Das tödliche Virus in der Weltstadt

Ebola ist dort angekommen, wo es sich am schnellsten ausbreiten könnten – in einer Stadt mit U-Bahn.

Von Peter Hossli

craig_spencerEtwas matt fühlt sich Craig Spencer (33) am Dienstag. Er misst die Temperatur. Fieber hat er nicht. Am Nachmittag geht der New Yorker Arzt ins Greenwich Village, isst in einer Beiz. Er kauft gerösteten Kaffee ein, spaziert im Park. Um 17.30 Uhr nimmt er die Subway zu seinem Haus in Harlem. Mitten im Stossverkehr.

Am Mittwoch früh joggt er fünf Kilometer, postet Gemüse. Abends fährt er per Subway nach Brooklyn, kegelt. Ein Taxi bringt ihn heim.

Als er am Donnerstag erwacht, fühlt er sich erneut matt. Jetzt hat er 38 Grad Fieber. Um elf Uhr ruft er die Organisation Ärzte ohne Grenzen an. Zwei Stunden später holen ihn Männer in Schutzanzügen ab. Im Spital bestätigt sich der schlimme Verdacht. Er hat Ebola.

Angekommen ist das tödliche Virus, wo es sich rasant ausbreiten könnte: in einer Weltstadt mit U-Bahn. Täglich vier Millionen Menschen reisen in New York per Subway. Viele Pendler fürchten nun, sich im Zug anzustecken.

Was eine Katastrophe wäre. Erliegen würde das globale Finanzzentrum, die Uno, eine Metropole mit 20 Millionen Menschen, quasi der Nabel der Welt. Die Folgen für die Weltwirtschaft? Fatal.

Dagegen kämpfen die Behörden in New York mit Hochdruck an. Jeden Schritt Spencers verfolgen sie genau zurück, eruieren, wo er seinen Subway-Pass benutzte, wo er mit seiner Kreditkarte zahlte.

Drei Personen, denen er nahe war, sind isoliert, darunter seine Verlobte. Die Behörden versiegeln und reinigen Spencers Wohnungen. Die Kegelbahn in Brooklyn ist geschlossen. Der Pöstler, der Briefe in Spencers Gebäude liefert, trägt neuerdings Schutzmaske.

Eine heftige Debatte ist entbrannt. Hat sich der Arzt verantwortungslos verhalten? Hätte er am Dienstag zu Hause bleiben sollen? Warum nahm er die Subway? Ausgerechnet er, der in Afrika Ebola-Patienten umsorgte.

New Yorks Bürgermeister beschwichtigt. «Wir haben weltweit das beste Gesundheitssystem», sagt Bill de Blasio (53). «Nahezu null» Gefahr bestehe in der Subway. Seit Monaten üben New Yorks Spitäler den Ernstfall. Extreme Situationen sind ihnen vertraut – seit dem Terror vom 11. Sep­tember 2001 und den da­rauf folgenden Anthrax-Attacken.

Wochenlang pflegte Spencer in Guinea Ebola-Kranke. Am 14. Oktober verliess er Westafrika, flog über Brüssel nach New York.

Bevor die Krankheit ausbricht, kann das Virus bis zu 21 Tagen im Körper schlummern. Erst wenn ein Patient Symptome zeigt, kann er Ebola übertragen. Je kranker jemand ist, desto ansteckender wird er. Spencer hatte erst am Donnerstag erhöhte Temperatur – bloss 38 Grad. Demnach sei die Ansteckungsgefahr eher niedrig.

Trotzdem reagiert die Politik drastisch. Die Gouverneure New Yorks und New Jerseys verhängen eine 21-tägige Quarantäne für alle, die mit Ebola-Patienten in Kontakt waren. «Eine freiwillige Quarantäne reicht nicht mehr», so New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo (56). So wurde am Flughafen von New Jersey bereits eine Pflegerin unter Quarantäne gesetzt.

Das könnte viele Amerikaner abschrecken, sich für den Einsatz in Afrika zu melden, fürchtet die Uno. Sie wären dringend nötig. Bis 1. Dezember braucht es laut Uno 19000 Ärzte und Pfleger, um die Krise in Westafrika in den Griff zu bekommen. Bis heute erkrankten rund 10000 Menschen an Ebola, die Hälfte starb.

Besonders betroffen sind Liberia, Sierra Leone und Guinea. Letzte Woche starb zudem in Mali ein zweijähriges Mädchen – es war mit 40 Personen in Kontakt.

Über 100 Schweizer leben derzeit in der Region, sagt EDA-Sprecherin Sonja Isella. Es sind 8 in ­Sierra Leone, 87 in Guinea, 10 in Liberia. Dazu kommen 15 Helfer, die sich temporär dort aufhalten. Nötig wären mehr. Doch nur wenige Schweizer melden sich.

Wird Spencer gesund, wäre er gegen Ebola immun und könnte zurück. Sein Zustand sei stabil. Er telefonierte vom Spital mit der Freundin – und machte Yoga.