«Vielleicht schulden sie ja Schleppern Geld»

Der FC Bayern München lädt Jugendliche Flüchtlinge zum Training ein. Die Bayern-Trikots durften die Flüchtlinge nicht behalten.

Von Peter Hossli (Text) und Pascal Mora (Fotos)

Der knallrote Mannschaftsbus hält an der Säbener Strasse, dem Trainingsgelände von Bayern München. Nicht hoch bezahlte Fussball-Stars steigen aus. Sondern 30 Jungs im Alter von 14 bis 17 Jahren. Aus Syrien sind sie nach Deutschland geflohen, aus Afghanistan, Pakistan und Irak. Allein kamen sie an, ohne Eltern, ohne Geschwister. Von diesen unbegleiteten Flüchtlingen gibt es in München rund 1200.

Die Bayern gingen Anfang September auf die Stadt München zu, fragten an, wie sie helfen könnten. «Wir wollen ein Zeichen setzen», sagt der ehemalige Bayern-Präsident Uli Hoeness. Er sitzt wegen Steuerbetrug eine fast vierjährige Haftstrafe ab, darf aber tagsüber das Gefängnis verlassen. Der Freigänger ist bei Bayern jetzt zuständig für das Projekt mit jungen Flüchtlingen. «Flüchtlingskinder sollen sich in Deutschland wohl fühlen.»

Es ist Mittwoch, kurz vor Mittag, der FC Bayern München veranstaltet ein erstes Training für Flüchtlinge. Bis Ende November will der deutsche Rekordmeister wöchentlich solche Übungseinheiten durchführen, «für die Jugendlichen, nicht für die Presse», sagt der Sprecher der Bayern, Markus Hörwick. Zufällig nur hat Blick.ch davon erfahren. «Dafür laden wir niemanden speziell ein», sagt Hörwick.

Wie lange trainieren sie heute? «So lange bis sie müde sind», sagt Hoeness – und lacht. Maximal zwei Stunden. Zuvor stellen sich die Jugendlichen in eine Reihe, bereit, ihr Material zu fassen. Freiwillige übersetzen von Farsi und Arabisch auf Deutsch, untereinander reden die Teenager Englisch. «Welche Schuhgrösse?», fragt der Materialwart. «41», sagt der 17-jährige Syrer Ghaith. Er erhält ein paar Schuhe, Hosen, Bayern-Leibchen und einen Trainingsanzug.

Wir möchten mit ihm reden. Doch Tanja Al-Mehiawi (49) vom städtischen Jugendamt schirmt ihn ab. Obwohl Ghaith mit der Presse reden will, verbietet sie es ihm. «Ohne Bewilligung geht das nicht», sagt Al-Mehiawi.

Sie handelt juristisch korrekt. Und doch ist das ein bisschen absurd: Flüchtlinge, die aus Kriegen und vor Diktatoren geflohen sind, die auf ihrer Flucht kaum Schutz erhalten haben, leben nun in einer Demokratie und dürfen nicht mehr mit Reportern reden. «Wir müssen die Jugendlichen schützen», sagt Al-Mehiawi. «Vielleicht schulden sie ja Schleppern Geld und sie könnten sie finden.»

In nagelneuen Bayern-Trikots betreten die Jungs einen Kunstrasen. Zwölf Jugendtrainer haben Tore aufgestellt, sie teilen die 30 Kinder in vier Teams ein, üben Penaltys und Freistösse, Kopfbälle und den Doppelpass. Nach einer halben Stunde sind alle warm. Zwei Spiele beginnen. «Bei den Teams achten wir nicht auf die Nationen», erklärt ein Coach. «Es geht nur darum, dass die Kinder Spass haben.»

Der Spass ist riesig, trotz Kälte und Nässe. Bei jedem Tor bricht Jubel aus. Ein syrischer Teenager, der vor einem Monat noch syrischen Mörserangriffen entkam, klatscht jetzt mit einem Trainer ab. Der Afghane, der im Tor steht, lacht über den Verteidiger, der über einen Ball schlägt. «Go, go, go», feuert ein Iraker sein Team an.

Suchen sich die Bayern hier neue Talente? «Das ist überhaupt nicht der Zweck», sagt Hoeness. «Die Leistungsstärke ist nebensächlich, es hat Jungs darunter, die vermutlich gar nicht wissen, wie man Fussball spielt.» Bayern wolle «einen Beitrag zur Integration» leisten.

Gebannt blickt Hoeness aufs Spielfeld, befragt Beamtin Al-Mehiawi. «Dürfen wir den Jungs nach dem Training die Trikots überlassen?» – «Davon raten wir ab », sagt sie und klärt Hoeness auf: «Diese jungen Menschen kamen mit nichts nach Europa, wenn heute Abend dreissig mit neuen Bayern-Trikots und Bällen im Flüchtlingsheim erscheinen, führt das zu Ungleichheiten.» Hoeness versteht. Und hat eine Idee: «Vielleicht sollten wir allen ein Bayern-Trikot schenken.»

Noch sei nicht klar, was das alles bringe, gesteht Hoeness. «Wir tasten uns an die Sache heran.» Nach dem ersten Training will er sich mit der Stadt zusammensetzen und sehen, wie man weitermachen solle. «Es geht nicht um Bayern, sondern um die Jugendlichen.»

Manchmal auf Deutsch, jedoch meist auf Englisch feuern die Jugendtrainer die jungen Spieler an. Ein Trainer mit tunesischen Wurzeln übersetzt auf Arabisch. Hat es Talente? «Die spielen schon ganz gut», sagt er. «Hauptsache aber, sie haben ihren Spass.»

Ein paar hundert Meter davon entfernt lassen die Stars der Bayern den Ball zirkulieren. Götze. Neuer. Lahm. Gegen Tausend Fans sind da, dazu viele Journalisten. Die Flüchtlinge nebenan? Nimmt keiner wahr.

Bis drei Spieler vom Rasen zum Kunstrasen gehen. Der schlaksige Goalgetter Thomas Müller (26), der Abwehrhüne Jérome Boateng (27) und Mittelfeld-Regisseur Thiago Alcantara (24). Kamerateams eilen hinterher. Einer aber ist längst weg: Hoeness.

Die Flüchtlinge sind begeistert, eilen zu Müller, Thiago, Boateng, stellen sich für Selfies neben sie. «Jetzt wird aber Fussball gespielt», befiehlt Müller, schnappt sich einen Ball, streift ein blaues Trikot über, spielt Pässe, verteidigt, greift an, lacht. Ohne Berührungsängste gibt er 30 Flüchtlingen das Gefühl «hey, ich bin einer von euch». Als ein Verteidiger am Boden liegt, ruft Müller einen Sanitäter herbei. Und wenn das gegnerische Team ein Tor schiesst, applaudiert er.

Eine Viertelstunde nur kickt Müller mit jungen Flüchtlingen. Mit wenig Aufwand aber gelingt es ihm, ihnen ein Stück Menschlichkeit zu schenken.