Warum die Welt brennt

Bundespräsident Didier Burkhalter über die globalen Konflikte – und warum Schweizer Diplomaten gefragter denn je sind.

Von Peter Hossli

didier_burkhalter• Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) hat eine vierte Geisel getötet – und stellt ein Video der Enthauptung ins Internet. • Trotz Waffenstillstand in der Ukraine: wieder Dutzende Tote bei Kämpfen in Donezk. • Hoffnungslosigkeit in Gaza: 18000 zerstörte Häuser in 50 Tagen Krieg. • In Libyen droht endloses Chaos.

Herr Bundespräsident, wie sicher ist die Welt?
Didier Burkhalter:
Nicht sicher genug! Man muss handeln. Wir erleben derzeit eine Anhäufung von Krisen. Der Konflikt in der Ukraine stellt uns vor Augen, dass Frieden und Sicherheit in der Welt keineswegs selbstverständlich sind. Mit der OSZE verfügen wir über eine Plattform, die den Dialog aufrechterhalten kann. Das ist eine entscheidende Voraussetzung für politische Lösungen.

Welcher Konflikt ist für Sie der gefährlichste?
Jeder Konflikt ist schlimm, für die Menschen, die Re­gio­nen und Länder. Eine Ein- oder Abstufung einzelner Konflikte wäre zynisch. Stets gilt, dass viele dieser Konflikte – ob es sich um Staatsverfall oder Konflikte zwischen Staaten handelt – sehr kompliziert und anspruchsvoll zu lösen sind.

Wie gefährlich ist der IS?
Es ist eine sehr gefährliche Entwicklung. Schon wegen der schweren Verletzungen des humanitären Völkerrechts, die damit einhergehen. Die Schweiz hat bereits ihre humanitäre Hilfe für die Opfer in Irak erhöht und beobachtet genau, wie sich die Lage der Zivilbevölkerung entwickelt.

Was halten Sie von einem IS-Verbot in der Schweiz?
Der Bundesrat wird darüber nächstens entscheiden. Es gibt gute Gründe für ein Verbot, denn der sogenannte IS verstösst in eklatanter Weise gegen universell gültige Grundwerte.

Warum hinterfragten Sie die Rechtmässigkeit der US-Angriffe in Syrien?
Für die Intervention sollte eine Resolution des Uno-­Sicherheitsrats vorliegen. In Krisenzeiten müssen wir uns mehr denn je für das Völkerrecht einsetzen.

Wie kann dieser Konflikt eingedämmt werden?
Es geht nur über ein gemeinsames Engagement der Staatengemeinschaft. Es braucht einen umfassenden Ansatz, der verschiedene Aspekte einschliesst: wirtschaftliche Aspekte, ­Sicherheits-, Bildungs- und Entwicklungsaspekte. Wichtig ist die Unterstützung vor Ort, um die Armut zu bekämpfen.

Warum unterstützt die Schweiz das Sammeln von Beweisen in Syrien?
Weil schwere Menschenrechtsverbrechen nicht ungeahndet bleiben dürfen. Die Schweiz hat sich immer stark für den Kampf gegen Straflosigkeit engagiert. Im aktuellen Fall hat sie den Irak aufgefordert, alle Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechtes zu untersuchen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Das ist wichtig für Menschen, die von Verbrechen direkt betroffen sind. Es ist wichtig im Hinblick auf die Zeit nach Ende des Konflikts: Dann muss Vertrauen aufgebaut werden, damit wieder stabile Strukturen entstehen können.

Was kann die Schweiz tun, um den IS zu stoppen?
Wir müssen verhindern, dass junge Menschen vom gewalttätigen Extremismus angezogen werden. Viele lokale Gruppen haben Projekte, um dies zu erreichen. Dank eines neuen interna­tionalen Fonds in Genf können solche Projekte unterstützt werden.

