“Ich will Filme drehen, bis ich tot umfalle”

"Independence Day", "Godzilla", "The Day After Tomorrow": Roland Emmerich macht spektakuläres Action-Kino. In seinem neuen Werk "2012" geht es um den Weltuntergang. Der aus Deutschland stammende Hollywood-Regisseur über seine Motivation und seine Ängste, über Geld und Macht.

Interview: Peter Hossli

emmerichHerr Emmerich, Sie haben elf Spielfilme gedreht. In drei davon zerstören Sie auf entsetzliche Weise Manhattan. Was haben Sie gegen New York?
Roland Emmerich: Nichts, aber New York symbolisiert Amerika und die westliche Welt wie kaum etwas anderes. Wenn man ein Symbol zerstört, dann muss es schon New York sein. In meinem neusten Film «2012» lasse ich New York aber bewusst weg. Ich kann diese Stadt nie mehr zerstören.

Die Terrorattacken vom 11. September 2001 erinnerten viele an Ihre Filme. Visuell ähnelten sie «Independence Day» und «Godzilla». Wie reagierten Sie auf diesen Tag?
Emmerich: Ich hatte die gleiche Reaktion. Es war irreal, ein perfekter Tag mit perfekt blauem Himmel. Eine solch hinterhältige Attacke gab es auf amerikanischem Boden noch nie. Hinzu kam, dass sehr viele Menschen das Ereignis von unzähligen Winkeln aus filmten. Es wäre möglich gewesen, das Material zu einem echten Film zusammenzusetzen.

Gewalttätig hatte das Leben Ihre Kunst imitiert?
Emmerich: Die Terroristen hatten die Absicht, ein Symbol zu zerstören. Unheimlich war es, da ich in meinen Filmen die gleichen Symbole einsetze.

Hat dieser Tag das Kino verändert?
Emmerich: Ja, während etwa zwei Jahren. Ich schrieb gerade am Drehbuch zu «The Day after Tomorrow». Am 12. September habe ich sofort damit aufgehört. Ich sagte mir, niemand wird auf der Leinwand jemals wieder Gebäude zerstören können. Nach einem Jahr habe ich realisiert, dass dies nicht stimmt, also schrieb ich weiter. Das Ereignis hat aber meinen Film beeinflusst. Wenn darin die Riesenwelle auf New York niederschlägt, wird kein einziges Haus zerstört.

In ihrem neusten Film «2012» droht die Welt erneut unterzugehen. Er ist inspiriert von alten Prophezeiungen der Mayas, die besagen, die Erde werde im Jahr 2012 ausgelöscht. Was fasziniert Sie an Weltuntergangsszenarien?
Emmerich: Ich mag Katastrophenfilme. Ein normaler Mensch, ein Vater, kann in diesen Filmen zum Helden werden. Zuerst gibt es stets ein Hickhack darum, wer als erstes das Rettungsboot verlassen muss. Gleichzeitig sind diese Filme aber voller mutiger und heldenhafter Taten. Solche Geschichten kann ich immer wieder aufs Neue erzählen.

Die Familie, die Heimat, Freiheit und Religion sind ständig wiederkehrende Themen in Ihren Filmen. Sie sind allesamt universell. Wie wichtig sind sie Ihnen?
Emmerich: Die Familie ist mir sehr wichtig. Ich liebe meine Familie. Mit meinem Vater hatte ich eine sehr enge Beziehung. Deshalb erzähle in meinen Filmen oft positive Vater/Sohn-Geschichten. Mein Vater hatte einen positiven Einfluss auf mein Leben. Mich fasziniert zudem die Frage, was Menschen in Kirchen treibt. Warum beten sie? Warum brauchen sie die Religion? Ich brauche sie nicht. Alles, was mich interessiert, fliesst automatisch in meine Filme. Ich setze mich vor ein leeres Blatt Papier und fülle es mit meinen privaten Gedanken.

Ihre Filme sind enorm erfolgreich, obwohl sie die Zuschauer in Angst und Schrecken versetzen. Warum fasziniert uns Angst?
Emmerich: Persönlich habe ich riesige Ängste, was in meine Filme einfliesst. Ich bin der grösste Angsthase. Es ist einfach für mich, diese teuren Filme zu produzieren, aber es fällt mir sehr schwer, angstfrei ein Flugzeug zu besteigen. Ich fürchte mich vor allem.

