?», fragt Burkhalter. «Entweder ich kämpfe, oder ich gehe.» – «Glauben Sie, Sie könnten etwas ändern?» – «Ich hoffe es.» – «Hoffnung ist wichtig.»

Die Krise in Syrien habe das Schicksal der Palästinenser in den Hintergrund gedrängt, sagt Mourad. «Eine Lösung kann ich heute nicht anbieten», so Burkhalter. «Aber seien Sie gewiss: Wir vergessen euch nicht.»

Viel zu leise spricht die libanesische Juristin Nadine (26). Burkhalter rückt seinen Stuhl in ihre Nähe, um sie zu verstehen. Sie rüttelt ihn auf. «Alle sehen uns nur als Schlachtfeld und Gastland von Flüchtlingen», sagt Nadine. «Aber wir haben eigene Probleme, unsere Jugend ist überqualifiziert und unterbeschäftigt.» Sie soll in die Politik, rät Burkhalter. «Das will ich nicht!», so Nadine. «Die besten Politiker sind jene, die nicht in die Politik wollen.» Jene Menschen also, die keine Karriere anstrebten, sondern andern helfen wollten.

Aus Syrien floh Imane (23). Sie will Fotografin werden. Just fordert Burkhalter sie auf, dem BLICK-Fotografen die Kamera abzunehmen. Was Imane tut – und den Bundesrat ablichtet. Der witzelt: «Sie fotografiert sicher besser als der Schweizer!»
Ein Politiker verabschiedet sich, der zuhörte und der Humor hat. Er bedankt sich, posiert für Selfies, steigt in den gepanzerten BMW, fährt zum Flughafen. Um 19.15 Uhr hebt der Bundesratsjet ab. Drei Stunden und 55 Minuten dauert der Flug bis Bern-Belp. Burkhalter bereitet die Bundesratssitzung vor. «Wann wollen Sie essen?», fragt die Flugbegleiterin. «Wer hat Hunger?», fragt der Chef sofort seine Mitarbeiter. «Wir entscheiden zusammen, das ist eine Demokratie.»

Er hat schon viel geredet, und doch spricht er noch über eine Lösung für Syrien. «Sie hängt auch davon ab, was mit Präsident Assad passiert.» Die Türkei bezeichnet er als «grosses, dynamisches Land, das Teil der Lösung sein muss». Zu Unrecht stehe sie oft in der Kritik. «Wir sind auf die Türkei angewiesen, wir dürfen nicht alles verurteilen.» Frust spüre er bei türkischen Gesprächspartnern. «Sie glauben, ihren Teil des Flüchtlings-Deals einzuhalten, und verstehen nicht, warum die EU nicht vorwärtsmacht bei der Visa-Liberalisierung.» Überrascht habe ihn, «wie viel Zuspruch Donald Trump erhält». Klar, er beobachte die US-Wahlen. «Wir bereiten uns für alle Szenarien vor.» Also auch für einen Präsidenten namens Trump.

Zuletzt sagt er, wie es ihm gelingt, Slums zu entschwinden und im Jet in die sichere Schweiz zu fliegen. «Es ist leichter geworden, ich habe mich daran gewöhnt», sagt Burkhalter. «Zynisch bin ich deshalb nicht. Es hilft mir aber zu wissen, dass die Schweiz wirklich Gutes tut.»

Schweizer Botschaft in Syrien: «Die Schliessung war vielleicht ein Fehler»

Damaskus – Die Schweiz wolle im Syrien-Konflikt Brücken bauen, sagt Didier Burkhalter. Geht das ohne Botschaft in der syrischen Hauptstadt Damaskus? Er schloss sie 2012. «Ja, aber es ist sicher schwieriger. Vielleicht war es ja ein Fehler, die Botschaft in Damaskus zu schliessen», so Burkhalter. «Aber ich würde die Entscheidung wieder so treffen.»

Er habe damals aus Sicherheitsgründen entschieden. «Ich hatte den Eindruck, es sei zu gefährlich für unser Personal.» Wann eröffnet er die Botschaft wieder? «Wenn Syrien sich bewegt», so Burkhalter. «Es würde der syrischen Regierung einiges bedeuten, wäre unsere Botschaft wieder offen. Aber wir tun das nur, wenn wir Fortschritte sehen.» Gibt es eine Schweizer Botschaft in Damaskus mit Präsident Assad im Amt? «Das ist nicht unmöglich, wir haben die Botschaft wegen der Sicherheit geschlossen, nicht wegen des Präsidenten, alle müssen sich auf eine politische Lösung hinbewegen.» Einen Zeitplan habe er nicht.