“Es gibt wohl keine Rezession”

Nach dem Frankenschock hofft Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann auf Wachstum dank Europa und Amerika. Er ist verhalten optimistisch.

Interview: Peter Hossli und Marcel Odermatt; Fotos: Marco Zanoni

schneider_ammann1Herr Bundesrat, Sie sind liberal. Warum lehnen Sie ein Sparprogramm beim Bundespersonal ab?
Johann Schneider-Ammann: Wer hat Ihnen gesagt, ich wolle nicht sparen?

Es stand in der «SonntagsZeitung».
Ich nahm das mit grossem Erstaunen zur Kenntnis. Falsche Behauptungen lasse ich mir nicht bieten. Deshalb stellte ich klar: Es stimmt nicht. Seit Jahren unterbreite ich übrigens Vorschläge, um sinnvoll staatliche Kosten zu senken.

Trotz Dementi beharren die Journalisten auf ihrer Version. Wer sagt die Wahrheit?
Der Bundesratssprecher hat besagten Artikel ebenfalls dementiert. Journalisten haben in Demokra­tien eine grosse Verantwortung.

Sie könnten derzeit ein Kind vor dem Ertrinken retten – und würden dafür trotzdem kritisiert werden. Warum?
Die jetzige Situation ist schwierig. Über Nacht erstarkte der Franken. Die Wettbewerbsfähigkeit leidet. Bringt der Wirtschaftsminister nicht sofort eine Verbesserung, hagelt es Kritik. Die Ungeduld ist riesig.

Sie könnten sich zur Ruhe setzen. Warum tun Sie sich das an?
Ich habe das Privileg, in einem Land mit grossartigen Bedingungen zu leben, das mir viel gegeben hat. Stets habe ich versucht, einen Beitrag zu leisten, dass es so bleibt. Mit aller Kraft kämpfe ich dafür, dass möglichst jeder und jede einen Job hat. Und damit Chancen und Perspektiven. Ich tue das gerne und ich nehme das Risiko in Kauf, kritisiert zu werden.

Wie gerne sind Sie in dieser Krise Wirtschaftsminister?
Es ist derzeit keine Wirtschaftskrise!

Sondern?
Eine enorm anspruchsvolle neue Situation. Mein Ziel ist die Vollbeschäftigung. Dafür braucht es langfristig einen Wechselkurs auf Kaufkraftparität. Davon sind wir weit entfernt. Aber das ist jetzt die Realität.

Am 15. Januar kostete der Euro 84 Rappen. Wie reagierten Sie?
Ich habe rasch die Sozialpartner zusammengerufen. Ich sagte ihnen: Diese Herausforderung meistern wir gemeinsam, Panik ist fehl am Platz, aber wir müssen den Standort Schweiz stärken. Und hoffentlich dauert es nicht allzu lange, bis sich der Kurs dorthin ent­wickelt, wo er hingehört.

Und wo gehört er hin?
Auf über 1.20.

Jetzt ist er bei 1.07. Erleichtert?
Es ist gut, dass sich der Wechselkurs zu normalisieren beginnt.

Wie erklären Sie das?
Nicht nur der Franken wird schwächer, sondern der Euro stärker.

Eveline Widmer-Schlumpf nennt 1.10 als kritische Grenze für die Schweizer Wirtschaft. Und Sie?
Ich komme aus der Maschinenindustrie. Für diese Branche ist ein Wechselkurs von 1.10 zu tief. 1.10 reicht für die meisten Firmen knapp zum Überleben. Sie können aber keine Gewinne erwirtschaften, um notwendige Investitionen zu tätigen, um die Zukunft zu sichern.

Wie gross ist die Gefahr einer Rezession in der Schweiz?
Wenn sich die europäische Konjunktur positiv entwickelt, die deutsche Exportwirtschaft läuft und die USA weiterhin in Schwung bleiben, dann profitiert die Schweiz. Das bedeutet wohl, dass sich das Wachstum deutlich abschwächt, aber es keine Rezession gibt. Spekulieren will ich nicht.

Unser Schicksal liegt in den Händen Europas?
Es ist mit Abstand der wichtigste Absatzmarkt, aber seit Jahren in der Krise. Geht es Europa gut, geht es uns gut. Freihandelsabkommen mit anderen Ländern können diese Abhängigkeit verringern.

