Unsere Freunde, die Russen

Nach der Annexion der Krim durch Russland ist das Klima zwischen Ost und West frostig. Mittendrin sitzt die neutrale Schweiz. Sie vermittelt – und profitiert.

Von Peter Hossli

putinUnheimlich, wie nett die Schweiz und Russland zueinander sind.

Als «ausgezeichnet!», lobt der russische Botschafter in Bern die Beziehung zwischen den Ländern. «Wir arbeiten auf fast allen Gebieten eng zusammen: wirtschaftlich, kulturell, politisch, sogar militärisch», so Alexander Golovin (64).

Sein Schweizer Amtskollege in Moskau rühmt das «ausgezeich­nete Verhältnis» ebenfalls. Für die Schweiz «sehr wichtig» sei die Wiederwahl Wladimir Putins gewesen, sagte Pierre Helg 2012 zu SonntagsBlick. Denn er, Putin, bedeute für die russische Wirtschaft «Stabilität und Berechenbarkeit».

Ausgerechnet Putin (61), das neue Feindbild der Zeitgeschichte.

Nach seiner Annexion der Krim haben USA und EU scharfe Sank­tionen gegen Putins Umfeld verhängt. Davon will die Schweiz nichts wissen. Sie «beobachtet die Situation genau», sagt EDA-Sprecherin Carole Wälti. Das heisst: Die Schweiz bleibt im Geschäft.

Nicht gefährden will sie die Interessen von Kleinstaat (ca. 41000 km2, 8 Mio. Einwohner) und Riesenreich (ca. 17 Mio. km2, 143 Mio. Einwohner).

Für die Schweiz ist Russland das einzige ständige Mitglied des Uno-Sicherheitsrats, mit dem es institutionalisiert und oft redet.

Für Russland ist die Schweiz ein Brückenkopf in Europa. Ein neutrales Land, das nicht Mitglied der EU ist. Ein verlässlicher, hilfreicher Partner. Die Schweiz beschleunigte 2012 die Aufnahme Russlands in die Welthandelsorganisation. Russland lud im Gegenzug die Schweiz 2012 an G-20-Treffen nach Moskau und
St. Petersburg ein. Seit 2009 trafen sich Bundesräte 18-mal mit russischen Ministern. Im russisch-geor­gischen Konflikt vermittelt die Schweiz. Und jetzt im ukrainisch-russischen Kräftemessen.

Die Schweiz ist für Russland lebenswichtig. Mehr als drei Viertel aller rus­sischen Exporte sind Kohle, Öl, Gas und Metalle. 80 Prozent davon wickeln laut Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) Händler in Genf, Lugano TI und Zürich ab – oft finanziert mit Krediten von Schweizer Banken. Russische Rohstoffe für 324 Milliarden Dollar verkauften Schweizer Trader 2012.

Zwar stoppte Bundesrat Johann Schneider-Ammann (62) unlängst die Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit Russland. Dennoch gilt der Oligarchenstaat als Zukunftsmarkt der Schweiz. Bereits 2020 sollen Russen europaweit am meisten Konsumgüter einkaufen. Längst schreiben Schweizer Exportfirmen phänomenale Zuwachsraten im Russengeschäft.

Uhren im Wert von einer Million Franken verkauften Schweizer Fab­rikanten 1990 in die zusammenbrechende Sowjetunion. Heute sind es fast 300-mal mehr.

Pillen und Pulver für 100 Millionen Franken exportierten Schweizer Pharmafirmen 2000 in die Uralregion. Bis heute hat sich das Volumen mehr als verzehnfacht.

Reiche Russen bunkern gerne Milliarden bei Schweizer Banken. Die UBS lockt sie in Moskau, die Credit Suisse zusätzlich in St. Petersburg. Beide sind am russischen Kapitalmarkt führend.

Rund 600 Schweizer Firmen betreiben Niederlassungen in Russland, darunter Nestlé, ABB, Swatch, Holcim, Roche und Novartis. 560 Firmen in der Schweiz gehören ganz oder teilweise Russen.

Schweizer investierten 2012 laut Seco 42 Milliarden Franken in Russland. Das entsprach 30 Prozent aller ausländischen Investitionen in der Uralnation. Ein Drittel aller russischen Investitionen im Ausland floss in die Schweiz, insgesamt 45,3 Milliarden Franken.

Jüngst ist das «ausgezeichnete Verhältnis» etwas rissig geworden. VBS-Chef Ueli Maurer (63) stoppte einen Lehrgang für russische Gebirgsgrenadiere in Andermatt UR. «Angesichts der Ereignisse in und um die Ukraine», sagt VBS-Sprecher Renato Kalbermatten – und aus Gründen der Neutralität. Noch lässt sich ein Schweizer Offizier in Moskau weiterbilden. Im Juli kehrt er heim. Einen Nachfolger will die Schweiz vorerst nicht schicken.

Die Krim beeinträchtigt ein spezielles Jahr: Schweiz und Russland feiern 200 Jahre diplomatische Beziehungen. Bundespräsident Didier Burkhalter (53) werde deshalb Putin in Moskau treffen, sagt EDA-Sprecherin Wälti. Aber: «Ein Datum und weitere Einzelheiten sind noch nicht festgelegt.»