Wie aus Schwarzgeld Weissgeld wird

Die Weissgeldstrategie wird längst angewendet. Mit ehrlichen Kunden verdienen die Banken mehr Geld.

Von Peter Hossli

Die Familie stammt aus dem Ausland. Sie hat ihr gesamtes Vermögen einer Schweizer Privatbank anvertraut. Mehrere Milliarden Franken, bereits in dritter Generation. «Jeder Rappen ist versteuert», sagt der Besitzer der Bank. Wir nennen ihn Privatbanker.*

Aufs Bankgeheimnis verzichten wollen diese Kunden aber nicht. Es ist der Grund, warum sie ihr Geld in der Schweiz und nicht zu Hause verwalten lassen. «Die Familie gilt als sehr privat», sagt der Privatbanker. «Niemand soll wissen, wie reich sie ist.»

Er habe sie gefragt, warum ihnen das so wichtig sei. Das Familienoberhaupt: «Wir wollen, dass unsere Kinder trotz ihres Reichtums ein normales Leben führen können.»

Die Familie entspricht der Kundschaft, die Schweizer Banken in Zukunft umwerben sollten, sagt der Privatbanker. «Das Bedürfnis nach finanzieller Privatsphäre minus Steuerbeschiss muss im Zentrum einer neuen Strategie stehen.»

Das lang erfolgreiche Modell, unversteuerte Gelder wohlhabender Ausländer von der Schweiz aus zu verwalten, habe ausgedient. Zu gross geworden ist der internationale Druck. Weltweit sitzen Steuervögte vor leeren Staatsschatullen. Teure Kriege und Steuergeschenke haben etwa in den USA hohe Schulden hinterlassen. In Europa rissen steigende Sozialkosten und die stotternde Konjunktur riesige Löcher in die Haushalte. Statt ordentlich ihre Steuern zu entrichten, versteckten viele EU-Bürger ihr Geld in Finanzplätzen wie der Schweiz.

Das geht kaum noch. «Wir leben heute in einer Welt, in der keine Regierung ein anderes Land toleriert, das Schwarzgeld versteckt», sagt der Privatbanker. Spätestens seit der US-Strafanzeige gegen die Bank Wegelin haben das die meisten Politiker in der Schweiz realisiert.

Der Finanzplatz müsse sich neu erfinden, verlangt der Privatbanker. «Das ist möglich, wenn alle akzeptieren, dass das alte Geschäft mit unversteuerten Vermögen passé ist.» Ende Februar will Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf die Weissgeldstrategie des Bundes präsentieren. Derweil bejubeln linke Politiker den Tod des Bankgeheimnisses.

«Das ist falsch», sagt der Privatbanker. «Das Recht auf finanzielle Privatsphäre und Steuerehrlichkeit lassen sich verbinden.» Sollten Banken und Politiker dies nicht beherzigen, «verliert der Finanzplatz Schweiz seine Bedeutung».

Eine Einschätzung, die CS-Chef Brady Dougan im Interview mit SonntagsBlick (Seite 22) teilt: «Ich schätze, dass die grosse Mehrzahl der Kunden ihr Geld an Finanzplätzen anlegt, wo sie darauf vertrauen kann, dass die Regeln strikt befolgt werden.»

Die Schweizerische Bankiervereinigung (SBV) stimmt dem zu. «Das Bankgeheimnis schützt in Zukunft keine Steuerhinterzieher mehr», sagt ihr Sprecher Thomas Sutter. «Aber das Bankgeheimnis muss weiterhin die Privatsphäre von steuerehrlichen Kunden schützen.»

Die Umsetzung der Weissgeldstrategie hat längst begonnen. Bis Ende 2011 genehmigten die eidgenössischen Räte neue Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mit 20 Ländern, darunter Deutschland, Frankreich und Grossbritannien. Die Abkommen erfüllen den aktuellen Standard der OECD. Bald dürften 23 weitere solcher Abkommen ratifiziert sein.

Kein einziges Land ausserhalb der Europäischen Union geht derart weit.

Bei den neuen Doppelbesteuerungsabkommen fällt die alte Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und -hinterziehung weitgehend weg. Neu erteilt die Schweiz ausländischen Behörden bei begründetem Verdacht auf Steuerhinterziehung Amtshilfe.

Mit der Abgeltungssteuer bietet die Schweiz zudem die Möglichkeit, anonym Quellensteuern einzutreiben. Bereits nächstes Jahr, so hofft man in Bundesbern, sollen die Abkommen mit Deutschland und Grossbritannien in Kraft sein.

Der Bund will überdies schwere Steuerdelikte als Vortaten zur Geldwäscherei anerkennen.

Um Bankkontodaten steuersäumiger Bürger einzusehen, stehen ausländischen Steuerfahndern drei Kanäle offen. Bei einem Strafverfahren kann die Schweiz Rechtshilfe leisten. Bei Steuerdelikten ist Amtshilfe möglich. Gelten Steuerdelikte definitiv als Vortatbestände zur Geldwäscherei, müssen Finanzhäuser in Verdachtsfällen zwingend die Behörden benachrichtigen.

