Flüchtlinge statt Roboter

Das WEF ist knallhartes Business. Was zählt, sind Deals in Hinterzimmern. Das offizielle Tagungsthema trat in den Hintergrund. Wichtiger war die Flüchtlingsthematik. Das Fazit zur Ausgabe 2016.

Von Peter Hossli und Guido Schätti

dicaprio_bidenDie Ansage vor dem Weltwirtschaftsforum (WEF) war klar: Roboter würden in Davos GR den Menschen die Show stehlen. Und ja, Roboter führten ihre Kunststücke vor, einer las gar Zeitung. Worthülsen wie «Transformation», «Digitalisierung», «Automatisierung» fielen in etlichen Vorträgen in etlichen Sprachen.

Doch nicht die Maschinen, sondern die Migranten bestimmten die meisten Gespräche am WEF, das heute zu Ende geht. Die 60 Millionen Flüchtlinge weltweit waren das grosse Thema.

Für US-Aussenminister John Kerry (72) war das Foto des in der Ägäis ertrunkenen Aylan Kurdi († 3) «das schlimmste Bild des vergangenen Jahres».

Die EU werde wegen der Migration «auseinanderfallen», prophezeite der legendäre amerikanische Investor George Soros (85). Russlands Präsident Wladimir Putin (63) heize die Flüchtlingskrise an, um Europa zu destabilisieren, so Soros.

«Unternimmt die EU nichts, werden im Sommer noch mehr Flüchtlinge über die Balkanroute ziehen als 2015», warnte der serbische Premierminister Aleksandar Vucic (45).

Schliesslich verlangte der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck (75) eine Begrenzung der Zuwanderung: «Ohne Akzeptanz ist eine Gesellschaft nicht aufnahmebereit.» Finanzminister Wolfgang Schäuble (73), sonst Geizhals vom Dienst, forderte «einen Marshallplan für die Krisenländer», um die Flucht nach Norden zu stoppen.

Bezeichnend, dass Angela Merkel (61), die Bundeskanzlerin der Willkommenskultur und sonst Stammgast am WEF, dieses Jahr nicht nach Davos kam.

lagarde_refuOhnehin waren die Gänge im Kongresszentrum zwar voller denn je, auf der Promenade stauten sich die Limousinen, und die grösste US-Delegation seit Jahren weilte im Landwassertal – und doch: «Leider sind nicht alle wichtigen Gesprächspartner hier», sagte Bundesrat Didier Burkhalter (55).

Fern blieben die Präsidenten Irans, Chinas und Russlands. Zentrale Akteure, um Frieden in Syrien zu schaffen. Und die Flüchtlingskrise zu lösen.

Dagegen waren die Chefs der grossen Konzerne beinahe geschlossen da. Doch die Debatten über grosse Themen überliessen die Manager den Experten, Politikern, Funktionären. Mit wenigen Ausnahmen widmeten sie sich lieber dem Geschäft. Brachten in den Hinterzimmern ihre Deals ins Trockene.

Vor der Finanzkrise 2008 spazierten sie noch in Kaschmirpullis und Cordhosen durch Davos. Heuer trug man wieder Anzug, die Krawatte straff gebunden. Die Verbesserung der Welt – die offizielle Mission des WEF – muss warten. Auf den Podien lieferten die Manager austauschbare, seltsam blutleere Voten. Nur ja keine Angriffsfläche bieten, war die Devise.

verkehrEinzig Investoren-Legende George Soros leistete sich Klartext: Die Weltwirtschaft befinde sich «in der gleichen Verfassung wie 2008», kurz vor Ausbruch der Finanzkrise, warnte er. «Damals war die Subprime-Krise in Amerika das Problem, heute ist es China.» Anlegern riet er, ja keine Aktien zu kaufen. «Wer verkaufen muss, der soll das jetzt tun.»

Auch US-Vizepräsident Joe Biden (73) störte das Theater der Unverbindlichkeit. In einer eindringlichen Rede forderte er ein Ende des Neoliberalismus und machte sich für höhere Steuern, Löhne und Staatsausgaben stark. Nur wenn die Arbeitnehmer wieder ihren fairen Anteil am technologischen Fortschritt erhielten, könne die globale Nachfragekrise gelöst und die zerfallende Mittelklasse gerettet werden.

Die Manager reagierten auf den Appell nicht ganz unpassend für ein WEF, das sich mit Maschinen befassen wollte: Sie ignorierten Biden und beschäftigten sich mit ihren Smartphones.