“Ich bin quasi Volontärin”

Beim ersten WEF war sie Assistentin, dann heiratete sie den Gründer. Nun sorgt Hilde Schwab in Davos für Bodenhaftung.

Interview: Peter Hossli Fotos: Niels Ackermann

hilde_schwab1Frau Schwab, welcher Staatschef hat den stärksten Händedruck?
Hilde Schwab: Da ich selber hart zulange, fallen mir die Drücker gar nicht so sehr auf.

Wer drückt denn fester – Staatschefs oder Manager?
Politiker langen kräftiger zu als Manager.

Sie und Ihr Mann Klaus drücken in Davos die Hände aller Gäste am Vorabend des Weltwirtschaftsforums. Warum?
Wir sind die Gastgeber, es ist die einzige Gelegenheit, alle zu begrüssen. Sonst ist das Programm voll.

An den Gedenkfeiern von Nelson Mandela drückte US-Präsident Barack Obama die Hand des ­kubanischen Präsidenten Raoul Castro. Warum ist das wichtig?
Wegen der Symbolik. Ein solcher Händedruck sagt: «Um die Welt zu verbessern, müssen wir zusammenarbeiten.» Der Handschlag kam unerwartet – und ist deshalb wichtig.

Das erste WEF fand 1971 statt. Warum wurde es ein Erfolg?
Weil wir intellektuell unabhängig und neutral blieben.

Wie geht das 44 Jahre lang?
Fragen Sie meinen Mann.

Ich frage Sie!
Er hat einen unabhängigen Geist, ist intellektuell vorauseilend, sieht früh, was auf die Welt zukommt.

Sie hatten nie Angst zu ­scheitern?
Nach dem zweiten Jahr dachten wir: Das könnte schiefgehen. Die erste Ausgabe war erfolgreich. Alle waren neugierig. Doch dann sank das ­Interesse. Wir mussten inter­nationaler werden, über Europa ­hinausdenken. Das machte uns ­stabiler.

Mal unbescheiden – was war Ihr Beitrag zum Erfolg des WEF?
Mein Mann ist ein grosser Visionär, er kann diese Visionen umsetzen. Andererseits ist er auf Bodenhaftung angewiesen, die habe ich ihm gebracht. Daneben habe ich das kulturelle Programm aufgebaut – und den Bau dieses Gebäudes hier in Cologny durchgeführt.

Als Ehefrau sind Sie privilegiert – man kann Sie nicht entlassen.
Da ich nicht angestellt bin, wäre das ohnehin nicht möglich.

hossli_schwabSie sind nicht angestellt?
Nein, ich bin quasi Volontärin. Im ersten Jahr war ich angestellt. Bevor wir heirateten, habe ich gekündigt – und von zu Hause gearbeitet.

Wie viel verdienen Sie?
Nichts, ich beziehe seit 42 Jahren keinen Lohn.

Was können Sie, was Ihr Mann nicht kann?
Mein Mann ist ein Stratege. Ich kann gut mit Leuten umgehen, bin um- und zugänglich, nie abgehoben.

Hat der Glanz der Macht nie auf Sie abgefärbt?
Abheben sagt uns nichts. Wer – und das tönt jetzt nicht gerade bescheiden – die Welt verbessern will, für den ist es nicht wichtig, wie viel Geld er hat, und wie viel Macht.

Macht aber haben Sie reichlich.
Wir können wichtige Leute zusammenbringen. Aber das tun wir immer mit einem klaren Ziel.

Wie nutzen Sie denn Ihre Macht?
Indem ich den mächtigen Menschen sage, sie müssen stets die soziale Komponente berücksichtigen.

Sie trafen viele reiche Menschen. Was bedeutet Ihnen Geld?
Wir haben ein gutes Leben. Aber dafür haben wir hart gearbeitet. Unseren Kindern bezahlten wir eine gute Ausbildung. Alles darüber hinaus ist zweitrangig. Kein Verständnis habe ich für Leute, die nur Geld machen, um noch mehr Geld zu haben.

Sind die Mächtigen und Reichen denn glücklicher als wir?
Bei vielen ist es Illusion. Es macht sie nicht glücklicher, nochmals ­einen Jet oder eine Yacht zu kaufen. Mir sind Männer begegnet, die jedes Jahr eine neue und eine noch grössere kauften. Warum? Weil Freunde neue und grössere gekauft hatten. Da fehlt mir jegliches Verständnis.

hilde_schwab3Haben Sie deswegen die Schwab-Stiftung gegründet, die soziales Unternehmertum fördert?
In Davos sind Politiker versammelt, Manager und Wissenschaftler, Medienleute und Gewerkschafter. Ich hatte oft das Gefühl, es fehlen Menschen, die Organisationen gründen, die an der Basis etwas machen – und damit erfolgreich sind.

