Beste Freunde

Nelson Mandela sass 27 Jahre im Gefängnis – eingekerkert von einem rassistischen Regime, mit dem die Schweiz geschäftete. Banken und Industrie profitierten.

Von Peter Hossli

apartheidNeu war das Aperçu nicht, mit dem Nelson Mandela den Schweizer Aussenminister Flavio Cotti im September 1994 in Kapstadt empfing. Aber es tat weh. «Wenn Sie einen Schweizer Ban­kier aus dem Fenster springen sehen», sagte Südafrikas erster schwarzer Präsident, «springen Sie hinterher. Es gibt bestimmt etwas zu verdienen.»

Cotti erstarrte. Mandela nutzte es und drängte den Schweizer, Investitionen im freien Südafrika zu fördern. Cotti (heute 74) konnte gar nicht anders. Fortan hatte das Land am Südkap für ihn Priorität.

Die Episode ist passend für den am Donnerstag verstorbenen Mandela (†95), einen klugen, versöhnlichen, gerissenen Staatsmann.
Die Anekdote erzählt ein Schweizer Diplomat, der anonym bleiben will. Sie steht auch für das unrühmliche Verhältnis der Schweiz mit den Peinigern Mandelas – dem Apartheid-Regime, das ihn 27 Jahre lang einkerkerte.

Schon vier Monate nach seiner Freilassung reiste Mandela im Juni 1990 nach Bern. Beim Treffen mit Aussenminister René Felber (heute 80) kam er sofort zur Sache. Jahrelang habe die Schweiz die Apartheid gestützt, klagte er an. Ein System, in dem Weisse straflos Schwarze unterdrückten, folterten und ermordeten – weil sie schwarz waren.

Mandelas direkte Art beeindruckte Felber. Er orderte seine Diplomaten an, südafrikanischen Juristen zu helfen, eine neue Verfassung zu ersinnen. Dazu berief er in Interlaken eine Konferenz ein.

Es war ein aufrichtig gemeinter Versuch, vieles wiedergutzumachen. Denn Südafrika ist für die Schweiz ein dunkles Kapitel. Während der bis 1991 dauernden Apartheid pflegte sie enge Beziehungen zum Regime – selbst als sich die internationale Staaten­gemeinschaft abgewendet hatte.

Die Uno verhängte in den Achtzigerjahren Sanktionen. Viele Länder schlossen sich an, sogar die USA. Nicht aber die Schweiz. Sie unterhielt militärische und politische Kontakte mit dem Kap der Guten Hoffnung, half beim Bau eines Kernkraftwerks. Der Bundesrat überliess es den Firmen, trotz Sanktionen mit Südafrika Handel zu betreiben oder auf Distanz zu gehen. Die meisten blieben im Geschäft.

«Die Schweiz ist die wichtigste Stütze der Südafrika-Rassisten», titelte SonntagsBlick am 27. März 1988. Die Importe verdoppelten sich, als die meisten Länder süd­afrikanische Rohstoffe und Granny-Smith-Äpfel boykottierten. Die Uhrenindustrie kaufte Diamanten aus Minen, in denen Schwarze für Hungerlöhne schufteten. Holderbank lieferte Zement ans Kap, Sulzer Pumpen, Schindler Lifte. Südafrikanische Konzerne stellten mit Lizenzen von Bührle Munition her. Polizisten erschossen damit Schwarze. Jahrelang versorgte der in Zug domizilierte Händler Marc Rich (†78) Südafrika mit lebensnotwendigem Erdöl. Allein in den Achtzigerjahren schleuste er 27 Tanker ans Kap.

An jeder dritten Südafrika-An­leihe waren Schweizer Banken beteiligt. Von 1980 bis 1981 verdoppelten sich ihre Guthaben in Süd­afrika auf 2,64 Milliarden Franken.

Mit einem Kniff versuchten sie ihr Gesicht zu wahren. Ab 1974 beschränkte der Bundesrat den Geldfluss nach Südafrika auf jährlich 250 Millionen Franken. Die Obergrenze stieg 1980 auf 300 Millionen. Nicht mitrechnen mussten die Banken Darlehen von weniger als zwölf Monaten Laufzeit sowie solche unter zehn Millionen Franken.

Zu horrenden Zinsen liehen sie Geld. Laut Südafrika-Kennerin Mascha Madörin verlangte die Schweizerische Bankgesellschaft (SBG, heute UBS) von Südafrika höhere Kapitalkosten als vom zairischen Diktator Mobutu. «Die haben mächtig von den Boykotten profitiert», sagt Madörin. Was dem SGB-Chef Nikolaus Senn damals bewusst war. «In Südafrika haben wir noch nie einen Rappen verloren», sagte er in einem Interview.

Er hatte harte Garantien. Nirgends liegt mehr Gold als unter Südafrikas Erde. Deshalb stieg die SBG in den Fünfzigerjahren dort ein. Rasch folgten die anderen Grossbanken.

Gold war das Rückgrat der südafrikanischen Wirtschaft. Das Land schürfte rund 80 Prozent des westlichen Goldes. Über die Hälfte ging über Schweizer Schmelzwerke und Tresore in die Welt hinaus.

Allein 1985, enthüllte das Nachrichtenmagazin «Facts», flog die Swissair über 400 Tonnen Gold in die Schweiz – für 10,4 Milliarden Franken. Dank der Goldgeschäfte hielt das Regime die Sanktionen lange Zeit aus. Diesen Befund konnte der Bundesrat – wie «Facts» aufzeigte – bereits 1986 in einer vertraulichen Studie lesen.

Wurde es für die südafrikanischen Schergen brenzlig, halfen Schweizer Unterhändler. Etwa der einstige Notenbankpräsident Fritz Leutwiler (†72). Er handelte 1986 einen Erlass der südafrikanischen Schulden aus. «Ein Akt der Unmenschlichkeit», so der von Mandela geführte African National Congress. Ohne Deal, urteilen Historiker, wäre die rassistische Diktatur früher zerfallen.

Also hat die Schweiz die Apartheid verlängert? Nein, aber klar gestützt, urteilte der Basler Histori-ker Georg Kreis in einer National-fonds-Studie. «Zweigleisig» sei die Schweizer Politik gewesen, sagt Kreis zu SonntagsBlick. Zwar verurteilte die Schweiz die Apartheid 1968 offiziell. Taten folgten nicht. «Der Widerspruch zwischen strikter Verurteilung der Apartheid und der Weigerung, etwas dagegen zu unternehmen, zieht sich wie ein roter Faden durch die schweizerische Südafrika-Politik», sagt Kreis.

Ungeklärt ist vieles. So liess der Bundesrat 2003 etliche Südafrika-Akten sperren. Unlängst lehnte er es ab, das Archiv zu öffnen.

Wie gleichgültig Schweizer Wirtschaftsführer mit der Rassentrennung in Südafrika umgingen, zeigt ein Interview, das SBG-Chef Senn (87) 1983 der «Bilanz» gab. Süd­afrika beschrieb er als «eines der interessantesten Länder». Und: «Die Rassenprobleme werden überhaupt nie ganz zu lösen sein. Es handelt sich um eine ganz natürlich menschliche Erscheinung.»

Er trat klar für die Apartheid ein. «Wenn ich in Südafrika leben würde, wäre ich auch nicht bereit, die Zügel aus der Hand zu geben», sagte Senn. «‹One man – one vote› ist für mich keine Weltreligion.»

Diesem Schweizer Banker wäre Mandela kaum hinterhergesprungen – selbst wenn das Aperçu vom Aufklärer Voltaire stammt.