Welcher Konflikt betrübt Sie persönlich?
Das Engagement für den Frieden, für Frieden künftiger Generationen, ist für mich das Wichtigste. Deshalb trifft es mich im Herzen, dass der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist. So wie mich jeder Konflikt betrübt. Immer kommen Menschen zu Schaden: An Leib und Leben, durch Angst und Verunsicherung den Verlust von Angehörigen – und weil ein Konflikt oft die Perspektiven ganzer Generationen zerstört. Was heisst es, in einer Region zu leben, in denen Tausende von Minen verstreut sind? Was heisst es, während Monaten in einem Flüchtlingslager nicht zu wissen, ob Angehörige noch leben?

Sie trafen unlängst Barack Obama in New York. Ihr Eindruck?
Unser Treffen am Rande der Uno-Generalversammlung war kurz, aber herzlich. Ich habe ihn zu einem Besuch in die Schweiz eingeladen.

Wie beurteilen Sie die Lage in der Ukraine?
Der Konflikt besteht nach wie vor, und die Gefahr einer weiteren Eskalation ist bei weitem nicht gebannt. Der Tod des IKRK-Mitarbeiters hat uns dies wieder vor Augen geführt. Dass es etwas ruhiger scheint, ist dem Waffenstillstand zu verdanken, der unter Vermittlung der trilateralen Kontaktgruppe vereinbart worden ist. Das ist ein wichtiger Schritt zur Deeskalation, aber wir lassen bei den Bemühungen für eine politische Lösung nicht nach.

Warum nehmen wir die Krim-Annexion hin?
Die Staatengemeinschaft hat die Annexion nicht akzeptiert. Die Schweiz verurteilt die Annexion als Bruch des Völkerrechts. Hier geht es um Grundprinzipien der europäischen Ordnung. Die Frage der Krim muss auf der Basis des Völkerrechts gelöst werden.

Wie beurteilen Sie die Lage in Gaza?
Die Situation in Gaza ist fast nicht auszuhalten. Es ist eine immer wiederkehre Abfolge von Zerstörung und Wiederaufbau. Das muss ein Ende haben: Alle Seiten müssen von den Maximalforderungen abrücken und auf eine Zweistaatenlösung hinarbeiten.

Was bringt der OSZE-Vorsitz der Schweiz?
Die Schweiz hat konkret zeigen können, dass sie unparteiisch ist und ihren Fokus auf den Frieden richtet. Wir konnten in einer Zeit der Krisen Brücken bauen. Die Schweiz hat dazu beigetragen, dass sich die OSZE stärker als Plattform des ­Dialogs und der Konfliktbewältigung etabliert.

Wie gross ist der Einfluss Schweizer Diplomaten?
Gerade in Konfliktsituationen kann die Schweiz mit ihrer Vermittlungserfahrung einiges ausrichten. Wir sind in unserem Land gewohnt, dass alle Seiten zu Wort kommen können. Diese Stärke können wir ausserhalb der Schweiz einsetzen. Mag nicht immer alles perfekt sein, bin ich doch aus tiefstem Herzen glücklich und dankbar, wie sich die Schweizer Diplomatinnen und Diplomaten in diesem Jahr eingesetzt haben. Unser Land kann auf sie wahrlich stolz sein.

Was haben Sie als OSZE-Vorsitzender gelernt?
Viel über die Welt: über ihre Zerbrechlichkeit, ihre Hoffnungen, ihre Verzweiflung. Gemerkt habe ich, wie sich meine Überzeugung bestätigt und verstärkt, dass die Schweiz ein aussergewöhnliches Land ist. Hier können wir in Freiheit leben, ist der Schulweg kein Ort, an dem Krieg und Leid herrschen. Unser Land baut auf stabilen Institutionen auf und gibt uns die Möglichkeit und die Aufgabe, uns zu verständigen und gemeinsam die Zukunft zu gestalten.

Und wie viele Kilometer sind Sie total geflogen?
Tausende und Abertausende von Kilometern. Aber die grösste Reise, die das Leben bietet, ist der Weg, sich besser zu verstehen. Ein Eindruck bestärkt sich mir mit überraschender Konstanz: Je häufiger ich reise, umso näher fühle ich mich der Schweiz.

Das Interview wurde Schriftlich geführt