Kaufen als patriotische Pflicht

Der Tag nach Thanksgiving ist in den USA der wichtigste Einkaufstag des Jahres. Händler locken mit Rabatten, Menschenhorden jagen sie.

Von Peter Hossli

schwarzerfreitag.jpgDraussen ist es dunkel und kalt. Drinnen, im Warenhaus Target in Brook-lyn, fährt ein Gabelstapler eine mit Flachbildschirm-TV beladene Palette vor. Eine Verkäuferin stellt ein Preisschild auf den Berg aus Fernsehapparaten. 299 Dollar kostet das schicke Gerät, dessen Monitor im Durchmesser 66 Zentimeter misst. «Günstig wie noch nie», schreit die Verkäuferin. Just eilt ein Menschengewusel auf die Palette zu. Wer kann, greift sich einen der 50 Fernseher, stellt ihn in den Einkaufswagen und hastet weiter. Innert vier Minuten ist die Palette leer.

Zu spät gekommen ist Janet, eine 29-jährige Buchhalterin aus Brooklyn. Anstelle des neuen Fernsehers greift sie sich halt zwei Mikrowellenherde für je 39 Dollar, einen für sich und einen für ihre Mutter. Sie zwängt sich durch die Menschenmengen weiter zur Spielzeugabteilung vor. Hier postet sie Puppen für ihre Nichten. Insgesamt gibt sie 200 Dollar aus, «trotz Krise mehr als letztes Jahr», sagt Janet. Als patriotische Pflicht sieht sie die Kaufwut. «Wir alle müssen etwas tun, um die Wirtschaft anzukurbeln.»

Bis zu 75 Prozent Rabatt

Es ist Freitag früh nach Thanksgiving, der so genannte «Black Friday». Am wichtigsten Einkaufstag des Jahres jagen Millionen von Amerikanern Rabatten nach. Landesweit öffnen die Läden kurz nach Mitternacht oder zumindest in den frühen Morgenstunden. Mancher nimmt frei, um einige der Sonderangebote zu erhaschen. Ist der Black Friday für viele Shopper Hochleistungssport, entscheidet er für die Handelsketten, ob sie das Jahr mit Gewinn oder Verlust abschliessen. Ökonomen erhoffen sich von den Verkaufszahlen erste Hinweise, wie lange die Rezession dauern könnte.

Erste Zahlen fallen düster aus. Nur etwa 128 Millionen Amerikaner zückten am Freitag ihren Geldbeutel, schätzt der Branchenverband National Retail Federation. Letztes Jahr waren es 135 Millionen gewesen. Zum ersten Mal seit 23 Jahren sank der Umsatz. Dabei offerierten gewisse Läden bis zu 75 Prozent Rabatt auf Kleidern, Spielsachen und Schmuck. Verdoppelt hat sich die Anzahl der Lockvogelangebote. Stiegen in den letzten Jahren jeweils am Samstag die Preise wieder, dürfte der Schwarze Freitag in vielen Geschäften eine Woche dauern.

Es sei so ruhig wie nie, sagen Käufer

Es fruchtet längst nicht bei allen. «Klar, ich kaufe weniger als letztes Jahr», sagt Adam Becker. Er arbeitet für ein High-Tech-Start-up in New York und trägt beim Einkauf einen Anzug. Seit einer Stunde steht er in einer Schlange vor Circuit City in Brooklyn, einer Elektrowarenkette, die unlängst Bankrott angemeldet hat. «Hier gibt es bestimmt die besten Preise», sagt Becker, der seiner Schwester einen Fernseher schenkt. Seit zehn Jahren shoppt er am Schwarzen Freitag, «so ruhig wie heute war es noch nie.»

Freuen mag er sich darüber nicht. «Zwar kriege ich die Schnäppchen rascher», sagt Becker, «die Wirtschaft leidet aber unter dem schwachen Konsum.» Eine Aussicht, die ihm nicht behagt. Die noch junge Firma, für die er arbeitet, ist auf Kredite angewiesen, die derzeit kaum fliessen. Sein Vater ist als Analyst bei der angeschlagenen Bank Citigroup tätig. Ob er an Weihnachten noch einen Job habe, wisse er nicht. «Es wird wohl noch schlechter, bevor es besser wird.»

Stundenlanges Anstehen

Auf der anderen Strassenseite steht Tyson in der Schlange vor P. C. Richards, einem Geschäft, das Kühlschränke, Stereoanlagen und Computer verkauft. Der bullige Kerl trägt goldene Halsketten und einen weissen Trainingsanzug. Gefrühstückt hat er nicht. Seit fünf Uhr steht er da, um eine «möglichst billige Soundanlage» zu erstehen. Es dürfte gelingen. «Die Krise erleichtert das Feilschen.»

Als «recht sicher» beschreibt er seine Lage. Tyson, 35, hat zwei Jobs. Er arbeitet als Zimmermann und Maurer. «Auf dem Bau gibt es genug zu tun.» Zudem setzt er auf Barack Obama. Der künftige Präsident hat vor, mit Hunderten von Milliarden Dollar die Infrastruktur des Landes zu stärken. «Das beschert mir über Jahre Aufträge.»

Endlich erreicht er den Eingang, der Türsteher lässt ihn rein. «Hoffentlich haben sie die Anlage noch», sagt Tyson und verschwindet im Laden. An ihm vorbei zwängt sich eine ältere Frau. Sie zieht eine Kartonschachtel hinter sich her. Taxi-Rufe schlagen ihr entgegen.

Eine Autostunde östlich von Brooklyn endet die Jagd nach Rabatten tragisch. Als die Türen um fünf Uhr öffnen, stürmt die kaufwütige Kundschaft ein Geschäft von Walmart auf Long Island. Ein Verkäufer wird zu Tode getrampelt. Bestürzte Käufer meiden den Walmart. Die Umsätze brechen ein – wie überall.