Ab ins Bett!

Schlaf macht wach. Was die Wissenschaft längst weiss, erkennen jetzt Schweizer Unternehmer – sie verordnen sich und dem Personal mehr Ruhe.

Von Peter Hossli

bettEs ist drei Uhr in der Früh. Gedanken rasen. Habe ich den Chef verärgert? Einen Anruf verpasst? Hat das Kind eben gehustet? Einschlafen? Unmöglich!

Hilft ein kurzer Blick aufs iPhone? Im Gegenteil. Das Resultat des späten WM-Spiels und ein giftiges Mail aus Übersee regen weiter an.
So – oder leicht anders – verlaufen viele Nächte in Schweizer Betten.

Ein Drittel aller Erwerbstätigen leidet unter Schlafproblemen. Das sind 1,6 Millionen Menschen, die sich in den Laken wälzen, statt auf dem Kissen zu schlummern.

Das macht krank, und es kostet viel Geld. Denn tagsüber sitzen die Schlaflosen schläfrig am Pult, starren ins Leere, tun viel zu wenig.

Deshalb schlagen Unternehmer nun Alarm – und entdecken den Schlaf. «Genug Schlaf verbessert jeden Bereich des Lebens», sagt die amerikanische Medienfrau Arianna Huffington (63). «Mein Personal soll ausgeruht sein», sagt FDP-Nationalrat und Unternehmer Ruedi Noser (53). «Nur so kann es 100 Prozent leisten.» Der Chef der Privatbank Notenstein, Adrian Künzi (41), stimmt ihm zu: «Zufriedene und erholte Mitarbeitende setzen sich umso motivierter und engagierter ein.» Er weiss: «Dies kommt nicht nur Mitarbeitenden, sondern dem Unternehmen zugute.»

Und den Chefs selbst. Swisscom-CEO Urs Schaeppi (53) betont: «Um konzentriert arbeiten zu können, brauche ich genügend Schlaf.»

Ab ins Bett, lautet der Tenor. Unternehmern ist klar: Müdes Personal ist nicht motiviert. Es übt sich in sogenanntem «Präsentismus», sitzt am Computer, checkt Mails, surft, macht reichlich wenig. Was teuer ist. Jede verlorene Stunde Schlaf, belegt die Harvard Medical School in einer Studie, verkürzt die tägliche Arbeitszeit um fast neun Minuten. US-Firmen kostet das 63 Milliarden Dollar jährlich, oder drei Milliarden Franken in der Schweiz.

Deutschland verlor 2011 rund 59 Millionen Arbeitstage wegen ausgelaugter Angestellten, 80 Prozent mehr als vor 15 Jahren. Wenig Schlaf führt zu viel Stress. Was die Schweizer Wirtschaft jährlich sogar zwölfMilliarden Franken kostet.

Derweil brüsten sich Manager wie Brady Dougan (54) von der Credit Suisse oder IKRK-Präsident Peter Maurer (58), sie kämen mit vier Stunden Schlaf pro Nacht aus.

Mediziner sind skeptisch. «Das sind Ausreisser», sagt der leitende Arzt der Abteilung für Schlafmedizin am Universitätsspital Zürich, Christian Baumann. «Die meisten von uns brauchen sieben bis neun Stunden Schlaf.»

Die Realität sieht oft anders aus. Wir lesen Mails um 23.15 Uhr und fühlen uns verpflichtet, sie bis um 6.59 Uhr zu beantworten. Ein Banker erzählt, er schlafe mit dem iPad in der Hand ein, wache mit dem Blackberry auf – und wisse dann nicht mehr, wie er von einem Gerät aufs andere gewechselt habe.

Wie er können viele nicht mehr abschalten. Das iPhone ist das Letzte, was sie nachts loslassen, das Erste, was sie morgens anfassen. Jeder Fünfte greift sogar beim Sex zum Smartphone. Stress, Schlaflosigkeit, verkümmerte Haltung und verhärtete Muskeln sind die Folge.

Wer zu wenig schläft, lebt gefährlich, weist Katrin Uehli in einer 2013 veröffentlichten Dissertation nach. Übermüdete Schweizer haben ein um 80 Prozent erhöhtes Risiko zu verunfallen. Die Ursache von 13 Prozent aller Berufsunfälle seien Schlafprobleme, zeigt Uehli.