Schweizer Firmen wollen keine zusätzlichen Belastungen. Die Energiewende ist sehr teuer. Müsste man sie jetzt sistieren?
Für Unternehmer sind drei Faktoren zentral. Sie wollen Klarheit über die Zukunft der bilateralen Verträge. Dazu eine schnelle Klärung der Unternehmenssteuer-Reform III. Und sie bitten den Staat, keine neuen Regulierungen zu
machen, die nicht zwingend sind.

Eigentlich müsste der Bundesrat jetzt die Energiewende stoppen.
Bundesrat und Parlament haben die Energiewende beschlossen. Entscheidend ist, wie man sie umsetzt. Es braucht eine zuverlässige Versorgung rund um die Uhr. Der Preis muss bei den Top 3 der OECD liegen. Und es sollte gelingen, die inländische Nachfrage möglichst mit Schweizer Strom zu decken.

Wie isoliert sind Sie im Bundesrat als Liberaler?
Es ist derzeit nicht einfach, mit liberalen Positionen zu überzeugen. Ist man beseelt – und ich bin beseelt vom liberalen Erfolgsrezept –, nimmt man in Kauf, einen Vorschlag mal nicht durchzubringen. Ich stehe zur Kollegialität.

Früher galt die Schweiz als Land mit liberaler Wirtschaftsordnung. Warum ist dies passé?
Wir sind noch immer viel liberaler als unsere Nachbarn. Aber wir büssen Vorsprung ein. Weil es uns
ausserordentlich gut geht. Vielen scheint das selbstverständlich. Deshalb versuchen wir diesen Wohlstand mit immer neuen Normen abzusichern und zu verteidigen. Für mich ist das falsch.

Wie liberal ist der Bundesrat?
Zwar reden wir davon, liberal zu sein. Blicken wir in den Spiegel, führen wir aber eher noch mehr Regeln ein, mehr Gesetze, mehr Verordnungen. Das gilt nicht nur für den Bundesrat.

Bei Verhandlungen mit der EU scheint jeder Bundesrat eigensinnig zu agieren. Warum kommt das nicht mehr aus einem Guss?
Sie liegen falsch. Wir sind gut abgestimmt. In Brüssel hören wir immer wieder: «Genau dasselbe hat uns schon Ihr Kollege gesagt.» Das macht es für die EU schwieriger.

Bundesrätin Widmer-Schlumpf will nochmals über Europa abstimmen lassen. Und Sie?
Die bundesrätliche Haltung ist klar: Es wird in den nächsten Monaten keine neue Abstimmung
geben. Die Vernehmlassung zur Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative läuft jetzt. Danach nimmt der Bundesrat den nächsten Schritt in Angriff.

Der Bundesrat will die Bilateralen erhalten. Dafür braucht es doch eine neue Abstimmung.
Der Bundesrat will den Verfassungsauftrag umsetzen und gleichzeitig die Bilateralen erhalten und weiterentwickeln. Das ist die Quadratur des Kreises. Jetzt versuchen wir, das zu erreichen.

Ihre Prognose – gelingt das?
Das Verhältnis mit der EU muss stabilisiert und gesichert werden. Dafür suchen wir Lösungen. Beide Seiten wollen miteinander reden.

UBS-Chef Sergio Ermotti fordert weniger Staat. Darf er das?
Er darf es als Privatperson, Bürger und Konzernchef. Wir leben in einer offenen Gesellschaft. Ich erwarte das sogar von Unternehmenschefs. Die Firmen profitieren vom attraktiven Standort Schweiz. Sie sollen sich dafür einsetzen.

Der Staat hat die UBS gerettet!
Ich bin nie vor Kritik zurückgeschreckt, wenn auf dem Finanzplatz Fehler passierten. Und ich habe Verständnis, wenn genau hingehört wird, wenn sich ein Vertreter dieser Branche äussert. Aber ich bin jedem dankbar, der sich in
unserer Demokratie einbringt.

FDP-Präsident Müller will keine nationalen Listenverbindungen mit der SVP. Ist das klug?
Was der Präsident der FDP sagt, ist immer klug!

In Baselland hatte eine Allianz aus SVP, CVP und FDP Erfolg. 
Philipp Müller sagt richtig, dass nicht die nationale Partei, sondern die kantonalen Sektionen über Allianzen entscheiden.

Im Dezember stehen Bundesratswahlen an. Kandidieren Sie?
Ich werde 2016 Bundespräsident.

Das heisst, Sie kandidieren?
Ja.