Sie zeichnen jährlich einen ­sozialen Unternehmer des Jahres aus, ohne ihm Geld zu geben. Was bringt das?
Viele Stiftungen geben Geld. Wir suchen Personen, die überlebensfähige Organisationen mit sozialen Innovationen gründen – deren Modell man kopieren kann. Wir bieten ihnen eine Plattform und das Forum-Netzwerk.

Sie starteten die Stiftung wegen der anhaltenden Kritik am WEF?
Diese Kritik hat mich immer gestört. Zumal viele nie versuchten zu verstehen, was wir machen. Sie sahen nur Reiche und Mächtige. Dabei hatten wir schon in den Siebzigerjahren Umweltschützer wie Franz Weber am Forum, den US-Konsumentenschützer Ralph Nader, den brasilianischen Befreiungstheologen Dom Hélder Câmara und viele andere. Einige Unternehmer waren nicht glücklich, dass wir diese Systemkritiker einluden.

Einst dauerte das WEF zwei ­Wochen, jetzt vier Tage. Wie hat das die Diskussionen verändert?
Alles ist schneller geworden. Früher gingen wir samstags und sonntags Ski fahren. Heute hat kein Chef mehr Zeit, während des Forums Ski zu fahren. Davos beklagt sich, dass die Skilifte jeweils leer sind.

Wie prägt das WEF eine Ehe?
Das Forum ist unser Leben, war es immer, wird es immer sein.

Ihr Sohn kam während des WEF 1973 zur Welt. Welchen Termin musste Ihr Mann absagen?
Zum Glück kam Olivier an einem Sonntag zur Welt. Die Manager fuhren Ski. Klaus war bei mir.

hilde_schwab4Wie wichtig sind die Ehegattinnen hinter erfolgreichen Managern?
Sie sind zentral. Ich stehe nicht hinter, sondern neben meinem Mann.

Wie hat sich die Manager-Gattin in 44 Jahren gewandelt?
Früher stand die Frau im Hintergrund, man inte­ressierte sich nicht für sie. Heute haben Frauen unabhängige Karrieren, oder aber sie sind gleichwertig mit ihrem Mann.

Sie gehören einer Generation von Frauen an, die den Hintergrund akzeptierten. Sie änderten sich?
Ich hatte nie das Gefühl, im Hintergrund zu sein. Als erste Mitarbeiterin bereitete ich das erste Sympo­sium mit meinem Mann vor.

Wie wäre das WEF, wenn Sie die Präsidentin wären?
Wir würden unsere Arbeit und unser Anliegen vielleicht besser kommunizieren.

Wie hat sich die Rolle der Frauen in der Wirtschaft gewandelt?
Gott sei Dank stark. Es gab stets fantastische Frauen in der Wirtschaft, aber nur wenige. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl stark gewachsen.

Gleichwohl gibt es in Chefetagen immer noch kaum Frauen. Warum ist diese letzte Glasdecke noch nicht durchbrochen?
Eine Amerikanerin sagte mal, es gebe keine Glasdecke, sondern eine ­dicke Schicht Männer, die uns den Weg an die Spitze versperrt.

Was wäre denn anders mit mehr Chefinnen?
Die Wirtschaft wäre menschlicher. Man sagt ja, mit den Lehman Sisters statt den Lehman Brothers wäre die Krise 2008 nicht passiert. Frauen führen anders als Männer. Sie beziehen ihr Umfeld anders mit ein. Sie haben ein anderes Herz, eine andere Seele, andere Beziehungen, sind vielfältiger. Die Welt wäre anders – und besser mit mehr Frauen.

Was müssen Frauen tun, um so viel zu verdienen wie Männer?
Nicht die Frauen müssen etwas tun. Die Unternehmen müssen ihnen gleich viel bezahlen. Frauen arbeiten genauso viel wie Männer. Sie arbeiten eigentlich noch mehr – vor allem wenn sie noch Familien haben.

hildeschwab2Wie sehr nervt Sie die Frage, wie lange Sie und Klaus Schwab das WEF noch leiten?
Sie nervt mich nicht mehr, denn ich weiss – die Frage kommt.

Okay, wie lange leiten Sie das WEF noch?
Fragen Sie meinen Mann nach dem nächsten Engadin Skimarathon.

Das tönt nach Abgang.
Unsinn, das tönt nach Dynamik.

Wer wäre ein würdiger Nachfolger?
Statt einem einzelnen Menschen könnte es ein starkes Team sein.

In Frage käme Bill Clinton – er ist so gut ­vernetzt wie Ihr Mann.
Er hatte die Idee für die Clinton-Global-Initiative in Davos. Mit dieser Stiftung ist er sehr erfolgreich – und sicher voll beschäftigt.