Gezockt, gescheitert, gefasst

Diese Nachricht erschüttert weltweit die Finanzbranche. Ein bisher unbekannter UBS-Händler verzockte zwei Milliarden Dollar. SonntagsBlick hat in der City of London und Zürich nachgeforscht, wie das geschehen konnte.

Von Peter Hossli und Roman Seiler

adoboli_2000595cLondon City, 1 Finsbury Avenue, Freitagnacht, 22 Uhr. Menschenleer ist der imposante Platz vor dem UBS-Gebäude. Links vom Eingang nur liegt ein Penner.

Hier, im trotzigen Bürokomplex aus Glas und Stahl, hat Kweku Adoboli (31) zwei Milliarden Dollar verzockt. Gleich nebenan toben sich in noblen Bars Banker aus, bei Bier und Whiskey. Berstend volle Gläser klirren. Auf dem Boden liegen Scherben. Die Männer reden über Sex. Und sie rätseln, wie ein Junior-Trader im Range eines Vizedirektors so viel Geld vernichten konnte.

Wie viel es genau ist, das will die UBS heute Sonntag bekannt geben. Der Verlust falle höher aus als zwei Milliarden Dollar.

Der Betrugsfall kommt zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Kurz nachdem die UBS die Entlassung von weltweit 3500 Bankern bekannt geben musste. Der Schaden wiegt die zukünftigen Einsparungen durch den Personalabbau wieder auf.

Erneut in ein schiefes Licht geraten die Kontrollsysteme der UBS. Sie haben kläglich versagt.

Dabei hatte CEO Oswald Grübel verbreitet, es gebe keine Probleme. «Wir wissen, was wir tun, und wir werden uns nie damit rausreden, dass wir von Risiken überrascht wurden», sagte Grübel letzten Winter. Wie ein Hohn klingt das Zitat.

Anfang Woche noch redeten am Paradeplatz die Banker vom US-Steuerstreit der Credit Suisse und neun weiteren Geldhäusern. Die UBS sah sich bestens positioniert. Nur sie hätte das Kapitel Amerika hinter sich gebracht. Die Konkurrenz aber müsse zittern.

Ende Woche sieht alles anders aus. Es zeichnet sich eine Einigung mit den USA im Steuerstreit ab. Und Adoboli erschüttert erneut das Image der Schweizer Grossbank. Wie schon beim Steuerstreit mit den USA und dem Verlust von mehr als 50 Milliarden Franken mit US-Schrotthypotheken.

Jetzt kommt der nächste Milliardenschaden. Angerichtet hat ihn ein properer Kerl mit blendender Ausbildung und makelloser Biografie. «Er ist ein f…cking guter Kerl», sagt der Besitzer des Pubs Duke of Wellington, Vincent Bernard (66). Gleich um die Ecke hatte Adoboli gewohnt. «Er war geerdet, hilfsbereit, alles andere als ein Bluffer, der Champagner-Runden schmeisst.»

Adoboli war im Pub ein gern gesehener Stammgast. Dunkles Guinness trank er im Winter, Light-Bier im Sommer. Mit Kumpels spielte er Dart. Einer russischen Kellnerin half er mit ihrem Englisch.

Die Brune Street ist wenige Gehminuten entfernt von Adobolis ehemaligem Büro. Hier lebte er bis vor vier Monaten in einer 280 Quadrat meter grossen Wohnung auf zwei Stockwerken. Kostenpunkt: rund 5500 Franken pro Monat. Eher wenig für ein Londoner Apartment an dieser Lage. Ironie der Geschichte: Im 1902 erstellten Gebäude befand sich eine Suppenküche für arme Juden.

Kweku – «geboren an einem Mittwoch» bedeutet der Vorname in der ghanaischen Sprache Ewe. An einem Mittwochnachmittag flog sein Betrug auf. Wie, darüber gibt es widersprüchliche Thesen. Reuig gestellt habe sich Adoboli, vermeldete die BBC. Kontrolleure der UBS hätten den Betrug entdeckt, wollte das «Wall Street Journal» wissen.

