Interview: Peter Hossli und Wolfgang Büchner Fotos: Pascal Mora
Herr Premierminister, der deutsche Präsident Joachim Gauck will die Zuwanderung begrenzen. Welche Folgen hat das für die serbische Flüchtlingspolitik?
Aleksandar Vucic: Serbien ist das einzige Land, das noch nie einen Flüchtling verletzt und kein Tränengas auf Flüchtlinge geschossen hat. Bisher waren wir sehr menschlich.
Und das ändert sich jetzt?
Wir bleiben menschlich. An die EU sage ich klar: Ihr müsst etwas tun! Verlangt die EU von uns, dass wir keine Wirtschaftsflüchtlinge mehr reinlassen, dann machen wir das.
Fast alle Flüchtlinge reisen durch Serbien. Braucht Ihr Land mehr Hilfe?
Nein, wir erhalten genügend Unterstützung. Serbien hat das Problem im Griff. Schwieriger ist es für Länder wie Deutschland, Österreich oder Schweden.
Derzeit marschieren Flüchtlinge durch Temperaturen von minus 20 Grad durch Serbien. Wie helfen Sie diesen Menschen?
Es gibt in Serbien 6000 Schlafstellen, in denen sich die Flüchtlinge ausruhen und aufwärmen können. Die meisten Flüchtlinge bleiben aber nur wenige Stunden. Sie wollen so schnell wie möglich weiter – nach Norden.
Serbien registriert alle Flüchtlinge. Wie viele kommen nach Serbien?
Es sind derzeit im Schnitt 1818 Menschen, ab März werden es täglich 5000 sein.
Und im Sommer?
Unternimmt die EU nichts, werden im nächsten Sommer noch mehr Flüchtlinge nach Europa fliehen als im Sommer 2015.
Wer kommt derzeit?
Anfänglich waren es 73 Prozent Syrer, heute sind es nur noch 37 Prozent Syrer, aber 30 Prozent Marokkaner und Algerier. Zuvor waren es Familien, jetzt sind es hauptsächlich junge Männer. Familien mit Kindern sehen wir kaum noch.
Viele beschuldigen die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Sie auch?
Ich bin loyal, und ich stehe auf der Seite von Angela Merkel. Ohne sie hätten wir keinen Frieden und keine Stabilität im Westen des Balkans. Dank Merkel können wir uns heute selber helfen.
Viele sagen, Merkel locke Flüchtlinge nach Europa.
Sie tut ihr Bestes, sie behandelt die Menschen menschlich. Kritik ist immer einfach – aber was haben jene für Flüchtlinge getan, die Merkel kritisieren?
Sie haben mehrmals gesagt, Sie würden keinen Grenzzaun errichten. Gilt das noch?
Ich halte meine Versprechen! Wir haben keinen einzigen Ziegelstein auf die Grenze gelegt. Jetzt sind wir bereit, den Griechen oder den Mazedoniern zu helfen. Und wenn die EU uns fragt, ob wir die Wirtschaftsflüchtlinge abhalten, dann tun wir das.
Sie verhalten sich europäischer als viele EU-Mitglieder. Weil Sie in die EU wollen?
Sie können mich mögen, oder Sie können mich hassen. Klar ist: Unter mir hat sich die serbische Wirtschaft stark erholt, wir werden weiterhin stark wachsen. Es ist unser Ziel, eines der stärksten 35 Länder der Welt zu werden. Und ja, wir wollen in die EU!
Solange in der serbischen Verfassung steht, dass Kosovo zu Serbien gehört, wird das nicht möglich sein.
Es wird Frieden geben zwischen Serben und Albanern, wir reden miteinander. Schon heute gibt es mehr Probleme unter Albanern und unter Serben als zwischen Serben und Albanern.
Dennoch: Die EU will einen unabhängigen Kosovo.
Die EU verlangt normale Beziehungen. Das bedeutet nicht, dass wir Kosovo als Land akzeptieren.
Sie haben eine klare Mehrheit im Parlament. Warum setzen Sie trotzdem Neuwahlen für Ende April an?
Politik ist nicht Mathematik. Es geht nicht um Sitze im Parlament, sondern um Psychologie und um Vertrauen. Ob dieses Vertrauen noch da ist, will ich jetzt testen. Zudem brauche ich frisches Blut für die Regierung, solches holt man am besten durch Neuwahlen.
Vor wenigen Wochen liessen sie oppositionelle Politiker verhaften. Warum?
Das waren korrupte ehemalige Minister. Die Staatsanwaltschaft initiierte die Verhaftungen, es lief alles nach dem Recht ab. Es ist mein Ziel, die Korruption auszumerzen.
Wie korrupt ist Serbien?
Wir haben noch immer grosse Probleme, aber es ist schon viel besser geworden.