Digitaler Friedhof

Stirbt ein Mensch, hinterlässt er Hab und Gut – und Daten auf elektronischen Wolken, in sozialen Netzen und E-Mail-Konten. Dankbar sind die Erben, wenn dieser digitale Nachlass bereits zu Lebzeiten geregelt wurde.

Von Peter Hossli

Vor drei Monaten starb ein mir unbekannter Bekannter. Er hiess Holger. Ein Jahr zuvor lud er mich ein, auf der Online-PlattformLinkedIn sein Freund zu werden. Was ich akzeptierte. Ich traf ihn nie.

Ausgerechnet am Tag, als Schweizer Zeitungen seine Todesanzeige druckten, forderte mich LinkedIn auf, Holgers Fähigkeiten zu bewerten –was das soziale Netzwerk wochenlang tat.

Stéphane kannte ich gut, habe mit ihm gearbeitet, gedacht, gelacht. Verbunden waren wir auf Skype und LinkedIn. Letzten September starb er. Noch immer strahlt sein Gesicht freundlich von meiner Skype-Kontakt-Liste. Sein Status: offline.

Stéphane erscheint mir überdies regelmässig auf LinkedIn. Seine journalistischen Qualitäten soll ich dort mit einem Klick bewerten, seine grafischen und seine erzählerischen. Den aktuellen Job habe er «seit Oktober 2010 bis jetzt» inne, heisst es in Stéphanes Profil.

Das «jetzt» berührt unangenehm. Stirbt heutzutage jemand, lebt er online oft monate-oder jahrelang weiter: Mit einem Konto bei Twitter und Facebook, einer persönlichen Website, Bildergalerien auf Flickr oder Videos auf YouTube. Noch immer schlucken seine digitalen Postfächer E-Mails. Oder sie verschicken Meldungen wie «Ich bin in den Ferien».

Erst allmählich befassen sich Juristen und Betreiber von sozialen Medien mit der Internet-Präsenz von Verstorbenen.

Grundsätzlich fällt das digitale Erbe an die direkten Angehörigen. Da sich diese oft nicht darumkümmern, bleiben die Konten weit über den Tod hinaus aktiv. Bei Facebook, so eine Schätzung, seien jeweils fünf Prozent nicht mehr am Leben. Bei rund 1,3 Milliarden Benutzern wären das 65 Millionen sogenannter Zombie-Profile.

Vorsorge erleichtert vieles. So lassen sich Passwörter bei einem Notar hinterlegen. Es gibt Firmen, die digitale Nachlässe erstellen, in denen man genau festlegen kann, was nach dem Ableben mit den Bits und Bytes passieren soll.

Wer das nicht tut, hinterlässt seinen Nachfahren reichlich Aufwand, und dazu ein paar knifflige juristische und ethische Probleme.

Etwa bei den E-Mail-Konten. Diese fallen an die Erben. Doch dürfen sie die privat gedachten Nachrichten tatsächlich lesen?

Was, wenn der Ehemann auf geheime Liebesmails der verstorbenen Gattin stösst? Theoretisch sind ihre Persönlichkeitsrechte über den Tod hinaus geschützt. In der Praxis erhalten die Erben den Zugang zu allen E-Mail-Konten – und müssen dann selber entscheiden, was sie lesen.

Wie ist es mit den sozialen Medien? Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften hat dazu 2012 eine Studie verfasst: «Sterben und Erben in der digitalen Welt.

Das Fazit: «Für dieMehrheit der Plattformanbieter scheint noch kein ausreichender Leidensdruck zu bestehen, um die Thematik in Form öffentlicher kommunizierter Regelungen zu adressieren.»

So bieten einige Hand, gewisse Daten freizugeben, andere helfen bloss, Konten vollständig zu löschen. Bei Facebook geht es zumindest schnell. Es ermöglicht nicht nur den Erben, den Tod eines Mitglieds zu melden – sondern allen Personen, die Facebook nutzen. Als Nachweis reicht eine Todesanzeige oder ein Nachruf in einer Zeitung. Just setzte Facebook das Profil des Verstorbenen in den «Gedenkstatus».

Daten und Profile von Verstorbenen gibt Facebook jedoch nicht weiter. Möglich ist nur die endgültig Löschung eines Profils. Dafür müssen Erben eine Sterbeurkunde liefern.

Ähnlich verfährt der deutsche Anbieter Xing. Er gibt keine Daten heraus. Meldet jemand einen Todesfall, schickt Xing ein Mail an die sogenannte Recovery-Adresse. Meldet sich der Betroffene drei Monate lang nicht, löscht Xing das Konto – mitsamt den Daten.

Hartnäckig ist Google. Der Webkonzern verlangt dieGmail-Adresse eines Verstorbenen, eine seiner alten Mails, dazu die Sterbeurkunde. Alle Dokumente müssen auf Englisch übersetzt eingereichtwerden.

Immerhin: Grundsätzlich gibt Google Daten weiter, sofern die Rechtsabteilung den Antrag positiv klären kann. Auch Twitter verlangt eine auf Englisch übersetzte Sterbeurkunde. Sonst bleiben Tweets halt Tweets. Das Profil von Holger ist mittlerweile verschwunden, das von Stéphane ist noch aktiv.