“Ich habe kein einziges Geheimnis mehr”

Er gehört zu den besten Komikern der Gegenwart: John Cleese über die 20 Millionen Dollar, die er seiner Ex zahlen musste, die Schweiz und wie ihn die Welt nach seinem Tod ehren soll.

Interview: Peter Hossli

cleeseDer Brite John Cleese (75) ist einer der begabtesten lebenden Komiker. Er studierte Jura. In den 60er-Jahren formte er die Humoristen-Truppe Monty Python. Ab 1969 strahlte die BBC die Sketch-Reihe «Monty Python’s Flying Circus» aus. Die Gruppe trennte sich 1983, danach arbeitete Cleese als Drehbuchautor und Schauspieler. «A Fish Called Wanda» (1988) gilt als sein Meisterwerk. Er spielte u. a. in «James Bond»- und «Harry Potter»-Filmen mit. Er war viermal verheiratet, ist dreimal geschieden. Im Frühling erschien seine Autobiografie «Wo war ich noch mal?».

Guten Morgen, Mister Cleese.
John Cleese: Oh, guten Tag, Sie rufen ja pünktlich an, halt typisch Schweizer.

Sie sind aber rasch beim Klischee.
Ganz und gar nicht. Zürich und die Schweiz gefallen mir ausserordentlich gut. Wäre ich noch jung, würde ich sofort in die Schweiz ziehen. Es ist das beste Land Europas.

Wie kommen Sie denn darauf?
Die Schweiz ist perfekt organisiert und stabil, die Menschen sind sehr anständig und fleissig, und all das beflügelt die Künste.

Sie wären sicher willkommen. Warum ziehen Sie nicht einfach hierher?
Weil es in der Schweiz viele furchtbar kalte und nasse Tage gibt.

England ist in diesem Punkt nicht besser.
Oh, England ist ganz schrecklich, deshalb verbringe ich den Winter ja in Kalifornien.

Genug Small Talk: Hand aufs Herz, Mister Cleese, wie viel Geld verstecken Sie auf Schweizer Banken vor Ihrer Ex-Frau?
Nichts! Rein gar nichts! Meine Ex hat viel mehr Geld als ich, und das ist nicht etwa ein schlechter Witz. Es ist die brutale Wahrheit. In den letzten sieben Jahren musste ich 20 Mil­lionen Dollar zusammenkratzen – und alles ihr überweisen. Geblieben ist mir eine bescheidene Wohnung in London, meine neue Frau und vier Katzen. Sonst besitze ich nichts mehr.

Ist irgendetwas witzig an einer Scheidung, die einen 20 Millionen Dollar kostet?
Witzig nicht, aber ich bin positiv erstaunt, dass ich mein Vermögen verlieren konnte und trotzdem nicht depressiv geworden bin.

Dann war die Scheidung Glück im Unglück?
So weit gehe nicht. Es war ziemlich einfach, meiner Ex jenes Geld abzuliefern, das ich
bereits hatte. Aber es war verdammt anstrengend, das zusätzliche Geld zu erarbeiten.

Immerhin freuten sich Ihre Fans: Sie gingen auf eine «Tour der Alimente».
Nach einem Auftritt in Oslo stand einer im Publikum auf und sagte, er sei meiner Ex-Frau sehr dankbar, ohne sie wäre ich nie nach Norwegen gekommen. Da hat er sicher recht.

Im Juli 2015 leisten Sie Ihre letzte Zahlung. Wie feiern Sie das?
Mit einer dicken Party! Ganz ehrlich: Ich bin ziemlich erleichtert. Da ich künftig mein Geld behalten kann, wird sich alles ändern.

Inwiefern?
Statt für Geld zu arbeiten, wähle ich jetzt nur noch Projekte aus, die mich interessieren. Derzeit adaptiere ich ein französisches Theaterstück von 1890. Das hätte ich mir zuvor schlicht nicht leisten können.

