Das Ende der ältesten Bank

Konrad Hummler hatte zwei Möglichkeiten: das Bankgeheimnis zu verletzen. Oder die Bank Wegelin zu verkaufen.

Von Peter Hossli und Roman Seiler

Am 6. Januar rief das US-Justizdepartement (DoJ) Richard Strassberg ins New Yorker Büro. Was der US-Anwalt der Schweizer Bank Wegelin damals hörte, überraschte ihn.

Das Vertrauen in den politischen Prozess sei verloren gegangen, teilte das DoJ mit. Entweder händige Wegelin die Kontodaten steuersäumiger US-Bürger sofort aus. Oder das DoJ erstattet eine Strafanzeige.

Perplex verliess Strassberg die Büros des DoJ. Sofort informierte er die Wegelin-Partner. In St.Gallen lagen die Nerven blank. Eine Strafklage, wusste Wegelin-Chef Konrad Hummler, würde das rasche Ende der ältesten Schweizer Bank bedeuten.

Bankdaten aber durften nicht einfach so raus. Das würde das Schweizer Bankkundengeheimnis verletzten – und bei auf Diskretion bedachten Kunden das Vertrauen enorm mindern.

Faktisch sah sich Wegelin in einer ausweglosen Situation.

Zwischenzeitlich überlegten sich die Partner, ob sie einen von ihnen mit einer Daten-CD im Gepäck in die USA schicken sollten. Als Winkelried würde er die Kontodaten aushändigen. Trotz Risiko, in der Schweiz eine Haftstrafe absitzen zu müssen.

Die Idee wurde verworfen. Aber es eilte. Das Geschäft litt. Sitzt ein Finanzinstitut auf der US-Anklagebank, springen alsbald die Kunden ab, Geschäftspartner, die Gegenparteien.

Bei Wegelin reichte die Klageandrohung Anfang Januar, die Bank in die Knie zu zwingen. Finanzhäuser, die Jahrzehnte mit ihr arbeiteten, kürzten die Kreditlimiten drastisch und führten einzelne Aufträge nicht mehr aus. Zuletzt war die älteste Schweizer Bank nicht mehr in der Lage, einen ordentlichen Betrieb aufrechtzuerhalten.

Es blieb nur der Notverkauf. «Banken mögen Banken nicht, die unter Stress stehen», sagt ein Ex-Wegelin-Banker. Wegelin stand unter enormem Stress.

Die Wegelin-Partner hatten offensichtlich geahnt, was auf sie zukommt und eine Loslösung des Nicht-US-Geschäfts geplant. Das konnten sie in nur 17 Tagen an die Raiffeisen Gruppe übertragen – handwerklich eine beachtliche Leistung. Zumal es nicht ganz einfach war, schnell einen Namen zu finden. Zufällig stiessen die Banker auf Notenstein. Wegelin hatte den Namen 1968 eintragen lassen.

Obwohl in St. Gallen Gerüchte über die Gründung der Notenstein umgingen, drang nichts an die Öffentlichkeit. Am 26. Januar gab die schweizerische Finanzmarktaufsicht in Absprache mit den USA grünes Licht für den Notverkauf an Raiffeisen. Bei der Gestaltung des Notenstein-Logos übernahmen die Grafiker das Raiffeisen-Rot.

Weil die Amerikaner sie nicht im Visier hatten, kamen die Genossenschafter zum Zug. Sie erwarteten keinerlei Synergieeffekte wie einen Arbeitsplatzabbau. Am 27. Januar erfolgte am Morgen der Eintrag beim Handelsregisteramt in St. Gallen. Bald darauf informierte Hummler das Personal über die internen Lautsprecheranlagen der Bank. Viele Topbanker seien in Tränen ausgebrochen.

Über den Verkaufspreis besteht Stillschweigen. SonntagsBlick schätzt: Die Raiffeisen hat mehr als 500 Millionen Franken bezahlt. Die alte Wegelin verfügt über erhebliche Eigenmittel. Zudem wird Raiffeisen die Immobilien übernehmen, etwa den Notenstein-Hauptsitz und den Sitz der Wegelin an der Museumstrasse in St. Gallen.

Für das von Wegelin übernommene Vermögensverwaltungsgeschäft zahlt Raiffeisen gegen 300 Millionen Franken. Wie bei solchen Deals üblich, erfolgt die Auszahlung in Etappen. Eine erste Tranche liegt in den Taschen ehemaliger Aktionäre. Der Rest ist auf einem Treuhandkonto parkiert.

Bei Wegelin arbeiten noch rund 15 Leute. Sie wickeln US-Kunden ab und schicken sie zu anderen Banken. Und sie harren dem Verdikt aus den USA. Das Kapital für die voraussichtliche Busse – mehrere Dutzend Millionen Dollar – liegt in der Wegelin bereit zur Zahlung.