Das Bett hilft. «Schlaf erholt das Hirn», sagt Schlafarzt Baumann. «Am Tag passiert viel, das für Unordnung sorgt, sogar toxisch sein kann, der Schlaf ordnet es und verbessert das Gedächtnis.» Wer zu wenig schlafe, vergesse eher, könne sich weniger gut konzentrieren. «Chronischer Schlafmangel kann zu chronischen Krankheiten führen, womöglich zu Demenz», sagt er.

Er stellt eine klare Zunahme von Ein- und Durchschlafproblemen in der Schweiz fest. Besonders betroffen seien Lehrer und Banker.

Medienunternehmerin Huffington will ihre Mitarbeiter schützen – und propagiert digitale Entschlackung. Ganze Tage sollen sie offline sein, weit weg von digitalen Reizen. Haut statt Touchscreens streicheln. Digitale Geräte lässt Huffington nicht ins Schlafzimmer. Für ihr Personal hat sie im Büro in New York Zimmer für Nickerchen eingerichtet. Niemand muss nach Feierabend Mails beantworten.

Konzerne wie Goldman Sachs und Procter & Gamble bieten Angestellten Schlafseminare an. Volkswagen schaltet abends die Server ab. Zwischen 18.15 Uhr und 7 Uhr gelangt keine Mail ins Postfach.

Weniger strikt ist die Swisscom, sie nimmt die Sache aber ernst. «Die Zeiten vor und nach der Arbeit gehören dir», wird dem Personal im Intranet versprochen. «Damit bist du nicht verpflichtet, deine Mails in dieser Zeit zu lesen oder Telefonate anzunehmen.» In Notfällen soll man ein SMS senden. Wichtig ist der Swisscom: «Deine Ferien sind dafür gedacht, dich zu erholen und deinen persönlichen Aktivitäten und Interessen nachzugehen.»

UBS-Chef Sergio Ermotti (54) betone intern oft, «wie wichtig die richtige Balance zwischen Arbeit und Privatleben ist, und er macht Vorschläge, wie man die Kommunikationstechnik am effizientesten einsetzt», sagt ein UBS-Sprecher.

Banker der Credit Suisse müssen mindestens zwei Wochen am Stück Ferien nehmen. In dieser Zeit haben sie fünf Tage keinen Zugang zum Netzwerk, «um Gesundheit und Wohlbefinden der Mitarbeitenden zu fördern», sagt eine Sprecherin. Zudem gibts Liegekojen – um während der Arbeit zu dösen.

Schweizer Unternehmer übers Schlafen

noserRuedi Noser (53), Unternehmer und Nationalrat
«Ich brauche acht Stunden Schlaf, sonst funktioniere ich nicht richtig. Masslos übertreiben Manager, die sagen, sie würden täglich 16 Stunden arbeiten. Davon halte ich nichts. Das ist nicht Produktivität, sondern reine Hektik. Schlafen kann ich, weil ich mich nicht für unersetzlich halte und dem Personal vertraue. Gute Leute zu haben, bringt mehr als 16-Stunden-Tage. Mein Personal soll ausgeruht sein, nur so kann es 100 Prozent leisten.  Abends schicke ich keine E-Mails, auf die ich bis am nächsten Morgen eine Antwort erwarte, ausgenommen sind Notfälle. Nachts schalte ich das Handy auf Flugmodus. Sonntags melde ich mich nicht beim Personal. Ich sage den Mitarbeitern, sie könnten ihr Handy zwischendurch abschalten. Zumal sie sofort wieder synchron sind mit allen wichtigen Informationen.»

MUELLERMOEHLCarolina Müller-Möhl (45), Investorin und Philanthropin
«Ich gebe es zu – mit Technologie bin undiszipliniert. Ich würde mich sogar als «digital addict» bezeichnen, als süchtig nach digitaler Kommunikation. Das iPad ist oft in meinem Bett, dazu das Blackberry. Jeden Tag bin ich lange online. Bei Sitzungen verlange ich aber, dass die Handys in der Tasche bleiben. Esse ich mit der Familie, verschwinden die Geräte. Noch ist der Leidensdruck offenbar nicht gross genug, früher abzuschalten. Meist schlafe ich gut, ausser in hektischen Phasen. Da geht es ist es mit dem Schlafen auch bei mir schwierig. Unwohlsein durch mangelnden Schlaf lässt sich kompensieren mit Dingen, die einem Freude bereiten. Bei mir ist es die Philanthropie. Bewusst etwas zu geben bestärkt, mich sehr.»

