Das Spiel ist aus

Im Hotel Baur au Lac werden sieben Fifa-Funktionäre verhaftet. Der Tag, an dem die Welt nach Zürich schaute.

Von Peter Hossli und Adrian Meyer

Gestern früh, kurz nach fünf Uhr. Drei amerikanische Reporter sitzen in der Lobby des Zürcher Nobel­hotels Baur au Lac, dazu ein Fotograf. Es ist wolkenlos, die Alpen sind zu sehen. Bald kommt die Polizei, wissen die Journalisten.

Kurz vor 6 Uhr fahren Autos vor dem Hotel vor: Opel, Skoda und BMW. Mehr als ein Dutzend zivile Kantonspolizisten steigen aus, betreten das Hotel. Sie tragen Jeans, Umhängetaschen und Pullover. An der Rezeption zeigen sie ihre Ausweise – und verlangen sieben Zimmerschlüssel. In der Lobby ist es ­ruhig, die meisten Hotelgäste sollen nicht gestört werden.
Fifa-Sprecher Walter De Gregorio schläft zu dieser Stunde. Noch ahnt er nicht, dass Kantonspolizisten heute sieben Fifa-Funktionäre im Hotel verhaften.

Es geht schnell. Um 6.36 Uhr führen sie einen ersten Funktionär aus dem Personalausgang an der Dreikönigsstrasse. Hotel-angestellte schirmen ihn mit Leintüchern ab. Der Schweizer Fotograf Pascal Mora hält die Szene fest – das Bild geht als Ikone der Razzia um die Welt.

Polizisten tragen Säcke mit Beweismaterial weg. Elf Minuten später, um 6.47 Uhr, be­gleiten die Beamten eine weitere Person auf die Dreikönigs­strasse. Sie bemerken die ­Presse. Fortan müssen die ­Häftlinge das Hotel über die Garage verlassen. Alle nehmen ihr ­Gepäck mit. Das Hotel ist ruhig, berichten Augenzeugen. Nur das Personal ist aufgekratzt.

Als Erste vermelden «New York Times», Bloomberg und das «Wall Street Journal» die Verhaftung der Fifa-Funktionäre. Das US-Justizdepartement hat die Journalisten gezielt vorab informiert – und macht die Presse so zu ihren Verbündeten.

Es ist kurz vor sieben, Fifa-Sprecher De Gregorio ist jetzt hellwach. Er betont, Fifa-Präsident Sepp Blatter (79) sei nicht unter den Verhafteten. Auf 11 Uhr setzt er eine Medienkonferenz beim Fifa-Hauptsitz nahe des Zoos an.

Vor dem Baur au Lac versammeln sich 40 Journalisten. Der Zugang zum Hotel ist versperrt. Der Concierge: «Sie können hier keinen Kaffee mehr trinken, das ist jetzt ein privater Ort.»

Das Bundesamt für Justiz (BJ) informiert. Die sieben Verhafteten seien «gemäss US-Verhaftsersuchen verdächtigt, Bestechungsgelder in Millionen­höhe angenommen zu haben» – und zwar seit 1991. Es sind allesamt Fussballfunktionäre aus Lateinamerika, dazu ein Brite.

Beim Fifa-Hauptsitz fahren Ermittler der Schweizer Bundesanwaltschaft vor. Sie stellen elektronische Daten und Dokumente sicher. Sie haben ein Strafverfahren gegen Unbekannt eröffnet – rund um die Vergaben der Fussball-Weltmeisterschaften 2018 und 2022. Der Verdacht: «ungetreue Geschäftsbesorgung» und «Geldwäscherei». Das Bundesamt für Justiz (BJ) lässt bei «verschiedenen Banken in der Schweiz» Konten sperren, «über welche die Bestechungsgelder geflossen sein sollen».

Weder die UBS noch die Credit Suisse nehmen Stellung, ob die gesperrten Gelder bei ihnen liegen. Das BJ gibt die Namen der Banken nicht bekannt.

Derweil wird die Facebook-Seite der Fifa mit über 2,7 Millionen Likes von wütenden Kommentaren geflutet. «Weg mit Sepp», schreiben einige, «korruptes Pack» oder MAFIFA andere. Der Administrator versucht Kommentare zu löschen. Vergeblich, es sind zu viele.

Twitterer spotten mit den Hashtags #FifaFängnis, #FifaArrests und #FifaCorruption. «Katarfrühstück bei den Blatters» twittert etwa Günther Hack. «Die Fifa ist nicht korrupt, da läufts wie geschmiert», schreibt Marcel Arnold. Philippe Meier: «Tschau Sepp!»

Um 11 Uhr ist der Medien-Saal der Fifa mit rund 150 Journalisten gefüllt. Fünfzehn Minuten verspätet beginnt die Pressekonferenz. Vorne sitzt Fifa-Sprecher De Gregorio – alleine. Britische, amerikanische und deutsche Journalisten stellen kritische Fragen, wollen wissen, ob der heute beginnende Fifa-Kongress überhaupt durchgeführt werden könne. «In diesem Fall ist die Fifa die geschädigte Partei», so De Gregorio. Das Timing sei zwar nicht gut. «Aber die Fifa begrüsst die Entwicklungen und will mit den Behörden kooperieren.»

Klar, Präsident Blatter sei heute gestresster als gestern. «Aber er ist ruhig, verfolgt. was passiert und kooperiert.» Und: «Er ist sicher nicht in seinem Büro am Rumtanzen.» De Gregorio sucht das Positive: «Der Präsident weiss, das sind Folgen eines Prozesses, den wir gestartet haben.» Blatter werde wie geplant an die Frauen-WM nach Kanada reisen. Obwohl Kanada ihn an die USA ausliefern könnte.

Unter den Journalisten befindet sich ein Reporter aus Katar. Er spricht Englisch. Was denkt er über Korruption? «No understand.» Findet die WM 2022 in Katar statt? Er eilt davon.

Am Nachmittag befragen die Zürcher Kantonspolizisten in verschiedenen Gefängnissen die Inhaftierten. Damit sie sich nicht absprechen, unterbindet die Polizei jeglichen Kontakt.

Vom Baur au Lac nach Brooklyn: Um 16.42 Uhr treten im New Yorker Stadtteil US-Ermittler vor die Medien, an der Spitze Justizministerin Loretta Lynch (56). Sie zünden ein Feuerwerk – gegen die Fifa. Seit «zwei Generationen» würde bei der Vergabe von Fernsehrechten bestochen. «Das ist die Weltmeisterschaft des Betrugs», so Ermittler Richard Weber. «Und heute zeigen wir der Fifa die Rote Karte.» FBI-Direktor James Comey: «Das schöne Spiel ist gekapert worden.»

Am Abend vermeldet das BJ: Sechs der sieben Verhafteten erheben Einspruch gegen eine Auslieferung in die USA. Sie bleiben in Zürich in Haft.

Auch Blatter meldet sich noch zu Wort: «Wir nehmen alle aus dem Spiel, die sich fehlverhalten haben.»