“Man will uns jede Kleinigkeit vorschreiben”

Aus der Krise nichts gelernt? Gegen diesen Vorwurf wehrt sich CS-Präsident Hans-Ulrich Doerig (69). Er akzeptiert schärfere Vorschriften, wenn die internationale Konkurrenz mitmacht.

Interview: Peter Hossli, Hannes Britschgi, Guido Schätti

doerigHerr Doerig, der Kollaps von Lehman Brothers vor einem Jahr hat einen Finanz-Tsunami ausgelöst. Heute sperren sich die Banken gegen schärfere Vorschriften. Haben Sie aus der Krise nichts gelernt?
Hans-Ulrich Doerig: Doch, wir haben sehr viel gelernt! Als Konsequenz aus der Krise haben wir unsere Bilanz um rund ein Viertel reduziert und unser Geschäftsmodell angepasst. Wir sind ebenfalls bereit, vernünftige, international abgestimmte Verschuldungslimiten einzuführen.

Sie haben sich zuerst gegen höhere Eigenkapitalvorschriften gesperrt. Warum haben Sie doch noch eingelenkt?
Doerig: Eine starke Kapitalbasis ist heute ein Wettbewerbsvorteil. Wir erfüllen heute schon die meisten künftigen Vorgaben. Wir haben eine Kernkapitalquote von 15,5 Prozent – die höchste unter unseren internationalen Konkurrenten. Die Nationalbank schreibt eine Leverage Ratio, das Verhältnis zwischen Eigenkapital und Bilanzsumme, von drei bis fünf Prozent vor. Die G20-Staaten fordern vier Prozent. Auch hier braucht es eine international abgestimmte Vorgabe, die faire Voraussetzungen für alle schafft.

Die Herren Hayek und Blocher sowie SVP und SP fordern: Die Grossbanken müssen schrumpfen. Was halten Sie von dieser Kampagne?
Doerig: Wir stehen mit der Nationalbank und der Finanzmarktaufsicht Finma, aber auch mit den politischen Parteien im Gespräch und erklären unseren Standpunkt. Unser Anliegen ist es, dass die Öffentlichkeit anerkennt, welch wichtigen Beitrag die international tätigen Banken mittels Kreditvergabe und weiterer Bankdienstleistungen, aber auch als Arbeitgeber und Steuerzahler zum Wohlstand in diesem Land leisten.

Schweizer Grossbanken können nicht pleitegehen, weil die volkswirtschaftlichen Schäden zu gross wären. Die Nationalbank fordert jetzt eine Regelung, damit Banken im Krisenfall liquidiert werden können.
Doerig: Das Problem ist ja nicht die reine Grösse, sondern die Vernetzung. Deshalb müssen wir sicherstellen, dass die systemrelevanten Bereiche im Krisenfall ausgesondert werden können. Das betrifft vor allem das Zahlungssystem, das wichtig ist für das Funktionieren der Volkswirtschaft. Wir werden das Problem konstruktiv angehen und wir müssen eine international abgestützte Lösung finden. Ich möchte auch daran erinnern, dass die Credit Suisse seit 1856 nie auf Staatshilfe angewiesen war und in mancher Situation andere Banken rettete. Das war nur möglich, weil wir die notwendige Grösse hatten.

Sie betonen die internationale Abstimmung. Bis die Staatengemeinschaft handelt, sind wir schon in der nächsten Krise. Warum ist es so schlimm, wenn wenigstens die Schweiz handelt?
Doerig: Die Schweiz hat in der Krise schnell und gut gehandelt. Jetzt geht es darum, dass wir international einiger-massen gleich lange Spiesse haben, damit wir wettbewerbsfähig bleiben. Denn nur wettbewerbsfähige und profitable Banken sind stabile Banken.

Die Nationalbank beziffert die Kreditrisiken der beiden Grossbanken auf 15 bis 20 Milliarden Franken.
Doerig: Mit dieser Zahl sind wir nicht einverstanden. Wir haben die Gegenparteirisiken sehr genau angeschautund sind auf sehr viel tiefere Zahlen gekommen. Wir haben zudem einen wesentlichen Teil der Risiken abgesichert.

Sie verteidigen das Universal-bankenmodell mit den drei Sparten Private Banking, Investment Banking und institutionelle Vermögensverwaltung.
Doerig: Entscheidend ist, dass das Verhältnis der einzelnen Geschäftsteile stimmt. Bei der CS haben wir heute ein sehr gutes Modell, mit einem stabilen Heimmarkt und einer breit abgestützten internationalen Präsenz. Es ist ein Modell, das uns im ersten Halbjahr einen Gewinn von 3,6 Milliarden Franken eingebracht hat und um welches uns das Ausland beneidet.

Zu diesem Modell gehört auch das notorisch krisenanfällige Investment Banking. Der Sprengsatz bleibt drin!
Doerig: Das ist kein Sprengsatz, wenn man die Risiken richtig dosiert und die Sicherheitsvorkehrungen einhält. Mit unserem Modell haben wir die schlimmste Krise seit 80 Jahren gut überstanden. Wir haben die Risiken dramatisch reduziert und die toxischen Papiere von knapp hundert auf rund acht Milliarden Franken gesenkt – aus eigener Kraft. Dieser Betrag kann uns nicht gefährden.

