“Die arabische Realität erklären”

Mostefa Souag arbeitet seit elf Jahren für Al Jazeera. Heute ist er Generaldirektor des gesamten Networks. Zuvor war er Chefredaktor des arabischen Senders. Er stammt aus Algerien, wo er nach wie vor keine Korrespondenten hinschicken kann. Für Souag ist Al Jazeera das «erfolgreichste arabische Projekt der letzten zwanzig Jahre».

Interview: Peter Hossli Fotos: Katarina Premfors

souagHerr Souag, 1996 ging AlJazeera auf Sendung. Wie hat Al Jazeera andere arabische Medien beeinflusst?
Mostefa Souag: Die arabische Bevölkerung nahm den Sender von Beginn weg positiv auf. Für arabische Regierungen aber war er eine Bedrohung. Vor Al Jazeera standen TV-Stationen meist im Dienst der Machthaber. Selten konnten Journalisten frei arbeiten. Al Jazeera aber war frei und unabhängig. Für arabische Medien sind wir zu einem Vorbild geworden. Wir zeigten ihnen, was echter Journalismus ist.

Wie hat sich das für Al Jazeera ausgewirkt?
Wir sind stark gewachsen, haben heute mehr Einfluss und mehr Zuschauer. Es gab arabische Sender, die mehr Geld hatten als wir, doch viele sind wieder verschwunden. Wir sind noch hier, weil wir unseren Prinzipien treu geblieben sind. Unseren Erfolg verdanken wir der Qualität der Journalisten.

Für Al Jazeera arbeiten weltweit über 400 Journalisten aus über 60 Ländern. Wer passt zu Ihnen?
Echte und leidenschaftliche Journalisten. Wir zahlen gute Saläre, oft bessere als die Konkurrenz. Und wir geben allen den nötigen Raum, journalistisch zu arbeiten.

Journalisten brauchen Unabhängigkeit. Im Westen gilt Al Jazeera als Megafon arabischer Propaganda.
Wir werden kritisiert, weil wir jede Geschichte von allen Seiten betrachten. So waren unsere Reporter im Irak-Krieg nicht nur eingebettet mit der US-Armee. Sie zeigten zusätzlich, wie amerikanische Bomben ihre Ziele verfehlten und Zivilisten töteten. Unsere Konkurrenten hätten dieses Material gerne gehabt, aber sie waren nicht dort. Später bombardierten die Amerikaner unsere Büros in Afghanistan und töteten einen Reporter in Irak.

Wie sehr mischt sich der Besitzer von Al Jazeera ein, der Emir von Katar?
Al Jazeera gehört dem Staat Katar, nicht einer einzelnen Person. Niemand sagt uns, über was wir berichten sollen. Al Jazeera ist journalistisch komplett unabhängig.

Uneigennützig ist der Emir kaum. Er zahlt die Rechnungen. Gewinne erwirtschaften müssen Sie nicht.
Jede Regierung der Welt will Einfluss nehmen. Es gibt jene, die das mit Waffen tun, andere mit Soft Power, etwa mit Medien oder Diplomatie. Dieser Einfluss tötet nicht. Doha ist ein Zentrum für Friedensverhandlungen und Diplomatie. Wichtig ist die Fussball-WM von 2022. Der Emir von Katar will das Land entwickeln und der gesamten Menschheit etwas bringen.

hossli_souagHat Al Jazeera den Arabischen Frühling kreiert, wie viele sagen?
Al Jazeera ist das erfolgreichste arabische Projekt der letzten 20 Jahre. Niemand sonst hat den Menschen im arabischen Raum ihre Realität besser erklärt. Wir zeigen, was mit der Jugend passiert, mit den Frauen, was in der Wirtschaft läuft und was in der Politik. Den Arabischen Frühling haben die Menschen selber gestartet. Später hat Al Jazeera gezeigt, wie man zu Gerechtigkeit kommen kann, wenn man sich dafür einsetzt.

Was unterscheidet Al Jazeera von anderen globalen Nachrichtensendern wie BBC oder CNN?
Wir bringen Barack Obama und Angela Merkel, aber wir gehen auch auf die kleinen Leute ein. Wir geben jenen eine Stimme, die keine haben.

Warum berichtet Al Jazeera nur selten über Katar?
Weil in Katar wenig passiert, das die Welt interessiert. Wir sind keine lokale, sondern eine globale TV-Anstalt. Als Amnesty International im November einen Bericht über Arbeitsbedingungen in Katar veröffentlichte, waren wir natürlich vor Ort.

Die Reportage über die Redaktion von Al Jazeera in Doha