«Wir errichten nie einen Zaun gegen Flüchtlinge»

Serbiens Ministerpräsident Aleksandar Vucic verspricht will eng mit der EU zusammenarbeiten – und resolut gegen Schlepper vorgehen.

Interview: Peter Hossli

vucic2Herr Premierminister, wann errichtet Serbien einen Stacheldrahtzaun gegen fliehende Menschen?
Aleksandar Vucic:
Serbien wird nie einen Zaun errichten, nie Wände hochziehen. Solange ich Premierminister bin, werden Sie an unserer Grenze keinen Stacheldraht sehen. Denn dagegen haben wir angekämpft.

Der ungarische Premier Viktor Orban will weitere Zäune bauen. Welche Folgen hat das für Serbien?
Wir haben gute Beziehungen zu unseren Nachbarn in Ungarn. Diese werde ich wegen dieses Zauns nicht aufs Spiel setzen. Aber wir sind alles andere als erfreut über den Stacheldraht an der Grenze. Es sind deswegen mehr Flüchtlinge in Serbien, und sie bleiben länger – zehn statt drei Tage. Da wir zusätzlich gefordert sind, errichten wir zwei neue Anlaufstellen: eine in Belgrad, eine andere im Norden des Landes. Der Winter naht, Flüchtlinge in Serbien brauchen eine bessere Infrastruktur.

Orban sagt, die Krise sei ein deutsches Problem. Einverstanden?
Es ist ein europäisches Problem, das Problem von uns allen. Wir müssen es noch ernsthafter und mit noch mehr Menschlichkeit angehen – solidarisch und tolerant. Serbien will Teil einer europäischen Lösung sein. Und wir sind bereit, unsere Verantwortung zu übernehmen. Obwohl wir kein EU-Mitglied sind. Wir alle müssen jetzt unser europäisches Gesicht zeigen – und bedürftigen Menschen helfen.

Wie viele Flüchtlinge wandern täglich durch Serbien?
Jeden Tag kommen rund 2200 Migranten an. Als Mazedonien die Grenzen schloss und dann wieder öffnete, waren es 7000 täglich. Wir registrieren sie alle. Jeder wird medizinisch untersucht, fotografiert, wir nehmen ihre Fingerabdrücke. Die Daten teilen wir mit der EU.

Wie viele nimmt Serbien auf?
Dieses Jahr kamen bisher 106 000 Migranten in Serbien an. 521 stellten ein Asylgesuch.

Warum wollen nicht mehr bleiben?
Das weiss ich nicht, vermutlich wollen sie in ein reicheres Land weiterreisen.

Die Schweiz will Ländern auf dem Balkan helfen. Was brauchen Sie?
Allenfalls humanitäre Hilfs­güter, Decken und Kissen. Um Geld bitte ich niemanden. Hätten Sie mich nicht gefragt, hätte ich das nicht einmal erwähnt.

Die Lage in Belgrad aber ist prekär. Familien mit Kindern schlafen mitten in der Stadt im Freien.
Wir strengen uns täglich an, die Situation zu entschärfen. Derzeit errichten wir in Belgrad ein neues Aufnahmezentrum. Im Winter muss sicher niemand mehr draussen schlafen.

Serbische Taxifahrer und Busfirmen transportieren Flüchtlinge gegen viel Geld. Warum gehen Sie nicht resoluter gegen die Profiteure des Elends vor?
Wir gehen resolut vor! Bisher haben wir 528 Strafanzeigen eingereicht gegen solche Profiteure. Serben dürfen kein Geld machen mit dem Transport bedürftiger Menschen. Wir können Flüchtlingen etwas zu essen geben, sie beherbergen. Aber wir dürfen sie nicht schleusen. Ich toleriere nichts Illegales.

Was erwartet Serbien von der EU?
Die Einbindung in eine gemeinsame Lösung. Schaut jedes Land für sich, haben wir ein Chaos.

Wer soll neben der EU sonst noch etwas tun? Die USA? Golfstaaten?
Siebzig Prozent der Flüchtlinge kommen aus dem Irak und Sy­rien. Diese beiden Länder müssen ihre Probleme lösen, die Welt muss ihnen dabei helfen. Und der IS muss bekämpft werden.

Sollen Katar und Saudi-Arabien mehr Flüchtlinge aufnehmen?
Wir leben in einer offenen Welt. Menschen meiden Saudi-Ara­bien, weil sie sich in Europa ein besseres Leben erhoffen. Das können wir nicht verbieten.

Europas Politik scheint hilflos. Was ist Ihr Rezept?
Viele EU-Länder und EU-Kandidaten erwarten immer etwas von der EU. Es ist einfach, pro-europäisch zu sein, wenn Gelder aus europäischen Töpfen fliessen. Aber jetzt ist die Situation schwierig, und wir alle müssen etwas zu einer gemeinsamen ­Lösung beitragen. Ser­bien kann keine Lösung anbieten, wir sind ein kleines Land. Aber wir ­helfen bei einer gemeinsamen ­Lösung. Klar ist: Ohne Einheit erreichen wir gar nichts.