Aufrechten Ganges

Eben noch galt der Schweizer Außenminister Didier Burkhalter als eitler Gockel. Nun vermittelt er in der Ukrainekrise und zeigt, dass er die Kunst der Diplomatie beherrscht.

Von Peter Hossli

didier_burkhalterHaare und Schuppen bedrohen sensible Geräte. Deshalb tragen alle Besucher im Nano-Forschungszentrum der IBM im schweizerischen Rüschlikon sterile Hauben. Nur einer ziert sich: Didier Burkhalter. Keinesfalls will der Schweizer Bundesrat mit der Kopfbedeckung fotografiert werden. Ulkig sähe das aus, weiß er, und betritt das Labor als Einziger oben ohne.

Die Episode, vorgefallen vor drei Jahren, stempelte Burkhalter zum eitlen Gockel. Zum abgehobenen Politiker, an- getan einzig von sich selbst. Da war er bereits angezählt. Eben erst war er vom Innen- ins Außenministerium gewechselt. Geflüchtet sei er, weil er nichts bewegt habe. Das sagten nicht nur Gegner, sondern Mitglieder der eigenen Partei, der FDP.

Burkhalter? Wohl gescheitert.

Heute gilt der amtierende Schweizer Bundespräsident als Glücksfall. Er ist ein neuer Star auf der Weltbühne. Als Vor- sitzender der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, kurz OSZE, zieht er in der Ukrainekrise diplomatisch die Fäden. Mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin trifft sich Burkhalter – und erntet dafür Lob.

Selbstsicher begegnet der Schweizer dem Russen. Als einer, der keinen Bückling macht vor dem Mächtigen in Moskau, sich keine Blöße gibt. Weltweit verschafft sich Burkhalter Gehör. Warnt er vor neuen Sanktionen gegen Russland, horchen EU und USA auf. Gern gesehener Gast ist er in Paris, Brüssel und Berlin.

Es sei „ein Glücksfall, dass die Schweiz derzeit den OSZE-Vorsitz innehat“, sagt der deutsche Altbundeskanzler Gerhard Schröder. „Die Schweiz hat das Vertrauen aller Seiten, und das kann man in der jetzigen Konfliktsituation nicht hoch genug schätzen.“

Burkhalter belebt damit nicht nur seine eigene Karriere. Er rückt die seit Ende des Kalten Krieges geschwächte schweizerische Diplomatie zurück ins Rampenlicht. Die jüngst noch verschmähte Neutralität ist wieder salonfähig.

Burkhalter beherrscht die Kunst der stillen Diplomatie. Er weiß: Oft entscheiden winzige Details eine Verhandlung. Auf einer Syrienkonferenz in Genf servierte er Wein aus dem Dorf, in dem er aufwuchs. Bei der Tischrede fragte er, wie der heimatliche Wein denn munde – und brach damit das Eis zwischen gereizten Russen und nervösen Amerikanern.

„Alle sagten, er hätte ihnen geschmeckt“, erzählt er später. Allerdings: „Die Amerikaner tranken Coca-Cola.“ Was er geahnt hatte – eigens für die US-Delegation ließ er braune Brause auf Eis legen.

Burkhalter, 54, wuchs in der französischsprachigen Schweiz in Neuenburg auf. Er studierte Volkswirtschaft, politisierte auf dem Dorf, in der Stadt, im Kanton, beim Bund. Auf dem Fußballfeld war er der Libero.

Von 2009 an ist er Mitglied des Bundesrats, der siebenköpfigen Schweizer Regierung, in der jedes Jahr ein ande- rer als Bundespräsident den Vorsitz führt. Burkhalter ist zunächst Innenminister, ein mächtiges Ressort, aber er bleibt farb- los. Nach zwei Jahren wechselt er ins Außenamt, obwohl dieses an Glanz verloren hat und im eigenen Land wenig gilt.

Was er als Chance sieht. Er besinnt sich auf die Tugenden der Schweizer Diplomatie. Vermittelt im Hintergrund. Tritt höflich auf. Agiert aber bestimmt.

Er setzt Schwerpunkte, um Wirkung zu erzeugen. Den Krieg in Syrien. Die Annäherung zwischen den USA und dem Iran. Und ja, Russland.

Bewusst besucht er die Olympischen Spiele in Sotschi, geht nie auf Distanz zu Moskau. Er telefoniert mit Putin. Fliegt zu Putin. Telefoniert wieder.

Makellos sieht er immer noch aus. Die Anzüge sitzen, die Krawatten sind modischer geworden. Spricht er Deutsch, wirkt er entwaffnend freundlich – und beißt umso härter zu.

didier_friedrunOft reist er mit seiner Frau, der Vorarlbergerin Friedrun Burkhalter. Händchenhaltend schreitet das Paar Paraden ab, was ungewöhnlich ist in der Diplomatie, und für Aufsehen sorgt. Sie war 16 Jahre alt, er 24, als sie sich in England trafen. Heute haben sie drei Söhne und küssen sich zuweilen öffentlich innig.

Die Anerkennung draußen in der Welt stärkt Burkhalter daheim. Als Außenminister soll er die für die Schweiz entscheidende Frage klären: Wie steht das Alpenland zu Europa?

Am 9.Februar fiel die Schweiz in eine Schockstarre. Das Volk stimmte dafür, die Zuwanderung von EU-Bür- gern zu beschränken. Statt sich zu grämen, reiste Burkhalter sofort nach Brüssel und begann zu erklären.

Zu Hause regte er an, die Schweizer sollten 2016 darüber befinden, ob sie den bilateralen Weg mit Europa weiter- hin beschreiten wollen. Er selbst will das Land näher an die EU führen. Damit ist er direkter Gegenspieler von Christoph Blocher von der Schweizerischen Volkspartei. Der trat jüngst als Parlamentarier zurück, um Burkhalter mit Volksinitiativen und Referenden zu kontern.

Der Außenminister nimmt das gelassen. Wer Putin gewachsen ist, muss Blocher nicht fürchten.