Was halten Sie von den neuen Lohnvorschriften?
Doerig: Wir sind mit der Finma einverstanden, dass es Veränderungen braucht. Das Zehn-Punkte-Reglement der Finma geht aber sehr stark in die Details hinein. Das ist eine typisch schweizerische Lösung. Man will uns jede Kleinigkeit vorschreiben, statt dass man sich auf Prinzipien beschränkt. Aber im Kern erfüllen wir die Auflagen seit langem.

Die Boni sprudeln bereits wieder. Der oberste Finanzverwalter beim Bund, Peter Siegenthaler, kritisiert, die Banken befänden sich schon wieder im alten Trott.
Doerig: Ich glaube nicht, dass Herr Siegenthaler die Credit Suisse gemeint hat. Ich habe ebenfalls Mühe zu verstehen, dass Banken, die eben noch vom Staat gerettet wurden, Lohngarantien geben und nun grosse Bonussummen anhäufen.

US-Bürger, die Steuern hinterzogen haben, zeigen sich massenhaft beim US-Finanzamt an. Darunter sind sicherlich auch CS-Kunden. Wie gross ist die Gefahr einer Untersuchung gegen die CS?
Doerig: Wir haben grosse Anstrengungen unternommen bei der strikten Einhaltung der Vorschriften in den vergangenen Jahren. Das hat uns viel Geld und Nerven gekostet. Wir haben auch Leute verloren, weil unsere internen Richtlinien schärfer sind als jene anderer Banken. Als Bank haben wir die Vorschriften erfüllt. Aber ich kann letztlich nicht absolut garantieren, dass bei 48 000 Mitarbeitern nicht auch mal Fehler passieren.

Die UBS hat ein Schlupfloch im Qualified-Intermediary-Abkommen mit den USA ausgenutzt. Warum die CS nicht?
Doerig: Das Offshore-Geschäft mit amerikanischen Privatkunden war für uns bedeutend weniger wichtig. Wir hatten dort ein anderes Geschäftsmodell. Steuerhinterziehung war für uns kein Modell. Schon seit einigen Jahren ist klar: Es gibt keine Kavaliersdelikte im Bankgeschäft. Es muss hinsichüich der Einhaltung der Regeln in den jeweiligen Ländern tadellos geführt werden. Das war bei der Geldwäscherei der Fall, wo die Schweiz heute vorbildliche Regeln hat, und das gilt für das grenzüberschreitende Private Banking.

Wie machen Sie die Schwarzgelder Ihrer Kunden weiss?
Doerig: Dieses Problem benötigt eine politische Lösung. Steueramnestien sind ein möglicher Weg.

Frankreich brüstet sich mit 3000 Kundendaten. Warum musste eine CS-Tochter in Frankreich Daten offenlegen?
Doerig: Die Credit Suisse Frankreich ist reguliert wie alle französischen Banken. Das heisst, es gibt Überprüfungen des Zahlungsverkehrs. In diesem Rahmen hat die CS Frankreich den französischen Behörden Daten zu Auslandüberweisungen unter anderem in die Schweiz geliefert. Wir haben aber sicher keine Daten zu Schweizer Konti geliefert. Da wurde bewusst Verwirrung gestiftet.

Vor einem Jahr ist Lehman Brothers zusammengebrochen. Die CS hatte und hat mit Kunden Streit, die mit Lehman-Papieren viel Geld verloren.
Doerig: Das ist grösstenteils abgeschlossen. Es gibt keine andere Bank, die ihre Kunden derart weitgehend entschädigt hat. Rund 3700 Kunden wurden mit insgesamt 150 Millionen Franken entschädigt.

Was hat die Bank aus dem Lehman-Desaster gelernt?
Doerig: Die Kunden müssen die Anlagerisiken tragen können, und wir müssen noch besser darauf achten, welchen Kunden wir welche Produkte verkaufen.

Da sind schwere Fehler gemacht worden?
Doerig: Der Zusammenbruch von Lehman war ein extremes Ereignis, das niemand vorausgesehen hatte. Ich habe mit Lehman-Papieren auch Geld verloren. Wir haben auch untersucht, ob es bei der Credit Suisse eine Häufung an Lehman-Papieren gab. Dafür haben wir keine Hinweise gefunden. Nur 0,3 Prozent der Vermögen unserer Kunden waren in diese Papiere investiert.

Chiasso-Skandal, Verluste im US-Geschäft, Swissair-Grounding: Hans-Ulrich Doerig (69) war als Krisenmanager stets zur Stelle, wenn es galt, für die Credit Suisse brenzlige Situationen zu meistern. Dennoch blieb er meist im Schatten von CS-Doyen Rainer E. Gut. Heute steht Doerig im Rampenlicht: Seit April ist er Verwaltungsratspräsident. Das Amt will er bis 2012 ausüben – mindestens.