Zuletzt fällt immer Ohio

Amerika ist ein geteiltes Land. Viel zu langsam erholt sich der Grossraum New York von Sandy. Im Mittleren Westen tobt Wahlkampf.

Von Peter Hossli (Text) und Stefan Falke (Foto)

Aufs Haar gleichen sich Ni und Ti Belete. Demokratie ist den 26-jährigen Zwillingen aus Brooklyn viel wert. Da der Supersturm Sandy New Yorks Subway stilllegte, schleppten sie am Donnerstag früh ihre Koffer über die Williamsburg Bridge, gingen zu Fuss zur Busstation, fuhren zehn Stunden im Reisecar nach Ohio.

Gestern Samstag standen sie auf dem Uni-Gelände in Bowling Green, Ohio. «Hast du schon gewählt?», fragte Ti eine Studentin. Wie Ni und Ti mobilisieren derzeit Tausende Freiwilliger unentschlossene Wähler in Ohio. «Je mehr in Ohio wählen, desto eher wird Obama wiedergewählt», sagt Ni Belete.

Die Wahl ist eine von zwei Ereignissen, die Amerika erfasst hat. Das zweite spielt sich an der US-Ostküste ab. Viel zu langsam erholt sich der Grossraum New York von Sandy. Es mangelt an Strom, Benzin, Lebensmitteln. In Chelsea zerstörte das Wasser schicke Galerien und wertvolle Kunst. Ein zweiter Sturm trägt arktische Luft herbei. Die Nerven liegen blank, zumal viele Heizungen ausgestiegen sind.

Parallel dazu tobt in Ohio unerbittlich der Wahlkampf. Mitt Romney (65) und Barack Obama (51) sind hier. Dazu werben Polit-Grössen aus dem ganzen Land für Kandidaten ihrer Partei. Am aggressivsten macht das New Yorks einstiger Bürgermeister Rudy Giuliani, ein Republikaner. «Obama ist ein Deserteur», sagte Giuliani auf CNN. «Er lässt New York im Stich.» Statt sich um die geschundene Metropole zu kümmern, kämpfe er um die Wiederwahl. «Er ist Präsident und für uns verantwortlich, nicht für sich.» Giuliani forderte: «Obama sollte zurücktreten.»

Hier in Ohio klopfen Ni und Ti Belete an Türen, verteilen Flugblätter, rufen Wähler an. Es ist Knochenarbeit. «Es gibt leider nur wenig Begeisterung für diese Wahlen», sagt Ti. «Als Obama vor vier Jahren antrat, wirkte er nicht wie ein Politiker. Das gefiel vielen. jetzt sind sie enttäuscht.»

Weil die Begeisterung fehlt, wird es knapp. Politik-Analysten wagten es bis gestern nicht, den Sieger von Ohio vorauszusagen. Vor vier Jahren prognostizierten sie vor dem Urnengang gelassen: Obama holt sich Ohio. Zwei Tage darauf liess er sich in Chicago feiern.

Bis Dienstag werden die zwei Kandidaten kaum mehr schlafen. Sie fliegen in die Wackelstaaten Colorado, New Hampshire, Pennsylvania, Virginia, kommen zurück nach Ohio. Obama verbringt die Wahlnacht in Chicago, Romney in Boston.