Sie überwinden Ihre Ängste, indem Sie auf der Leinwand noch grössere Schrecken verbreiten?
Emmerich: Genau. Zudem regt mich die Frage intellektuell an, was ich in solch angsteinflössenden Situationen tun würde.

Als «Indepedence Day» 1996 ins Kino kam, wurde er als Film beschrieben, der mit dem Chaos umgeht, welches das Ende des Kommunismus angerichtet hatte. Derzeit erleben wir in eine globale Wirtschaftskrise – und Sie bringen erneut einen Film in die Kinos, der die Welt am Rand des Abgrunds zeigt. Warum liegen Sie zeitlich immer richtig?
Emmerich: Ich bin ein aufmerksamer Mensch. Seit zwei, drei Jahren bin ich sehr pessimistisch was die Zukunft der Menschheit betrifft. «Die Welt wird untergehen», sagte ich ständig. Das hat mich inspiriert, «2012» zu schreiben. Zudem wollte ich nochmals einen Katastrophenfilm drehen, eine Art Höhepunkt aller Ängste. Natürlich hat es mich überrascht, als die globale Wirtschaftskrise begann.

Die Rolle des US-Präsidenten spielt in «2012» ein schwarzer Schauspieler.
Emmerich: Ich habe das Drehbuch zusammen mit Harold Kloser verfasst. Er ist Österreicher, ich bin Deutscher. Wir beide leben seit ungefähr 20 Jahren in Amerika. Wir hofften sehr, Barack Obama würde Präsident werden. Deshalb ist der Präsident in «2012» schwarz. Hätte Obama nicht gewonnen, wäre es gleichwohl gut gewesen, denn dieses Land braucht einen schwarzen Präsident.

Warum trifft Hollywood öfters den Zeitgeist?
Emmerich: Meistens wünsche ich mir Dinge, die später eintreffen. Zudem werden Filme nach wie vor von Künstlern gedreht. Ich bin ein unabhängiger Filmemacher, schreibe meine Drehbücher selbst und produziere die meisten meiner Filme. Meine neuen Projekte zeige ich allen Studio und halte jeweils Auktionen ab. Deshalb kriege ich alle Rechte zugesprochen. Ich habe die Kontrolle über den Schnitt. Mein Drehbuch ist im Voraus abgesegnet, ebenso der Titel des Films. Das Studio kann nur zur Hälfte mitbestimmen, mit welchen Schauspielern ich drehe.

Ihre Filme sind aktuell, sie schüchtern das Publikum ein – und sie sind sehr aufwändig. Warum?
Emmerich: Ich finde sie nicht sonderlich aufwändig. Mein erster Studentenfilm war 110 Minuten lang. Ich drehte ihn im Cinemascope-Format. Der Stereoton hatte vier Dolby-Kanäle. Es ging um eine Raumstation, von der aus die Amerikaner das Wetter kontrollierten – und mit diesem Film habe ich angefangen. Seither ist es mir nicht mehr möglich, kleine Filme zu drehen.

Zur Vorbereitung für dieses Interview habe ich Ihre Filme nochmals angeschaut, einen auf dem iPhone. Wie ändern solche Geräte das Kino?
Emmerich: Ich drehe keine Filme fürs iPhone. Aber immer mehr Leute werden sie wohl darauf anschauen.

Ihre Filme sind sehr erfolgreich. Was bedeutet Ihnen Erfolg?
Emmerich: Erfolg bedeutet Freiheit. Ich muss mir nie Sorgen machen um das Geld für mein nächstes Projekt. Ich bin glücklich, schon sehr früh in meiner Karriere erfolgreich gewesen zu sein. Ich hatte nie das Gefühl, für Geld arbeiten zu müssen. Seit der Filmschule habe ich eigenen Filme gedreht, sie selbst produziert und geschrieben. Und ich habe mit ihnen stets Geld verdient. Als ich nach Hollywood kam, hatte ich genug Geld, so dass ich auch mal «nein» sagen konnte. Von meinem Vater habe ich gelernt, dass es wichtiger ist, zu was man «nein» sagt als zu was man «ja» sagt. Ich halte das für einen sehr guten Rat. Heute habe die Freiheit zu tun, was ich tun will. Habe ich eine Idee, kann ich sie zu 99 Prozent umsetzen.