hans_hessHans Hess (57), Präsident Swissmem, Unternehmer
«Ich habe immer gut geschlafen, und das hat sich nicht verändert. Mein Rezept? Ich stelle ab – und manage die Erwartungen an die permanente Verfügbarkeit aktiv. Bewusst beantworte ich nicht jedes Telefon, jedes SMS sofort. Nach dem Abendessen ist mein Handy aus. Wer dann noch etwas von mir will, muss sich bis am nächsten Morgen gedulden. Ich bin kein Sklave der Technik. Zwar sende ich am Wochenende Mails, teile aber aktiv mit, ich brauche die Antworten erst am Mittwoch. Mitarbeitern gewähre ich gleiche Freiräume. Jüngere bekunden mehr Mühe, den Computer abzustellen, offline zu sein. Firmen sollten ihre Server nach Büroschluss nicht abstellen, zumal das einschränkt und letztlich den Stress fördert. Vielleicht will ich meine Mails ja zwischen 20 und 22 Uhr schreiben und dafür zwischen 16 und 18 Uhr joggen. Gut schläft, wer sich aktiv Freiräume schafft.»

adriankuenziAdrian Künzi (41), CEO Privatbank Notenstein
«Ich habe glücklicherweise einen gesunden Schlaf, auch in hektischen Zeiten. Wenn ich nach langen Tagen mit zahlreichen Terminen nach Hause komme, kann ich im Kreise meiner Familie schnell abschalten. Wir sind leistungsorientiert. Bei uns sind weniger die Anzahl Stunden relevant, die jemand im Büro verbringt, als viel eher der Output und die Qualität der Arbeit. Eine grosszügige Ferienpolitik stellt sicher, dass wir ausgeruhte Mitarbeiter haben. Ferien und Freizeit sind da, um sie ungestört geniessen können und neue Kräfte zu tanken. Dies kommt nicht nur Mitarbeitenden, sondern dem Unternehmen zu Gute. Zufriedene und erholte Mitarbeitende setzen sich umso motivierter und engagierter ein.»

Thomas Minder (54) Geschäftsleiter Trybol, Ständerat
«Als Unternehmer arbeite ich eigentlich immer, ich wohne neben meiner Firma. Ich habe meine innere Balance gefunden und schlafe in der Regel acht Stunden. Wenn ich erwache, weil mich etwas beschäftigt, schreibe ich es in mein Notizheft, das auf meinem Nachttisch liegt und schlafe wieder ein. Das Handy kommt nicht mit ins Schlafzimmer, ausser ich bin im Hotel und brauche es als Wecker. Ich würde nie in der Nacht Mails checken. Ich belästige meine Leute in der Freizeit nicht mit Mails und Telefonanrufen.»

Pierin Vincenz (58), CEO Raiffeisen
«Es gehört zur Kultur bei Raiffeisen, auf einen gesunden Ausgleich zwischen Beruf und Freizeit zu achten. Das gilt auch für mich. Auch wenn die Entwicklungen auf dem Finanzplatz hektischer geworden sind und sich nicht an die ordentlichen Bürozeiten halten, sind für mich Freiräume für Familie und Freizeit sehr wichtig. Diese nehme ich mir bewusst und sind fixer Bestandteil meiner Agenda. Solche Termine sind für mich ebenso verbindlich wie geschäftliche. Dass permanente Erreichbarkeit kein Muss ist, habe ich während meines Sabbaticals eindrücklich erlebt.»

Urs Schaeppi (53), CEO Swisscom
Um konzentriert arbeiten zu können, brauche ich genügend Schlaf. Wichtig ist, sich Zeit dafür zu nehmen, was einem wichtig ist. Ich plane meine Jogging-Termine wie geschäftliche Meetings. Jeder braucht seine Freizeit, wo er sich ausklinkt und erholt. Als Chef ist man Vorbild und deshalb besonders gefordert. Ich kontaktiere meine Mitarbeiter ausserhalb der Arbeitszeit nur, wenn es besonders wichtig und dringend ist.»