“Ein Du ist schon zu viel”

Ex-Thorberg-Direktor Hans Zoss und Milieu-Anwalt Valentin Landmann über den Umgang mit Häftlingen.

Von Peter Hossli und Adrian Meyer

thorbergTäglich haben sie miteinander zu tun, verbringen die grösste Zeit ihres Tages unter einem gemein­samen Dach: Häftlinge auf der einen, Aufseher und Gefängnisleiter auf der anderen Seite der Gitterstäbe. Mit der Zeit gewöhnt man sich aneinander, baut eine Beziehung auf. Die bleibt in den meisten Fällen professionell: mit der nötigen Distanz. Diese Distanz fehlte dem geschassten Direktor der Berner Strafanstalt Thorberg, Georges Caccivio (53). Er hatte Sexkontakte zu Drogenprostituierten, er duzte Gefängnisinsassen, kaufte einem Bilder ab und liess sie im Knast aufhängen. Als sei das Gefängnis seine Galerie. Wegen der Vorwürfe wurde Caccivio von seinem Amt freigestellt.

Den Häftlingen persönlich nicht zu nahe zu kommen, ist für Gefängniswärter eine stete Herausforderung, weiss der ehe­malige Thorberg-Direktor Hans Zoss (63): «Ein Du unterschreitet bereits die nötige Distanz.» Das lernten angehende Auf­seher im Grundkurs des Schweizerischen Ausbildungszentrums für das Strafvollzugspersonal (SAZ).

Dennoch: «Distanz zu wahren, ist eine Gratwanderung», sagt Zoss. «Es braucht ein grosses Mass an Selbstdisziplin.»

Einige Insassen waren ihm sympathischer als andere. «Aber ich wollte alle gleich behandeln, ich durfte niemanden bevorzugen.» Deshalb holte er manchmal seinen Stellvertreter zur Beratung hinzu. Um sicherzu­gehen, dass er korrekt handelt.

Publik machte die Affäre um Caccivio der Berner alt SVP-Nationalrat Hermann Weyeneth (70). Nachdem sich Mitarbeiter der Strafanstalt Thorberg bei Weyeneth gemeldet hatten, wandte er sich bereits am 30. August 2013 an den Berner Polizei- und Militärdirektor Hans-Jürg Käser (64). «Nicht wegen Herrn Caccivio, sondern weil das Personal der Straf­anstalt Thorberg verunsichert war.» Weyeneth betont: «Sein Vorleben hat mich nicht interessiert.» Die Mit­arbeiter klagten ihm, Direktor Caccivio duze die Strafgefan­genen. Gewisse Gefangene hätten eine Sonderstellung gehabt. «Ist der Direktor mit den Gefangenen per Du, dann ist etwas nicht mehr gut, das ist ein absolutes No-go», sagt er.

Die Entlassung Caccivios reicht Weyeneth nicht. «Zufrieden bin ich erst, wenn es wieder eine starke Führung gibt, wenn die Mitarbeiter im Thorberg wieder wissen, wo oben und unten ist, hinten und vorne.»

Für den Zürcher Milieu-Anwalt Valentin Landmann (63) «ist ein Du nicht tragisch». Es überrascht ihn nicht, dass sich Gesetzeshüter und Gesetzes­brecher zu nahe kommen. Und er gibt zu: «Ich bin selbst fas­ziniert von dubiosen Per­sonen.»

Landmann ist bekannt dafür, dass er Kleinkriminelle verteidigt, Betrüger und Prostituierte. Ein Gefängnis sei eine spezielle Situation. «Haftanstalten sind voll von kleinen Versagern, armen Siechen und Junkies», sagt Landmann. «Der Knast ist für sie eine Bühne, auf der sie sich grösser geben können, als sie sind. Da ist jeder Milieukönig und grosser Gauner.»

Das habe etwas Anziehendes. «Viele Gefängnisdirektoren sind davon fasziniert», weiss Landmann. Und suchen deshalb die Nähe zu den Gesellen. Es sei ein schmaler Grat – und berge Gefahren. «Gibt ein Wärter einem Insassen den kleinen Finger, muss er aufpassen, dass
er dabei nicht die ganze Hand verliert.»

Die Affäre um Caccivio weitet sich aus: Nachdem Ex-Direktor Zoss am Montag das Auswahlverfahren kritisierte, will der verantwortliche Regierungsrat Käser die externe Untersuchung der Vorfälle ausweiten. Ins Gefängnis zurückkehren dürfte Caccivio kaum.