Sie sind sehr reich. Warum drehen Sie überhaupt noch Filme?
Emmerich: Ich höre dann auf Filme zu drehen, wenn ich tot bin. Ich hoffe, auf dem Set zu kollabieren und in den Sand zu fallen. Ein anderer muss dann den Film fertig stellen. Ich bewundere Regisseure wie John Huston, der zuletzt mit einem Sauerstoffschlauch in der Nase Filme drehte.

Was gefällt Ihnen denn am Filmemachen?
Emmerich: Jeder Film ist ein riesiges neues Abenteuer. Wann immer ich ein neues Drehbuch schreibe, oder eine neue Idee habe für einen Film, kann ich während Tagen nicht schlafen. Es ist überwältigenden. Mit Geld hat das überhaupt nichts zu tun.

Dennoch ist Geld das Schmiermittel der Filmindustrie. Was bedeutet Ihnen Geld?
Emmerich: Ich kann damit anderen Menschen helfen, und ich kann kaufen was ich will. Geld bedeutet Freiheit. Ich reise mit ein paar Freunden nach Thailand. Wir mieten ein Schiff. Nach einer Stunde auf dem Schiff entscheide ich mich, das Schiff zu kaufen. Das ist Freiheit. Ich kann so etwas aus heiterem Himmel tun. Fragen, ob ich genügend Geld habe, muss ich mich nie. Das ist doch cool.

Neben Geld ist Macht der Lebenssaft Hollywoods. Wie kriegt man sie?
Emmerich: Macht ergibt sich aus dem, was man tut. Bis jetzt hatte ich noch nie einen Flop. Ein paar meiner Filme verdienten weniger Geld, aber alle warfen Profite ab. Das ist ein eindrücklicher Leistungsausweis. Er bedeutet Macht. Ich kann Dinge durchbringen, welche die Studios ursprünglich nicht wollten. Wenn ich einen gewissen Schauspieler will, rufe ich einfach den Chef des Studios an und sage, «verpflichtet bitte diesen Schauspieler, ich will ihn wirklich». Meist sagen sie, «klar, Du kannst ihn haben». Ich kann in Hollywood treffen wen ich will. Machthungrig bin ich deswegen aber nicht.

Sie sagen, Sie hätten ständig Angst. Fürchten Sie, nach einem Flop Ihre Macht zu verlieren?
Emmerich: Mein Leistungsausweis ist beständig. Ein oder zwei Flops würden nichts ändern. Dennoch habe ich nach dem Dreh jedes Films das Gefühl, er sei so schlecht geworden, die Leute würden Tomaten an die Leinwand und auf mich werfen. Ich lebe ständig mit der Angst zu versagen. Jetzt auch wieder. Nie zuvor hatte ich so positive Reaktionen wie auf meinen neuen Film «2012». Gleichwohl glaube ich noch immer, die Leute werden ihn nicht mögen.

Das ist verständlich. Ihr letzter Film «10’000 BC» wurde von der Kritik zerfledert.
Emmerich: Meine Filme werden in der Regel negativ bewertet. Ich habe so viele schlechte Filmkritiken erhalten, mir sind sie längst egal geworden. Allerdings weiss ich, woher das kommt. Kritiker mögen kleine interessante Charakterstudien. Einen solchen Film habe ich nie gedreht. Ich fing mit erfolgreichem Kino an, das spektakulär aussah. Kritiker sehen das nicht gerne.

Wie oft kann ein Filmemacher in Hollywood einen Flop produzieren bevor er keinen Auftrag mehr kriegt?
Emmerich: Wer über 65 Jahre als ist, kann einen, höchstens zwei schlechte Filme drehen – und schon ist er weg. Es gibt Regisseure, von denen hört man plötzlich nichts mehr. Jene arbeiten am längsten, die ihr eigenes Material verfilmen. Deshalb schreibe ich eigene Drehbücher. Ich möchte bis zum Tod arbeiten.

Sind Sie ein guter Regisseur?
Emmerich: Das kann man über sich selbst nicht sagen. Aber ich glaube, ein guter Handwerker zu sein.

Was treibt Sie an?
Emmerich: Ich bin immer unzufrieden mit dem Film, den ich gerade abgedreht habe – dann will ich es besser machen. Das ist der wahre Grund hinter meiner Kreativität. Ab und zu drehe ich einen wirklich guten Film und realisiere, wie toll sich das anfühlt. Dieses Gefühl möchte ich sofort wiederholen.