Die Folge: «Es lohnt sich für Steuerbetrüger nicht mehr, Geld in der Schweiz zu verstecken», sagt der Privatbanker.

Eine weisse Zukunft bescheren dem Finanzplatz drei Pfeiler: DBA, Abgeltungssteuer und Geldwäschereigesetz. Was aber geschieht mit den rund 400 Milliarden Franken unversteuerter Gelder? «Um eine plausible Strategie nach vorne zu entwickeln, muss dringend die Vergangenheit gelöst werden», fordert Bankiervereinigungs-Sprecher Sutter. «Bestehende Kunden müssen steuerehrlich werden können, und zwar anonym.»

Wie soll das gehen? Der Bundesrat sieht drei Möglichkeiten vor:

1. Abzug. Der steuersäumige Kunde löst sein Konto auf und flüchtet in ein anderes Land. Die Schweiz verliert den Kunden.

2. Selbstanzeige. Der Kunde will sich im Land stellen, wo er steuerpflichtig ist. Er ermächtigt seine Bank, Kontodaten der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) zu melden. Diese überstellt die Daten dann dem Partnerstaat. Der ausländische Kunde bezahlt seine Steuern nach, entrichtet daheim eine Busse – behält aber sein Schweizer Konto.

3. Abgeltungssteuer. Der Kunde bleibt anonym. Die Bank zieht die Steuer direkt ab, also an der Quelle, und überweist den Betrag an die ESTV. Diese wiederum leitet den Betrag an den Partnerstaat weiter. Die Kontobeziehung in der Schweiz bleibt bestehen.

Um die bestehenden unversteuerten Konten «weiss» zu machen, brauche es für «jeden einzelnen Staat eine länderspezifische Lösung», sagt SBV-Sprecher Sutter. Zumal offen ist, ob die EU die Schweizer Ideen akzeptiert.

Derweil verlangen Politiker, dass Kunden eine schriftliche Erklärung vorlegen, ihre Gelder seien versteuert. Banker halten das für wenig praktikabel. «Eine solche Erklärung ist nicht mehr wert als das Papier, auf der sie steht», sagt ein Grossbanker. «Wer kriminelle Energie hat und Geld hinterziehen will, der unterschreibt alles.»

Stattdessen haben die Banken den proaktiven Weg eingeschlagen. Die Tage sogenannter Strukturen, also international aufgestellter Scheinfirmen und Stiftungen, die Kundenberater hauptsächlich zum Zweck der Steuerhinterziehung einrichten, sind gezählt.

Die meisten Banken erstellen solche Konstrukte nur noch, wenn ein auswärtiger Steuerberater eidesstattlich erklärt, das Geld sei deklariert. Selbst Kundenberater werden von ihren Banken mittlerweile angehalten zu erklären, das Geld ihrer Kunden sei versteuert. «Strukturen zur Steuerhinterziehung gibt es in der Schweiz bald nicht mehr», sagt ein Beobachter.

Fürs Geschäft ist Schwarzgeld schlecht. Unprofitable Sparten hat die darbende Finanzbranche genug: Letzte Woche vermeldeten die Grossbanken schrumpfende Gewinne. Das Investmentbanking wirft Verluste ab. Kunden der Vermögensverwaltung sitzen auf Cash, haben Angst, es zu investieren.

Höchste Priorität hat die Weissgeldstrategie, weil die Finanzhäuser hoffen, so mehr zu verdienen. Öfters bereden deshalb Bankanwälte mit Leitern der Vermögensverwaltung ein Thema: Wie wird aus Schwarzgeld weisses Geld?

Die typischen Schwarzgeldkunden sind nicht die Superreichen. Sondern mittelständische Ausländer, die zwischen einer halben und einer Million unversteuerter Franken in der Schweiz horten.

Diese Gelder kann eine Bank kaum bewirtschaften. Dem Kundenberater sind Besuche im Land des Kunden verboten. Er kann ihm keine teuren Produkte anbieten. Abgesehen von der Kontoführungsgebühr ist da nichts zu holen.

Deshalb liegt der Fokus der Vermögensverwalter vermehrt bei den Superreichen. Sie wollen Kunden anziehen, welche 500 Millionen Franken bringen – voll versteuert. Ihnen können sie die gesamte Produktepalette offerieren.

Dazu CS-Chef Dougan: «Wir konzentrieren uns seit längerem auf die Verwaltung versteuerter Gelder.» Zumal das weitaus «profitabler» sei. «Es braucht ein nachhaltiges, den Steuervorschriften entsprechendes Vermögensverwaltungsgeschäft.»

Noch ist bei der Weissgeldstrategie meist nur von ausländischen Kunden die Rede. Was aber ist mit Schwarzgeld, das Schweizer in der Schweiz verstecken? Kantonale Finanzdirektoren pochen auf gleiche Auskunftsrechte, wie sie deutsche oder französische Steuerfahnder haben. «Was für ausländische Kunden gilt, wird bald für alle gelten», sagt der Privatbanker. Demnach dürfte bei schweizerischen Steuerdelikten die Unterscheidung zwischen Betrug und Hinterziehung verschwinden. «Das ist ein altes Bollwerk, es wird sehr schnell fallen.»
* Name der Redaktion bekannt