Weil der Rubel rollt

Viele Staatschefs meiden die Olympischen Spiele in Russland. Die Schweiz aber pflegt mit Moskau enge Banden – und ist gross im Geschäft.

Von Peter Hossli

sotschiSotschi am Schwarzen Meer ist Sperrgebiet. US-Präsident Barack Obama (52) reist nicht an die Olympischen Spiele, die dort am 7. Februar beginnen. Frankreichs Staatschef François Hollande (59) hat abgesagt, ebenso der deutsche Präsident Joachim Gauck (73). Russland missachte Menschenrechte.

Unbeirrt bleibt die Schweiz. Sie schickt drei Bundesräte an die Spiele. Bundespräsident Didier Burkhalter (53) besucht die Eröffnungsfeier. Sportminister Ueli Maurer (63) feuert Bob- und Skifahrer an. Sozialminister Alain Berset (41) fliegt im März an die Paralympischen Spiele. Fünf Millionen Franken wirft der Bund auf, um in Sotschi im House of Switzerland für die Schweiz zu werben.

Boykotte lehnt der Bundesrat ab – wie 1980, als der Westen die Spiele in Moskau mied. Sport und Politik sollten nicht vermischt werden.

Eher stimmt: Gute Freunde stösst man nicht vor den Kopf. Als «ausgezeichnet» rühmte 2012 der Schweizer Botschafter in Moskau das Verhältnis zwischen Schweiz und Russland. «Russland zählt zu den aussenpolitischen Prioritäten», so Daniel Haener, Chef der Regionalkoordination Osteuropa und Zentralasien im EDA. «So intensiv wie nie zuvor» seien die bilateralen Beziehungen.

Viel tragen Schweizer Firmen zum Gelingen der Winterspiele bei. Omega misst die Zeit. St. Galler Ingenieure der Amberg Group betreuten den Bau von neun Tunnels. Der einstige Olympiasieger Bernhard Russi (65) baute Pisten. Liftbauer von Garvaventa überholten Seilbahnen. Die in Baar beheimatete Botta Management Group leitete die Konstruktion des Olympia-Stadions. Schweizer Techniker errichteten Lawinenverbauungen.

Nicht nur wegen der Spiele rollt der Rubel. «Russland ist in erster Linie ein interessanter Markt», sagt EDA-Diplomat Haener (55). Schon im Jahr 2020 sollen Russen europaweit am meisten einkaufen.

Letztes Jahr flossen 42 Milliarden Franken von der Schweiz nach Russland, was 30 Prozent der ausländischen Investitionen im Zarenreich entspricht. Russen investierten 45,3 Milliarden Franken in der Schweiz – ein Drittel aller russischen Auslandsinvestitionen.

Gegen 600 Schweizer Firmen sind im Riesenreich tätig, darunter Nestlé, ABB und Holcim. Drei Viertel des russischen Rohöls wird über Genf, Zug und Lugano abgewickelt, oft mit kurzfristigen Krediten der Schweizer Grossbanken. Diese betreuen in Moskau und St. Petersburg reiche Russen und bringen ihre Firmen an die Börse.

Schweizer Hoteliers schätzen Russen. Erfolgreich umwirbt sie Schweiz Tourismus. 2012 reisten 201488 Russen in die Schweiz und buchten 561490 Hotelnächte, ein Plus von fast zehn Prozent. Sie geben einen Drittel mehr aus als ein durchschnittlicher Tourist.

Ein «politisches Schwergewicht» nennt Diplomat Haener Russland, «das einzige der fünf Mitglieder des Uno-Sicherheitsrats, mit dem wir einen institutionalisierten Dialog über verschiedenste Themen von gemeinsamen Interessen führen.» Auch über Menschenrechte, betont er. Bewusst suchten die zwei Länder die Nähe zueinander. Im November 2007 unterzeichneten sie eine Absichtserklärung, ihre Beziehungen zu stärken. Schon zwei Jahre später besuchte mit Dimitri Medwedew  (48) erstmals ein russischer Präsident Bern. Seither drückten Bundesräte bei 18 offiziellen Treffen die Hände russischer Minister.

Mit realen Folgen. Die Schweiz beschleunigte 2012 Russlands Beitritt zur Welthandelsorganisation. Russland lud Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf (57) an G20-Treffen nach Moskau und St. Petersburg. Die Schweiz vertritt russische Interessen in Georgien und georgische in Russland.

Schweizer Offiziere büffeln an der Generalstabsakademie in Moskau, russische Grenadiere üben in den Alpen. Sass der Feind einst im Kreml, tauschen sich heute Schweizer mit russischen Generälen aus.

Von Warschau nach Moskau verlegt die Kulturstiftung Pro Helvetia ihren osteuropäischen Fokus. Erstmals ging der Schweizer Ständerat letzten Oktober mit einem ausländischen Parlament eine offizielle Zusammenarbeit ein – mit dem russischen Senat. «Wir helfen den Russen, den Föderalismus auszubauen», sagt der abgetretene Ständeratspräsident Filippo Lombardi (57). Der Tessiner CVP-Politiker leitet – zusammen mit dem Aargauer GP-Nationalrat Geri Müller (53) – die Parlamentariergruppe Russland-Schweiz. Zum intellektuellen Duell kommt es in Bern während der kommenden Sommersession: Russische Senatoren spielen Schach gegen National- und Ständeräte.

Küssen sich zwei Frauen drohen Haft und Busse
Zeigen zwei Homosexuelle in Russland ihre Liebe öffentlich, müssen sie mit bis zu 15 Tagen Haft und 2820 Franken Busse rechnen. Ein seit Frühsommer geltendes Gesetz verbietet «Werbung für nicht traditionelle sexuelle Beziehungen». Untersagt sind Weitergabe von Informationen über schwule und lesbische Beziehungen, Küssen, das Hissen von Regenbogenflaggen. Wegen der Vorschrift rufen

Aktivisten weltweit zum Boykott der Spiele in Sotschi auf. «Schwule und Lesben sind überall diskriminiert», sagt Boris Ditterich von Human Rights Watch. «Russland aber sanktioniert die Diskriminierung staatlich.»

Schweizer Firmen, die für Sotschi Aufträge erhalten haben
Amberg Engineering: Consulting beim Tunnelbau
Botta Management: Projektierung von Stadien
Implenia: Stadiumbau
AlpinConsult: Projektierung und Bau der Skipisten
Garaventa: Überholung der Standseilbahn
Sensalpin: Lawinensicherung
Geobrugg: Lawinenverbauung
iArt: Multimediaprojekt für Sponsor Megafon
Nüssli: Generalunternehmer für verschiedene Pavillons