Was bedeutet Ihnen denn Geld?
Herzlich wenig. Letztlich bestimmt es einzig, ob ich am Abend eine gute oder eine weniger gute Flasche Wein trinken kann.

Haben Sie genug Bares?
Das frage ich jeweils meinen Buchhalter. Mich fasziniert, wie gierig gewisse Leute sind. Für mich ist Geld nicht mehr als das, was ich damit kaufen kann. Eine Wohnung, etwas zu Essen, eine schöne Ferienreise, ein Geschenk für andere.

Brauchen Sie etwas, was Sie nicht haben?
Einen kleinen Garten. Den kann ich mir in London nicht leisten. Deshalb ziehe ich nächstes Jahr nach Bath, in den Westen Englands. Dort kaufe ich ein kleines Haus mit Umschwung. Mehr will ich nicht.

Wann hat ein Mensch genug Geld?
Wo ich aufwuchs, verdiente niemand viel. Die Leute hatten Jobs und verbrachten Zeit mit Freunden und Familie. Keiner hatte das Ziel, eine oder zwei Milliarden zu verdienen. Und doch waren die meisten glücklich.

Sind Reiche unglückliche Menschen?
Die Reichen, die ich in meinem Leben traf, fand ich durchwegs uninteressant.

Sie sind 75 Jahre alt – und werden doch immer besser. Hören Komiker nie auf?
Das trifft doch für die meisten Kreativen zu. Ein Maler lässt sich nicht pensionieren, ein Musiker hört nie auf zu musizieren. Sie lieben das, was sie tun. Genau wie ich.

Was treibt Sie beruflich noch an?
Dinge, die mich unterhalten und herausfordern. Deshalb schreibe ich lieber, als dass ich auftrete. Stehe ich auf der Bühne, sage ich ja stets, was ich bereits am Vorabend gesagt hatte. Das ist nicht sonderlich kreativ.

Was ist denn ein guter Komiker?
Einer, der immer wieder etwas Neues ausprobiert. Dabei muss er nicht unbedingt revolutionär sein, aber immer originell.

Auch klug?
Gute Komiker sind kreativ, und sie denken schnell und quer. Sie erkennen jene Dinge als absurd, die für die meisten als normal gelten.

Weshalb sind Sie ein guter Komiker?
Mir helfen Bücher, welche die Welt etwas anders erklären. Etwa «Der Schwarze Schwan» von Nassim Nicholas Taleb.

Taleb bezeichnet darin wesentliche und unerwartete Dinge als schwarze Schwäne.
Mir gab er einen komplett neuen Blick auf die Welt. So was bringt mich weiter. Zudem lese ich akademische Psychologie. Sie hilft mir bei meinem neuen Programm «Es gibt nirgends Hoffnung» – ausser in der Schweiz!

Sie betrachten die Welt und suchen in Widersprüchen Humor. Was inspiriert Sie?
Nehmen Sie die katholische Kirche. Dort geht es einzig um Macht. Wer ist ihre Leitfigur? Jesus Christus. Und gerade der interessierte sich zuallerletzt für Macht. Das ist völlig paradox – und genau das fasziniert mich.

Eine andere mächtige Organisation ist der Weltfussballverband, die Fifa in Zürich …
(Lacht laut.)

Sie sind ein Fussballexperte.
Ich liebe Fussball, und ich verfolge das Treiben der Fifa seit Jahren. Wie alle in Europa bin ich überzeugt: Die Fifa ist hoch korrupt.

Was halten Sie von ihrem Präsidenten, dem Schweizer Sepp Blatter?
Nicht alles, was er machte, ist schlecht. Blatter trug den Fussball in die Welt, was sehr gut ist. Für mich gibt es aber keine Zweifel: Er hat die WM nach Russland und Katar verkauft.

