Mark David Chapman

Er liebt Jesus und tötete vor dreissig Jahren John Lennon. Diese Woche tritt er in New York vor den Gnadenausschuss und hofft auf Freilassung. Doch kann sich ein Beatle-Mörder überhaupt rehabilitieren?

Von Peter Hossli

chapmanWie andere Fans drückte er ihm an jenem Wintermorgen die Hand und liess ein Album signieren. Den Rest des Tages wartete er vor dessen Wohnhaus. Nachts, um zehn vor elf, streckte Mark David Chapman den Ex-Beatle John Lennon unweit des New Yorker Central Parks nieder.

Bewusst benutzte er Hohlschusspatronen. Die reissen faustdicke Löcher in einen Leib. Eine von vier Kugeln zerschmetterte Lennons Aorta. Der 40-Jährige verblutete. Um 23.07 Uhr erklärte ihn ein Arzt in einem nahe gelegenen Spital für tot. Chapman blieb stehen, wartete auf die Polizei, gestand sofort, einen der gröss­ten Musiker aller Zeiten ermordet zu haben. Warum? «Ich war ein Niemand, bis ich den weltweit gröss­ten Jemand tötete.» Ein irrer Fan, damals 25, der den Ruhm seines Idols nicht ertrug.

Chapman tötete am 8. Dezember 1980. Er fasste eine lebenslange Freiheitsstrafe – mit der Chance, sie nach zwanzig Jahren in eine Frei­setzung auf Bewährung umzuwandeln. Ob das möglich wird, beurteilt kommende Woche der New Yorker Gnadenausschuss. Zum sechsten Mal tritt Chapman, 55, vor die Richter. Bisher erfolglos. Dabei gilt er als Musterhäftling. Öfter bedauerte er die Tat. Gewalt hat er abgeschwört.

Gnade wäre im Sinne Lennons. Zusammen mit seiner Gattin, der Künstlerin Yoko Ono, forderte der Musiker 1971 in seinem «Attica Song» eine Generalamnestie. «Befreit die Gefangenen, sperrt die Richter ein, befreit alle Gefangenen überall», sang das Paar – ausgerechnet nach einem Häftlingsaufstand in Attica. Im selben Zuchthaus sitzt Chapman seit 30 Jahren.

Von Amnestien nichts mehr wissen will Yoko Ono, 77. Vehement kämpft sie gegen die Freisetzung des Mörders. Und das seit nunmehr zehn Jahren, als Chapman erstmals ein Gnadengesuch stellte. Ono drückte damals in einem Schreiben ihre Furcht um die eigene Sicherheit aus und um das Wohlbefinden von Lennons Söhnen Sean und Julian. Vergebung – neben Liebe und Frieden ein Hauptanliegen in Lennons Werk – lehnt Ono ab. «Ihre Haltung hat sich nicht verändert», sagt ihr Anwalt Peter Shukat. Verständlich. In einem Brief schrieb Ono vor kurzem, die Entlassung brächte «den Albtraum, das Chaos und die Verwirrungen» von damals zurück. Bis ans Lebensende könnte sich ihre Familie nie mehr sicher fühlen. Lennon-Fans rufen bereits zur Rache auf, sollte Chapman begnadigt werden. Eine Gefahr, die der Gnadenausschuss beim Entscheid miteinbeziehen wird. Ebenso die Schwere des Verbrechens, die Folgen für die Hinterbliebenen.

Sein Verhalten im Gefängnis soll beispielhaft sein. Er scheint rehabilitiert. So darf Chapman seine Frau einmal jährlich empfangen und 42 Stunden mit ihr in einer privaten Zelle verbringen. Erfahren wollen die Gnadenrichter die Pläne für die Zeit nach dem Knast. Würde Chapman rauskommen, gab er 2004 zu Protokoll, «suche ich einen Job, reise, besuche Kirchen, erzähle, was mir passiert ist, zeige allen Menschen den Weg zu Jesus».

Chapman kam als Sohn eines Soldaten in Texas zur Welt, zog viel umher, kiffte, trank, spritzte Heroin, bis er einer Freikirche beitrat und das Wort Gottes missionierte. Er verehrte die Musik der Beatles. Aber die Aussage Lennons, die Band sei «beliebter als Jesus», erachtete er als Gotteslästerung. «Keiner ist beliebter als Jesus», sagte Chapman einst einem Freund. Nie verzieh er Lennon den Atheismus. Dessen berühmtester Song «Imagine» verachtete er. Darin wünscht sich der Ex-Beatle nicht nur eine Welt ohne Gier, Grenzen und Krieg, sondern gänzlich ohne Religion.

Den Zuchthauspsychologen begegnete ein verstörter Mensch. Chapman gab an, er hätte eine lange Liste mit Prominenten, die er töten wollte. Auf seinen Reisen hatte er oft vor, Selbstmord zu begehen. Zuletzt aber tötete er ­einen Menschen, der dem Frieden eine Chance geben wollte. Der andere mit seinem Wesen und seinen Songs berührte. Auf den sie überall hörten.

Womöglich wäre die Welt heute ein wenig friedlicher, wenn sich Chapman – wie er vor hatte – zwei Tage vor der Tat von der Freiheitsstatue in den Tod gestürzt hätte.

Imagine.