Beides stimmt. Der Trader hatte grosse Verluste verzeichnet und versuchte, diese zu vertuschen, was ein kriminelles Vergehen ist. Etwas stimmt nicht, bemerkten die internen Kontrollorgane der UBS. Sie nahmen Adoboli auf den Radar, kreisten ihn ein. Als er realisierte, dass es kein Entrinnen gibt, stellte er sich.

Wie ein Verbrecher auf der Leinwand, der im Hinterhof gefangen ist, umzingelt von Polizisten mit geladenen Gewehren, und dem nur noch eines bleibt – sich mit erhobenen Armen zu ergeben.

Stundenlang befragten ihn UBS-Anwälte. Er ging nach Hause und legte bei seinem Vorgesetzten John Hughes per E-Mail ein Geständnis ab.

Die UBS-Sicherheitsleute orderten ihn zurück ins Büro, befragten ihn nochmals, bis nach Mitternacht.

Am 15. September, um 1 Uhr früh, an Adobolis Geburtstag, schaltete die UBS die Polizei ein. Da Fluchtgefahr bestand, rückte sie aus. Um 3.30 Uhr verhaftete sie ihn in den Räumen der UBS. Adoboli leistete keinen Widerstand. Zumal er wusste, was auf ihn zukommt. Tage zuvor hatte er auf Facebook einen Hilfeschrei ausgestossen: «Ich brauche jetzt ein Wunder.»

Kurz war der Weg zur Polizei. Der Posten Bishopsgate der City of London Police ist wenige Meter vom UBS-Sitz entfernt. Ein paar Stunden später, um 8.56 Uhr, gab die UBS den Betrug bekannt. Die Nachricht liess den Kurs der UBS-Aktie um sieben Prozent auf unter zehn Franken absacken. Ein Buchverlust von vier Milliarden.

Gegen Mittag sickert der Name Adobolis durch. Britische Zeitungen beschrieben ihn als Party-Tiger. Nächtelang habe er durchgefeiert. Nachbarn mit Lärm terrorisiert. Die Lieblingsbar befinde sich auf dem Dach des 2008 neu eröffneten Hotels Boundary. Hier habe er seinem Hobby gefrönt, dem Verkosten argentinischer Weine.

Schöne Geschichten zwar. Nur kennt ihn im Boundary Hotel keiner. «Wir servieren vor allem französische Top-Weine.»

Nachbarn enervierten sich über die Berichte. «Er war kein Partygänger», sagt einer. «Sein Leben ist total langweilig.» Exzentrisch war höchstens, dass er an der Brune Street barfuss vor der Haustür rauchte. Rauchen ist in der Wohnung verboten. «Er war ein bulliger Typ, ein Schwarzer, der wie ein Lord sprach.»

Einer, der die UBS in Angst und Schrecken versetzte. Vorerst war nicht klar, ob Adoboli noch offene Positionen hat. Würden andere Trader dazu Details erfahren, wusste die UBS, könnten sie gegen die Bank spekulieren – und sie plattmachen.

Vor allem deshalb schwieg die UBS tagelang. Nichts durfte an die Öffentlichkeit. Das verlieh der Bank zwar den Nimbus geheimniskrämerischer Arroganz. Es ging ihr aber um wichtigere Dinge als das positive Image. Es ging ihr um die Existenz.

Kaum war der Betrug aufgeflogen, tauchte Grübel ab. Er liess Kaspar Villiger das wenige sagen, was die Bank verlauten lassen konnte. Über «persönliche Enttäuschung» sprach der Verwaltungsratspräsident, von Rückschlag für Bank und Mitarbeiter. Schonungslose und unabhängige Aufklärung sicherte er zu. Hohle Worte, nachdem die Bank bereits nach dem Subprime-Debakel und dem Steuerstreit mit den USA schonungslose und unabhängige Aufklärung versprach.

