Der Riese wankt

Kein Konzern galt als so krisenfest wie General Electric. Nun zieht die Finanztochter den Industriekoloss nach unten. Erstmals seit 1956 wurde die Kreditwürdigkeit von GE herabgesetzt.

Von Peter Hossli

geSteht eine Amerikanerin auf, beginnt General Electric (GE) für sie zu arbeiten. Die Glühbirne, die ihr Badezimmer erhellt, wurde von GE gefertigt. Der Strom, der sie betreibt, stammt aus einer Gas- oder Windturbine von GE. Der Kühlschrank, der die Butter frisch hält? Hat GE produziert. Die «Today Show», die die Amerikanerin morgens guckt, läuft bei NBC. Der Fernsehsender gehört GE. Eine GE-Lok zieht sie ins Büro. Am Abend unterhält sie ein Spielfilm von Steven Spielberg. Finanziert hat ihn Universal, auch im Besitz von GE. Wird sie krank, röntgen GE-Apparate.

Kein sicherer Hafen mehr

Wer derart diversifiziert ist, kann nicht abstürzen, lautete jahrelang die Losung. General Electric galt als sicherer Hafen für Investoren. Das ist nun passé. Die Wirtschaftskrise hat GE in arge Schieflage versetzt. Von 38 auf unter 6 Dollar sackte die GE-Aktie in den letzten 12 Monaten ab. Mittlerweile kroch sie wieder auf 9 Dollar. Zum Vergleich: Die Aktie des direkten Konkurrenten ABB sank weniger dramatisch von 35 Franken auf derzeit 15 Franken.

Fehlprognose des Konzernchefs

Rund 260 Milliarden Dollar an Börsenwert wurden bei General Electric seit Anfang 2008 vernichtet. Letztes Jahr sank der Gewinn um 22 Prozent. Für dieses Jahr dürfte ein Rückgang von 29 Prozent anfallen. Erstmals seit 1938 kürzte GE Ende Februar die Dividende. Der markante Rückgang: 68 Prozent. Jährlich 9 Milliarden Dollar Cash soll der Schnitt einsparen, lautete die Begründung. Noch Anfang Februar versicherte Firmenchef Jeffrey Immelt, die von Analysten prophezeite Dividendenkürzung bleibe aus. «Wir haben genügend Cash-flow, um die Dividende zu zahlen», sagte er vor wenigen Wochen.

Der Widerspruch zwischen Rede und Tat schwächte das ohnehin angeschlagene Vertrauen in Immelt. Seit der Nachfolger des legendären Firmenchefs Jack Welch den Konzern führt, sinkt die GE-Aktie. Welch hingegen steigerte den Wert von GE von 14 auf 410 Milliarden Dollar. Um den Faktor 28 vervielfachte er den Gewinn. Den Umsatz verfünffachte er. Unter Immelt stürzte GE auf der Liste der grössten Firmen vom zweiten auf den zwölften Rang ab.

Dabei galt der amerikanische Konzern als unerschütterlich. 1879 fusionierte der Glühlampenerfinder Thomas Edison etliche seiner Firmen zur Edison General Electric Company. 1892 orchestrierte der Financier JP Morgan die Fusion aller führenden Elektrokonzerne zur General Electric Company. Vier Jahre später gehörte GE zu den ersten zwölf Firmen im Dow Jones Index. Ein scheinbar unaufhörlicher Aufstieg begann.

Abschreiber auf Immobilien

Schuld am jetzigen Abstieg sind nicht die profitablen Industriefabriken. Es ist GE Capital, über die Kleinkredite vergeben, Flugzeugmotoren oder Einkaufszentren finanziert werden. Der in über 35 Ländern tätige Finanzarm des Kolosses trägt die Hälfte des Konzernumsatzes bei. Ende Jahr musste GE einen Abschreiber von 4 Milliarden auf Immobilien im Wert von 37 Milliarden Dollar bekannt geben › ein Verlust von 11 Prozent auf den Immobilien. Analysten vermuten weitere riesige Löcher in der 637 Milliarden Dollar schweren Bilanz, die im Zuge der Finanzkrise gerissen wurden. GE brauche neues Kapital, um etwa den Wertverlust beim Immobiliengeschäft zu kontern, urteilten letzte Woche Analysten der UBS.

Wohl deshalb senkte Standard & Poor’s (S&P) das AAA-Rating auf AA+. Der abrupte Einbruch der Weltwirtschaft werde das Kreditgeschäft von GE hart treffen, begründete S&P die erstmalige Abstufung seit 1956. GE sei beim US-Kreditkartengeschäft und bei britischen Hypotheken stark involviert › zwei Bereiche, bei denen im laufenden Jahr grosse Verluste anfallen dürften. «Wir erwarten keinerlei Gewinne und keinen Cashflow bei GE Capital im laufenden und im nächsten Jahr», sagt S&P-Analyst Robert Schulz, der den Konzern gesamthaft aber als «stabil» einstuft. Ein Verdikt, das besser als befürchtet ausfiel und die GE-Aktie zwischenzeitlich beflügelte.

«Noch nicht über den Berg»

Andere Analysten warnen, GE sei «noch nicht über den Berg», so Alex Vallecillo von Allegiant Asset Management. Er schliesst eine weitere Abwertung der Kreditwürdigkeit nicht aus. Zumal die steigende Arbeitslosigkeit viele Kreditkartenkunden in die Zahlungsunfähigkeit treibe. S&P betont, das GE-Rating könne weiter nach unten korrigiert werden, falls «sich grosse Verluste über eine lange Zeit hinziehen». Diese drohen etwa bei Konsumkrediten in Osteuropa. Zu gerne würde GE das Immobiliengeschäft abstossen. Dafür seien aber keine Käufer zu finden, glaubt das «Wall Street Journal».

GE-Finanzchef Keith Sherin hingegen beruhigt. Spekulationen über Risiken bei GE seien «übertrieben». Mit einem Polster von 45 Milliarden Dollar in bar verfüge der Konzern bis 2010 über genügend Kapital. Derweil wächst der Druck auf Firmenchef Immelt, den Gemischtwarenkonzern in drei unabhängige Teile aufzustückeln – Industrie, Medien und Finanzen. Fraglich ist aber, ob Immelt noch lange Chef bleibt. Aktionäre klagen, er habe zu spät auf die neue Marktlage reagiert.