Der Abgang

Seit gestern ist UBS-Chef Oswald Grübel offiziell wieder Privatier. Er tritt wegen des Zwei-Milliarden-Verlustes eines Händlers zurück.

Von Peter Hossli und Roman Seiler

abgangVor zehn Tagen war es erst, da klang Oswald Grübel (67) noch siegesgewiss. «Ich denke nicht über einen Rücktritt nach», so der UBSCEO am Rande eines klassischen Konzerts in Luzern. Schuldig für den Milliardenverlust in London fühle er sich nicht. Letzten Sonntag tönte es schon moderater. «Die Verantwortung trägt der CEO, also ich», sagte er in der «Tagesschau».

Da fragte er sich wohl bereits, ob er zurücktreten soll. Einer muss ja die Konsequenzen tragen für das Debakel, das der Händler Kweku Adoboli in London anrichtete.

Mit gemischten Gefühlen dürfte er am Montag nach Singapur geflogen sein. Es erwartete ihn ein überladenes Programm. Erst Kontakte mit Kunden. Dann ein Meeting mit angesäuerten Vertretern des grössten Aktionärs der Bank, Singapurs Staatsfonds GIC. Am Mittwoch Sitzungen mit der Konzernleitung. Ab Donnerstag tagte der Verwaltungsrat. Mit dem Besuch des Formel-1-Rennens sollte die Sitzung gestern Sonntag enden.

Doch diese Freude blieb Rennsport-Fan Grübel versagt. Samstag früh um 1.20 Uhr Ortszeit bestieg er einen Airbus 380 in Richtung Zürich, zusammen mit Kaspar Villiger, Bruno Gehrig und Axel Lehmann vom Verwaltungsrat. Knapp sieben Stunden später landete der Jumbo in Kloten. Sergio Ermotti nahm den Umweg über Mailand. Um dann sofort Villiger nach Bern nachzureisen.

Um 11 Uhr tagte der Verwaltungsrat nochmals per Telefonkonferenz, um Grübels Rücktritt anzunehmen und dessen Interimsnachfolger zu wählen. Eben jenen eleganten, polyglotten Tessiner Sergio Ermotti (51). Punkt 12 Uhr Schweizer Zeit vermeldete die Bank den Führungswechsel.

Damit geht für die Bank eine dramatische Woche zu Ende. Der Handelsverlust von rund zwei Milliarden Franken erschütterte das Ansehen der Bank, insbesondere in der Schweiz. Weltweit rätselten Fachleute und Medien, wie das geschehen konnte. Ausgerechnet jetzt, wo die UBS dachte, alle Imageschäden aus Steuerstreit und Finanzkrise hinter sich gebracht zu haben. Lauthals forderten Politiker und Leitartikler Grübels Rücktritt.

Der Verwaltungsrat in Singapur aber hielt zum UBS-Kapitän, vorerst. Das Gremium ist dem ehemaligen Pensionär dafür dankbar, dass er mitten in der Finanzkrise auf dem Chefsessel der ramponierten Bank Platz nahm –und den Turnaround in zwei Jahren schaffte.

Villiger wollte von einem schnellen Abgang Grübels schon gar nichts wissen. Er hält ihn für einen ausserordentlichen Manager, einen krisenfesten obendrein: bestens geeignet, um die Bank durch die gravierenden Turbulenzen zu führen, welche Adoboli verursacht hatte.

Der Milliardenverlust trübte die Stimmung in Singapur erheblich. Keiner der Verwaltungsräte konnte nachvollziehen, was passiert war. Am wenigsten aber konnte es ein Manager – Grübel. «Ossie», wie ihn nahe Kollegen und Freunde liebevoll nennen, zerbrach an den verlorenen 2,3 Mrd. Dollar. Selbst für einen so erfahrenen Banker wie ihn war das zu viel: «Diesen Verlust kann man niemandem erklären.»

Grübel suchte am Donnerstag das Gespräch mit Villiger – ohne Berater, ohne Sekretärinnen. Sofort bot er den Rücktritt an. Stundenlang redeten die beiden, sprachen über Vor- und Nachteile eines solchen Schritts. Villiger wollte Grübel noch überreden zu bleiben. Doch der für seine Sturheit bekannte Deutsche liess sich nicht mehr umstimmen.

Verwaltungsratssitzung vom Freitag. Auch die Räte versuchten vergeblich, Grübel von seinem Entscheid abzubringen. «Zuletzt haben wir den Entschluss bedauert, aber akzeptiert», sagt Villiger.

Gestern um 13.15 richteten sich er und der kurz zuvor eingesetzte CEO Sergio Ermotti an die Presse. Sie sassen in Bern, in Villigers UBS-Büro. Der Alt Bundesrat: «Wir wollen das Desaster in eine Chance ummünzen.»

Er selber denke nicht an einen vorzeitigen Rücktritt, betonte Villiger. Wie geplant werde er nach der Generalversammlung im Frühjahr 2013 das Zepter an Axel Weber übergeben. «Gerade in einer Zeit wie der jetzigen ist es wichtig, Stabilität zu haben.» Als amtierender VR-Präsident wolle er dem Deutschen genügend Zeit geben, sich einzuarbeiten. «Zeit, die mir nicht vergönnt war», sagt Kaspar Villiger.

Dann gab er ein Bekenntnis zu einer integrierten UBS und zur Investment-Sparte ab, ebenso zu deren Chef Carsten Kengeter. Eine «exzellente Leistung» habe der erbracht, nachdem Adoboli aufgeflogen war; die noch offenen Positionen des Traders in Kürze glattgestellt – und so einen weitaus grösseren Schaden verhindert.

Und Grübel? Der kann sich noch nicht ausruhen. Morgen Montag geht er wie stets in sein Büro. Er bleibt noch ein paar Wochen, um seinem interimistischen Nachfolger die Geschäfte ordentlich zu übergeben.

Auf eine Abgangsentschädigung verzichtet er. Noch sechs Monate bezieht er sein Gehalt, total 1,5 Millionen Franken. Sein Antrittspaket von vier Millionen Optionen auf UBS-Aktien darf er behalten.

An der Pressekonferenz nahm Grübel schon nicht mehr teil. Per E-Mail an 65 000 UBS-Mitarbeiter sagte der Chef dem Personal Adieu.

«Ein Privileg» sei es gewesen, ihr Chef gewesen zu sein. «Es schockierte mich», schrieb er, dass ein UBS-Trader in London einen Milliardenverlust habe bewirken können. Leicht sei ihm der Rücktritt nicht gefallen. Aber: «Ich bin überzeugt, dass es für die Bank am besten ist, wenn sie die Zukunft mit einer neuen Führungskraft an der Spitze angehen kann.»

Trotz allem ist die UBS heute am Rand der Formel-1-Piste präsent: Private-Banking-Chef Jürg Zeltner und die beiden Asien-Co-Chefs Chi-Won Yoon und Alexander Wilmot-Sitwell empfangen dort Kunden.