Adobolis Vater John stammt aus dem westafrikanischen Land Ghana, war ein bekannter Diplomat, arbeitete für die Uno. Als Kind zog Kweku durch die Welt, wuchs in Irak, in Syrien und Israel auf. Spielte gerne Fussball, war beliebt bei Freunden.

Er besuchte in der Nähe der nordenglischen Stadt Leeds eine Privatschule, geführt von Quäkern. Las die Bibel und glaubte an Gott, verinnerlichte bescheidene Lebensführung.

Zum 30. Geburtstag wollte ihm der Vater ein Auto schenken. Kweku lehnte ab. Lieber fahre er Rad. Das halte fit, und er könne die horrenden Parkbussen in London umgehen.

Er studierte an einer der besten Hochschulen Englands, der University of Nottingham. Kurz nach dem Abschluss, 2006, heuerte er bei der UBS an, einer Bank, die auf der Suche war nach Talenten wie Kweku.

Rasch stieg er auf, vom Praktikanten zum Trader, zuletzt hatte er den Titel eines Vizedirektors. Er verdiente 200 000 Franken fix. Mit Boni konnte er es auf ein Einkommen von maximal 500 000 Franken pro Jahr bringen. Geld, das jetzt wohl an seinen Arbeitgeber zurückfällt.

Oft telefonierte er vom Büro aus mit dem Vater in Ghana. «Daddy, ich bin noch immer am Arbeiten», erzählte er, meist spätabends. Gerne arbeite er bei der UBS, teilte er ihm mit. «Aber ich habe sehr viel Stress.»

Am Telefon erfuhr der Vater von der Verhaftung des Sohnes. Kwekus Freundin, eine Krankenschwester, sagte es ihm. Er sei «am Boden zerstört», gab Pensionär John dem «Wall Street Journal» zu Protokoll. Weltweit werde jetzt der Name seiner Familie besudelt.

Adoboli gehörte einem UBS-Team im Bereich Delta 1 an, zusammen mit einer Handvoll Tradern und dem Chef John Hughes. Die UBS hat alle vorübergehend freigestellt. Bis zum Ende der Untersuchung.

Delta 1 – was martialisch klingt, ist weit weniger riskant als viele sagen. Die meisten global operierenden Investmentbanken betreiben solche Abteilungen, meist um die Risiken für ihre Kunden zu minimieren.

Adoboli führte im Auftrag von Kunden Aktientransaktionen durch. Die Bank profitiert dabei von Gewinnen, die kleine Bewegungen der Kurse bringen. Und sie geht einen entsprechenden Verlust ein, wenn die Kurse rutschen. Adoboli hat die Handelslimiten überzogen und die handelsüblichen Absicherungsgeschäfte nicht durchgeführt, sondern vorgetäuscht. Womöglich während drei Jahren. Besonders erfolgreich war er nicht. Er bewegte weniger als zehn Milliarden Dollar – und verzockte davon zwei.

Börsenhändler wie Adoboli – im Branchenjargon Trader – sind die Stars der Investmentbanker. Die Draufgänger, ständig auf Adrenalin, die mit Koks in der Nase nonstop arbeiten können. Immer nur eins im Kopf: noch mehr Geld zu scheffeln. Eine Million verschieben sie innerhalb einer Sekunde. Vier Sekunden müssen sie sich gedulden, bis eine Milliarde abgewickelt ist.

Gier und Selbstsucht treiben sie an. Es sind keine Magier und keine Genies. Ihr Job ist an sich einfach. Sie kaufen und verkaufen Finanzprodukte. Einige tun das für Kunden. Andere sind Eigenhändler, im Jargon Proprietary Traders genannt. Sie handeln mit dem Geld der Banken. Spekulieren auf Kursbewegungen und wetten dagegen. Geht eine Wette auf, wirft es hohe Gewinne ab. Weit höher aber fallen die Verluste aus, wenn eine Wette danebengeht.

Raketenwissenschaftler heissen die Eigenhändler in der Branche. Sie sitzen allein vor Bildschirmen, kümmern sie nicht um Kunden, schauen weder rechts noch links. «Diese Leute können machen, was sie wollen, solange sie Geld verdienen», erklärt ein Zürcher Investmentbanker, der anonym bleiben will. «Sie müs sen Geld verdienen, egal wie.»