Sie leben als Deutscher im Exil. Gehen Sie jemals wieder zurück?
Emmerich: Ich habe unlängst eine Wohnung gekauft in Berlin. Aber ich werde kaum dort wohnen. Das Wetter in Hollywood ist viel besser. Allerdings möchte ich mehr Zeit in Europa verbringen. Vor acht Jahren habe ich mir deshalb ein Haus in London gekauft.

In «Independence Day» rettet der US-Präsident die Welt. Nach diesem Film wurden Sie als amerikanischer Patriot bezeichnet. In «The Day after Tomorrow» kritisieren Sie den Präsident, die Zeichen des Klimawandels zu ignorieren. Warum verloren Sie das Vertrauen in die USA?
Emmerich: Als ich in die USA kam, zog Bill Clinton gerade ins Weisse Haus. Er war smart und ein sehr guter Präsident. Danach kam George W. Bush an die Macht. Er brachte dieses Land an den Rand des Abgrundes. Dafür habe ich ihn öffentlich kritisiert. Wir leiden noch immer unter seiner Amtszeit.

Haben Sie das Vertrauen in die USA wiedergefunden?
Emmerich: Ja, Barack Obama hat das für mich getan. Er hat eine sehr schwierige Aufgabe. Allerdings ist er der richtig Mann zum richtigen Zeitpunkt. Bisher löst er die Aufgabe hervorragend. Wäre John McCain Präsident geworden, hätte ich die USA verlassen.

Sie äussern sich öfters politisch. Im Jahr 2004 sagten Sie bereits, Sie würden die USA verlassen, falls Bush wiedergewählt werde. Warum sind Sie geblieben?
Emmerich: Ich bin ja gegangen. Während ich «10’000 BC» drehte, lebte ich hauptsächlich in London. Ich habe den Film in England vorbereitet. Wir drehten in Afrika und Neuseeland. Die gesamte Nachbereitung wurde in England erledigt. 2 ½ Jahre verbrachte ich ausserhalb der USA, allerdings habe ich nicht alle Brücken hinter mir zerschlagen. Ich hatte aber genug von Amerika, konnte die kollektive Dummheit nicht verstehen, die zur Wiederwahl Bush führte.

Möchten Sie US-Bürger werden?
Emmerich: Derzeit beantrage ich den amerikanischen Pass. Ich habe genug von den argwöhnischen Blicken bei der Einreise. Die Zollbeamten fragen mich stets, was ich hier mache, ich sage, ich drehe Filme, sie fragen, welche Filme. Erst wenn ich sage, ich hätte «Independence Day» gedreht, werden sie freundlich. Da will ich einfach nicht mehr durch. Wenn ich mal Amerikaner bin, dürfen sie mich nicht mehr fragen. Zudem werde ich Doppelbürger sein.

Was würden Sie tun, wenn Sie keine Filme drehen könnten?
Emmerich: Ich glaube, ich wäre ein bedeutender Architekt geworden. Als Kind wollte ich immer Architekt werden. Bei meinem ersten Film wusste ich anfänglich nur, dass ich eine Raumstation bauen möchte. Danach habe ich ein Drehbuch geschrieben, in der eine vorkommt.

Roland Emmerich, 53, gehört zu den erfolgreichsten Hollywoordegisseuren der letzten zwanzig Jahre. Seine Filme sind visuell spektakulär und erzählen meist die Geschichte des Underdogs, der sich gegen eine Übermacht durchsetzt. Der im süddeutschen Sindelfingen geborene Filmemacher liess in «Independence Day» (1996) eine Gruppe mutiger Amerikaner gegen Ausserirdische kämpfen. In «Godzilla» (1998) zerstörte eine Riesenechse New York. Schliesslich trat die revolutionäre amerikanische Lumpenarmee in «The Patriot» (2000) gegen die britische Krone an. Der gross gewachsene Filmemacher setzt sich für Umweltanliegen ein. In «The Day After Tomorrow» (2004) führt der Klimawandel zu einer Katastrophe in der nördlichen Hemisphäre. Sein neustes Werk «2012» gelangt in November in die Kinos. Es handelt von einer Prophezeiung der Mayas, wonach im Jahr 2012 die Erde untergeht. Emmerich lebt in einer Villa in den Hügeln über Hollywood, besitzt aber auch Wohnungen in New York, Berlin und London.