Tell bodigt Zottel

Die Gegner der Masseneinwanderungs-Initiative setzen auf Humor und Gewalt. Mit einem Computerspiel zieht die Economiesuisse in den Abstimmungskampf. Wilhelm Tell vermöbelt darin die SVP-Symbole.

Von Peter Hossli

superwilliDie Brust des Helden ist breit, das Kinn kantig. «Ich bin der Super-Willi und stolz auf unsere erfolgreiche Schweiz», stellt er sich vor. Gleichzeitig warnt er: «Dunkle Kräfte wollen uns übel zusetzen.»

Super-Willi? Das ist Wilhelm Tell anno 2014, eine Figur in einem martialischen Computerspiel. Wie schon im Schicksalsjahr 1291 schickt sich Willi darin an, die Schweiz zu retten. Aber er bringt keinen neuen Gessler zur Strecke; er kämpft gegen Einheimische. Und zwar wie ein Berserker gegen störrische Ziegenböcke und pickende Raben. Ein Holzfäller richtet die Axt gegen ihn. Schwarze Stiefel treten ihm ins Gesicht. Horden wilder Affen fallen den holden Helden an. Doch Tell ringt alle nieder, erledigt, zertrampelt, massakriert sie.

Willi sammelt rot glänzende Äpfel und trifft am Ende der Odyssee Frau und Kind. Nicht den Apfel schiesst Tell von Walterlis Haupt – er befreit die Schweiz aus ihrer Knechtschaft: mit einem Nein an der Urne zur Masseneinwanderungs-Initiative.

Das ist keine Saga aus fernen Jahren, sondern modernstes Politik-Marketing der Economiesuisse. Zusammen mit dem Nein-Komitee zur SVP-Initiative hat der Wirtschaftsverband das Game «Superwilli» lanciert. Spielen lässt es sich online, zudem auf iPhone, iPad und Android-Geräten. «Superwilli» ist unterhaltsam – und eine deftige Provokation.

superwilli_affeAusgerechnet mit dem schweizerischsten aller Helden zerschlagen linke und Mitte-Parteien die patriotischen Symbole der SVP. Tell bodigt Zottel, das SVP-Maskottchen. Die Raben, die Willi durch die Luft schleudert, polterten einst gegen Personenfreizügigkeit. Schwarze Stiefel marschierten für SVP-Initiativen. An ein Hodler-Bild von SVP-Doyen Christoph Blocher (73) gemahnt der Holzfäller, den Tell fällt. Die Affen, sagen die Game-Macher, spielten auf den Zürcher SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli (53) an. Der fragte einen SRF-Moderator vor laufender Kamera, ob er «vom Aff bisse» sei.

«Wir sagen augenzwinkernd, dass wir den Anspruch auf Willi Tell nicht einfach preisgeben», erklärt der grüne Zürcher Nationalrat Balthasar Glättli (41) die Absicht des Spiels. Er ist Co-Präsident des Nein-Komitees zur SVP-Initiative. «Wer die Schweiz, Tell und Äpfel mischt, muss sich noch lange nicht abschotten.»

Ein Affront an die wählerstärkste Schweizer Partei: Das Spiel zeigt die SVP als Kampftruppe, die den Freiheitshelden vom demokratischen Prozess abhalten will. Und zwar gewaltsam. «Die SVP hat viele Kampagnen nicht gerade zimperlich geführt», sagt Glättli. «Da habe ich kein Problem, wenn wir mit diesem Game etwas dick auftragen.»

holzfallerDass Economiesuisse hinter der frechen Kampagne steht, überrascht. Noch vor der Abzocker-Initiative zog der Verband ängstlich einen Werbefilm zurück, den «Missen Massaker»-Regisseur Michael Steiner (44) gedreht hatte. «Mit dem Game lancieren wir den Schlussspurt», sagt Kampagnen-Leiter Oliver Steimann von Economiesuisse. Viel zu wenig werde bei Abstimmungen auf die Mobilisierung der Wähler geachtet. Computerspiele schafften das günstig. Nicht zuletzt durch Kontroversen, die «Superwilli» auslösen dürfte. «Die gesamte Kampagne gegen die Masseneinwanderungsinitiative ist sehr ernsthaft», urteilt Steimann. «Mit Superwilli wollten wir etwas Spielerisches machen.»

Die Zielgruppe ist klar: Neue Wähler will die Economiesuisse erreichen. «Junge sind in der Tendenz eher gegen die Initiative, und sie gehen seltener abstimmen als die Älteren», sagt Glättli. «Willi Tell hilft, sie zur Urne zu bringen.»

Die Frauenfelder Firma Kaden & Partner hat das Game entwickelt. Es ist ein bewusst krude gehaltenes Spring- und Rennspiel, angelehnt an den Klassiker Super Mario Brothers. Es entstand in Kürze. Mitte November erteilte Economiesuisse den Auftrag. Fünf Personen programmierten und gestalteten bis Ende Jahr. Kostenpunkt: 30 000 bis 40 000 Franken.

Mit wie viel Geld das Spiel beworben wird, hält Economiesuisse geheim. «Es ist deutlich billiger als der Steiner-Film», sagt Kampagnen-Leiter Steimann.

Doch kann ein Game den politischen Prozess wirklich beeinflussen? Klar ist: Jugendliche spielen heute weit mehr am Computer und am iPhone, als dass sie Nachrichten lesen oder Filme schauen.

Über Social-Media-Kanäle wie Twitter und Facebook wird «Superwilli» verbreitet. Dort, wo Wahlen und Abstimmungen immer häufiger entschieden werden. Zweimal schaffte US-Präsident Barack Obama (52) den Sprung ins Weisse Haus – vor allem, weil er seine Anhänger online mobilisieren konnte. Auch in der Schweiz trägt die Twitter-Gemeinde vermehrt zur Meinungsbildung bei.

rabOb politischer Humor wie «Superwilli» hierzulande ankommt, ist jedoch offen. Erzählen Schweizer Politiker Witze, zielen sie oft daneben. Bisher galt Ironie in der Kampagnenkommunikation als Tabu. Bei der direkten Demokratie liegt die Macht beim Volk. Deshalb will das Volk bei politischen Prozessen sachlich informiert sein, nicht aber unterhalten werden. Das bestätigt Manuel P. Nappo (42), Leiter Fachstelle Social Media Hochschule für Wirtschaft in Zürich (HWZ). Gleichwohl habe Social Media «ein enormes Potenzial im politischen Prozess der Schweiz», sagt Nappo. «Politische Meinungen sind oft früh gemacht, mit Social Media ist es möglich, jene Wähler zu mobilisieren, die man zuletzt noch ansprechen will.»

Ein Spiel wie «Superwilli» sei «eine sehr effektive Massnahme im Köcher einer Gesamtstrategie», sagt Nappo. «Heute reicht ein einziges Medium nicht aus, um eine Abstimmung zu gewinnen.» Über ein Plakat würde der SonntagsBlick kaum schreiben. «Aber Sie schreiben über dieses Spiel.»

Solche und ähnliche Aktionen werde es vermehrt geben, so Nappo, in allen politischen Lagern. Seine Prognose: «Bei den Wahlen 2015 schaffen zwei oder drei neue Kandidaten dank Social-Media-Strategie den Sprung in den Nationalrat.»

Hier gibts Superwilli
Das Tell-Computerspiel kann online unter www.superwilli.ch gespielt werden. Zudem ist es als kostenlose App für iPhone und iPad im iTunes-Store erhältlich. Android-Nutzer können es im Play Store von Google beziehen, ebenfalls kostenlos.