Krieg um die Krim?

Kaum sind die Olympischen Spiele in Sotschi vorbei, markiert Russland Stärke – und droht der Ukraine mit einer militärischen Intervention.

Von Peter Hossli

krimSäbelrasseln auf der Krim: Der russische Präsident Wladimir Putin (61) erhielt gestern vom Parlament die Zusage, auf der ukrainischen Halbinsel seine Streitkräfte einzusetzen. Sofort dürfte er die Krim besetzen. Zumal 150000 russische Soldaten an der ukrainischen Grenze stehen, bereit für den Einmarsch.

Damit überrumpelt Putin die neue ukrainische Regierung, die noch nicht einmal eine Woche im Amt ist. Just versammelte Übergangspräsident Alexander Turt-schinow (49) am Samstagnachmittag die Spitzen seiner Sicherheitskräfte – und verurteilte das russische Vorgehen als «illegal». Putin wolle sein Land «vollständig destabilisieren».

Klitschko ruft zur Generalmobilmachung auf
Boxer und Präsidentschaftskandidat Vitali Klitschko (42) sprach von «unglaublicher russischer Aggression» und verlangte eine Generalmobilmachung.

Schüsse sind noch nicht gefallen. Der Flugraum über der Krim bleibt aber gesperrt. Flüge in die regionale Hauptstadt Simferopol sind nicht möglich. Bewaffnete Männer besetzten den Flughafen. Etliche Internet- und Telefonverbindungen sind zusammengebrochen.

Es droht ein Krieg um die Krim.

Gestern Abend noch hielt der Uno-Sicherheitsrat in New York auf Drängen der Briten eine dringende Sitzung ab. Die EU will am Montag tagen. Besorgt ist US-Präsident Barack Obama (52). Er rief Putin zur Ruhe auf – und verlangte,  die territoriale Integrität der Ukraine zu wahren – dazu gehört die Krim. Der Präsident rief gestern Abend seinen Sicherheitsstab zu einer Lagebesprechung ins Weisse Haus.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (59) appellierte an Russland, die Souveränität der Ukraine zu achten.

Das Tempo, die Präzision, mit der Putin vorgeht, lässt vermuten: Der Vorstoss war von langer Hand geplant. Kaum war das olympische Feuer in Sotschi erloschen, erhöht er den Druck auf sein Nachbarland. Bevor am 7. März die Winter-Paralympics in Sotschi beginnen.

Es geht in der Krim um Nationalismus, um einen strategisch wichtigen Marinehafen – und um die Nachwehen des Kalten Kriegs.

Beim Zerfall der Sowjetunion 1991 fiel die Halbinsel der Ukraine zu. Russland behielt die Kontrolle über Sewastopol, dem Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte. Diese zählt 40 Kriegsschiffe und rund 14000 Marinesoldaten. Sie gilt als eine der schlagkräftigsten Armadas der Welt. Um sie stritten Moskau und Kiew jahrelang. Zumal die Ukraine nach ihrer Unabhängigkeit nicht alle Schiffe Russland überlassen wollte. Erst nach langem diplomatischem Hickhack schlossen die beiden Länder 2010 ein Abkommen. Demnach darf Russland den Hafen in Sewastopol bis 2042 nutzen. Im Gegenzug liefert das Oligarchen-Reich der Ukraine günstiges Erdgas.

Viele Menschen auf der Krim fühlen sich Moskau näher als Kiew. 77 Prozent der rund zwei Millionen Einwohner nennen Russisch ihre Muttersprache, nicht Ukrainisch. 60 Prozent der Bevölkerung sind Russen, 25 Prozent Ukrainer. Hinzu kommen 12 Prozent Krimtataren. Seit dem Sturz des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch (63) fürchtet man sich in der Hauptstadt Kiew vor einer Abspaltung der Krim.

Dabei ist der Ukraine die Kontrolle über die Krim seit 1994 vertraglich zugesichert. Damals verschrottete die Ukraine sämtliche ihrer Atomwaffen und versprach, keine neuen zu bauen. Im Gegenzug garantierten ihr Russland, Grossbritannien und die USA die territoriale Integrität. Sollte Russland nun den Einfluss auf die Krim ausweiten, wäre das ein klarer Verstoss gegen das Abkommen – und ein negativer Präzedenzfall für künftige Atomsperrverträge.

Eine politische Lösung wäre ebenfalls möglich. Noch bevor Putin das Recht auf Waffengebrauch erhielt, setzte die Regionalregierung der Krim die Abstimmung über den künftigen Status früher an. Bereits am 30. März sollen die Krimbewohner über ihre Autonomie befinden. Zuerst war vorgesehen, das Referendum am 25. Mai abzuhalten – wenn die Ukraine den neuen Präsidenten wählt.

Die Schweiz ist besorgt. «Das EDA verfolgt die Ereignisse in der Ukraine seit Beginn der Krise permanent und aus der Nähe», teilt EDA-Sprecher Georg Farago mit. «Unter anderem wurde zu diesem Zweck die Schweizer Botschaft in Kiew personell verstärkt.»

Bundespräsident Didier Burkhalter (53) ernannte Botschafter Tim Guldimann als persönlichen Gesandten. Bei einem Besuch in Kiew traf sich Guldimann letzte Woche mit der Übergangsregierung. «Es ging dabei auch um die  besorgniserregende Situation in der Krim», sagt Farago. «Guldimann rief alle Seiten zu Zurückhaltung auf und appellierte dafür, auf Gewalt zu verzichten.» Derzeit bereite der Botschafter eine Krimreise vor.

Ruhig bleibt die Schweizer Armee. «Wir beobachten die Situa-tion auf der Krim», sagt VBS-Sprechiern Karin Suini.

Zumal gestern Abend aus Moskau beruhigende Töne kamen. Russlands Vize-Aussenminister Grigori Karasin erklärte: «Die Zustimmung für den Militäreinsatz, die der Präsident erhalten hat, bedeutet nicht buchstäblich, dass er von diesem Recht schnell Gebrauch machen wird.» Ein Wink an den besorgten Westen: Noch ist kein Krieg auf der Krim.

Wie viel ukrainisches Geld liegt in der Schweiz?
Am Freitag fror der Bundesrat potenzielle Vermögenswerte des abgesetzten ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch (63) und 19 weiteren Ukrainern ein. Ob sie und der Ex-Staatschef Geld in der Schweiz haben, ist unklar. Es handelt sich um eine Massnahme, welche die Schweizer Regierung bei Umstürzen erlässt. Das erlaubt eine juristische Abklärung – und eine ordentliche Rückführung möglicher Potentatengelder. Bundesrat wie Banken versuchen seit Jahren, Diktatorengelder von der Schweiz fernzuhalten. In den letzten 15 Jahren hat die Schweiz rund 1,7 Milliarden Franken restituiert, mehr als jeder andere Finanzplatz der Welt.

Die Fluchtorte der Diktatoren