Direkt profitieren die Trader nicht von irregulären Geschäften. Da sie aber von Boni leben und der Bonus vom Gewinn abhängt, gehen sie oft erhöhte Risiken ein. Misslingt mal eine Wette, rauschen die Risiken in gefährliche Sphären.

Wie Zocker im Casino, die beim Roulette auf die falschen Zahlen gesetzt haben, erhöhen sie den Einsatz. Hoffen, ihre Verluste zu decken. Unerkannt.

Passé ist die Zeit, als der Pitboss, der oberste Handelschef, durch den Trading Floor ging, alle persönlich kannte, an der Körpersprache der Leute sah, ob einer im Plus oder im Minus lag. «Der roch das sofort», sagt der Investmentbanker. «Das menschliche Element ist verlorengegangen.»

Und: «Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit.» Zumal viele Banken gerade beim Controlling kräftig Personal abgebaut haben. Die Arbeitsmoral sank im Zuge der Finanzkrise auf einen Tiefpunkt, ebenso die Aktien der Banken, bei denen sie arbeiten. «Heute machen halb so viele Leute doppelt so viel wie früher», sagt der Investmentbanker, der anonym bleiben will.

Ohne Torwart kann man beim Fussball bekanntlich keine Spiele gewinnen.

Die UBS hat jetzt ein dreiköpfiges Spezialkomitee eingesetzt, um das Kontrollprozedere zu untersuchen. Der Vorsitzende des Risiko-Komitees des Verwaltungsrats, David Sidwell, führt es an. Er muss eine unabhängige, externe Prüfungsfirma einsetzen. Sie muss im Auftrag der englischen und der Schweizer Finanzmarktaufsicht den Fall aufklären.

Am Freitagnachmittag trat Adoboli vor Richterin Carolyn Wagstaff. Er nannte seinen Namen, sagte, wo er wohnt. Schweiss rann von seiner Stirn. Eine Gerichtsdienerin reichte ihm ein Tuch, mit dem er sich erst die Wangen, dann die Tränen trocknete.

Während fast dreissig Minuten verlas die Anklage drei Vorwürfe. Adoboli habe von Oktober 2008 bis Ende 2009 Abrechnungen gefälscht, um sich persönlich zu bereichern. Zudem fälschte er Abrechnungen von Januar 2010 bis am 14. Januar dieses Jahres.

Die dritte Anschuldigung – Missbrauch der Position – besagt, er habe gegen die Interessen der UBS gehandelt, ebenfalls um sich zu bereichern.

Bis nächsten Donnerstag sitzt Adoboli in Untersuchungshaft. Dann wird die Richterin entscheiden, ob sie ihn gegen Kaution freisetzt. Der Prozess soll am 28. Oktober beginnen. Vorausgesetzt, die Anklage bringt bis dahin genügend Beweise vor.

Derweil mehren sich die Stimmen, die UBS müsse sich von der Investmentbank lösen. Seit Jahren schreibt sie Verluste. Für die Aktionäre wäre es lukrativer, wenn sich die Bank aufs Retailbanking und die Verwaltung von Privatvermögen konzentrieren würde.

Alt Bundesrat Villiger, längst vom Landesvater zum Banker mutiert, widerspricht. Die Investmentbank stehe nicht zur Diskussion, liess er über die NZZ verlauten. Bloss der Fokus müsse anders sein, weg vom Eigenhandel, hin zu Leistungen für Kunden.

«Eine Illusion», sagt ein Trader einer Schweizer Privatbank. «Es gibt keine klare Trennung zwischen Eigenhandel und Kundengeschäft.»

Einzelgänger Adoboli lässt 17 800 UBS-Investmentbanker zittern. Um ihre Boni. Adoboli hat wohl den Jahresgewinn vernichtet. Womöglich verlieren wegen ihm noch mehr Investmentbanker ihren Job.