Dieses Bild kostet Libyen Milliarden

200 Milliarden Dollar von Gaddafi sind weltweit eingefroren. Doch ­solange in Libyen das Faustrecht gilt, bleibt das Geld blockiert.

Von Peter Hossli

gadEin Mob zerrt den blutüberströmten Körper vom Wagen. Fäuste dreschen auf einen hilflosen Menschen ein. Der fleht um Gnade. Schüsse fallen. Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi stirbt.

Andertags liegt der Tote in einem Kühlhaus von Misrata, halbnackt, ungewaschen. Als sei die Beute noch warm, beugen sich bärtige Männer über den Leichnam, knipsen ihn triumphierend mit dem Handy.

Das barbarische Treiben beweist – Libyen ist noch weit entfernt davon, ein Rechtsstaat zu sein.

Es sind Bilder, die das Land eine Menge kosten dürften. Weltweit sind geschätzt 200 Milliarden Dollar von Gaddafis Vermögen eingefroren, blockiert von Sanktionen der Uno, der OECD. Um die Gelder zu entsperren, müsste der Sicherheitsrat den Boykott aufheben.

Was angesichts der labilen Lage in Libyen lange dauern dürfte, wie Reed Brody von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch glaubt: «Bevor Libyen eine legitime Regierung hat, ist es unmöglich, die Gelder freizugeben.»

Auch im Sicherheitsrat seien keine Anzeichen für einen raschen Sanktionsstopp zu erkennen, verlautet aus New York. Stattdessen wollen die USA und die Uno die Umstände von Gaddafis Tod genau untersuchen. Auf Schweizer Konten sind momentan 265 Millionen Franken libyscher Gelder blockiert, so das Staatsekretariat für Wirtschaft – überwiegend Besitztümer von staatlichen libyschen Firmen, von Gaddafis Familie und deren nahen Getreuen. Die Firmengelder kommen wohl zuerst frei, sobald die Uno-Sanktionen entfallen. Mindestens zehn Jahre aber, schätzen Kenner der Materie, dürfte es bis zur Freigabe von Gaddafis Schätzen dauern.

Schweizer Diplomaten wissen derzeit nicht einmal, wer in Libyen zuständig sein könnte. Unter dem Terror des selbstherrlichen Diktators haben nicht nur die Menschen gelitten, sondern sämtliche staatlichen Institutionen.

Trotzdem bereitet die Schweiz Lösungen für Libyen vor. Kein Land der Welt nehme sich der Sache der Despotengelder gewissenhafter an, sagt Brody, der seit Jahrzehnten Diktatoren jagt – oft in entlegensten Gebieten. «Die Schweiz hat sich in den letzten Jahren vom sichersten Versteck zum riskantesten Ort für Diktatorengelder gewandelt.»

Während andere Staaten nach dem Sturz von Despoten zuwarten, knüpft die Schweiz jeweils sofort Kontakte zur Nachfolgeregierung. Kaum war der tunesische Präsident Zine el-Abidine Ben Ali Mitte Januar ins Exil geflohen, entsandte die Schweiz einen Finanzspezialisten nach Tunis. Seither hilft er dort beim Aufbau rechtlicher Strukturen. In Bern liegt bereits ein offizielles Rechtshilfegesuch für die Rückführung der 60 Millionen Franken vor, die auf Schweizer Konten eingefroren sind. Kein anderes Land hat in Tunesien so viel erreicht.

Schweizer Banken sperren derzeit 45 Millionen Franken aus Syrien. Diplomaten überlegen inzwischen, wie das Geld an Damaskus zurückfliessen könnte, wenn Präsident Baschar al-Assad gestürzt ist. Ihr Grundsatz: Despotengelder müssen schnell an die geschundenen Völker zurück.

Auch in Ägypten klären Schweizer Rechts- und Finanzexperten die Situation. Noch sind 410 Millionen Franken eingefroren, die der Familie von Ex-Präsident Hosni Mubarak gehörten. Das Land sei aber zu labil, um Rechtshilfegesuche zu stellen, heisst es aus diplomatischen Kreisen. Viele der Blüten des Arabischen Frühlings sind in Kairo verwelkt. Radikale Islamisten liefern sich mit den Generälen einen erbitterten Kampf um die Macht. «Ägypten droht als Staat zu scheitern», sagt Tony Blankley von der US-Denkfabrik Heritage Foundation.

Derweil raten die Schweizer den Libyern, eine international erfahrene Treuhandfirma zu verpflichten. Nur so liessen sich Gaddafis komplexe Finanzstrukturen entwirren. «Er hat sehr viele Konten unter Pseudonymen angelegt», weiss Diktatorenjäger Brody, «betrieb Hunderte von Scheinfirmen, die für ihn enorme Summen versteckten.»

Zudem seien etliche Personen aus seinem nächsten Umfeld als Inhaber solcher Konzerne und Konten eingetragen. Gaddafis Spiessgesellen würden alles unternehmen, die Gelder auf eigene Konten zu übertragen. Die internationale Finanzbranche sei daher dringend gefordert, Transaktionen von europäischen und amerikanischen Banken in den Nahen Osten oder an libysche Personen zu überwachen.

Sind Gaddafis Gelder erst sichergestellt, hätte die Schweiz eine Idee parat, sie rascher als über langwierige Rechtshilfeverfahren abzuwickeln. Jüngst regte EDA-Vorsteherin Micheline Calmy-Rey in Paris und später bei der Uno in New York an, die Gelder zu konfiszieren und über einen internationalen Fonds an Tripolis zu überweisen. So hatte es bereits im Fall des irakischen Diktators Saddam Hussein geklappt.

Diktatorengelder, von der Schweiz freigegeben

Die Schweiz hat weltweit den siebtgrössten Finanzplatz. Und kein anderes Land retourniert mehr Despotengelder an betroffene Länder. Insgesamt 1,7 Milliarden Franken, die Diktatoren auf Schweizer Banken versteckt hatten, gab sie in den vergangenen fünfzehn Jahren frei. Voran gehen jeweils jahrelange juristische Zänkereien. So verhandelte die Schweiz mit den Philippinen zwischen 1986 und 2003, bis sie 684 Millionen Dollar von Konten des ehemaligen Diktators Ferdinand Marcos ans Inselreich zurückgeben konnte. Von Präsident Carlos Salinas flossen 74 Millionen Dollar ­zurück an Mexiko, vom kongo­lesische Tyrannen Mobutu Sese Seko 6,7 Millionen Dollar.