Warum sind Briten witziger als die anderen?
Wir können gut über uns selber lachen. Das gelingt, weil es Platz hat zwischen uns und unserem Ego. Ein Franzose weiss nicht einmal, dass es diesen Platz überhaupt gibt.

Nach der «Charlie Hebdo»-Attacke im Januar schrieb die Schweizer Bundesrätin Doris Leuthard auf Twitter «Satire ist kein Freipass.» Hat Sie recht?
Nach gewissen Islam-Witzen muss man damit rechnen, dass einer einen umbringt. Ist etwas legal, aber du stirbst trotzdem dabei, dann ist das in einem Bereich zwar erlaubt, aber nicht im anderen. Ziemlich philosophisch, nicht?

Wie weit darf Satire denn gehen?
Witze darf man über absolut alles machen. Ausser über physische Schmerzen anderer.

Sie bewundern den Dalai Lama. Sind Sie religiös?
Ich bin auf der Suche, und ich glaube, dasses etwas neben der materiellen Welt gibt. Die Wissenschaft hat bisher ja erst an der Oberfläche unserer Realität gekratzt.

Sind Sie im Alter religiöser geworden?
Bereits mit 16 Jahren war ich auf der Suche. Was ich fand, befriedigte mich nicht. Dann fing ich an, die mystische statt die praktische Seite der Religion anzuschauen. Es muss eine Realität geben, welche die Wissenschaft noch nicht versteht. Mathematiker haben tolle Gleichungen, die zwar vorhersagen, was passieren könnte. Aber sie alle scheitern daran, die Wirklichkeit korrekt zu beschreiben.

Sie sind der erste Mensch, der im britischen Fernsehen «Scheisse» sagte …
… das ist richtig.

Worauf sind Sie sonst noch stolz?
Auf zwei Filme, die mir nahezu perfekt geraten sind: «A Fish Called Wanda» und «Life of Brian». Die eine Hälfte der «Monty Python»-Programme ist ziemlich gut. Zudem hat mich Robert De Niro in «Frankenstein» umgebracht. Und auf Madagaskar gibt es eine Lemurenart, die nach mir benannt ist.

Im Universum kreist der Astroid «9618 Johncleese». Was wissen Sie darüber?
Rein gar nichts. Ich weiss nicht einmal, wer ihn getauft hat.

Was sonst sollte John Cleese heissen?
Nach dem Tod will ich eine Statue auf dem Londoner Trafalgar Square, 150 Meter hoch. Zuoberst throne ich, gut aussehend, erhaben.

Mit einem Oberlippen-Bart im Gesicht?
Das ist ganz wichtig. Da wir telefonieren: Derzeit trage ich einen Vollbart.

Wie kamen Sie denn dazu?
Ich habe eben einen Film in Bulgarien gedreht, darin spiele ich einen Bösewicht. Da
es in Bulgarien absolut nichts zu tun gibt, liess ich mir den Bart wachsen.

Und warum lassen Sie ihn stehen?
Meine Frau mag ihn. Sie muss ihn ja länger anschauen als ich. Deshalb darf sie darüber entscheiden. Die Statue auf dem Trafalgar Square sollte aber nur einen Schnauz haben.

Also keinen Bart?
Keinen Bart! Wenn ich aber darüber nachdenke, sollte man einen Bart anfertigen und ihn mir an speziellen Tagen montieren.

Gibt es etwas, was Ihnen peinlich wäre?
Nein, nichts mehr. Das hilft, mit britischen Journalisten umzugehen. Die laben sich
daran, dass die Menschen sich vor ihnen fürchten. Ich habe keinerlei Angst mehr, weil ich kein einziges Geheimnis mehr habe.

Letzte Frage: Sind Sie verliebt?
Unsterblich verliebt! Und zwar in fünf Leute, darunter ist nur ein Mensch, nämlich Jenny, meine Frau. Ich nenne sie Fisch, weil sie eine gute Schwimmerin ist. Die anderen vier sind Katzen, die ich sehr liebe.