Fingerzeig des Präsidenten

Der Verwaltungsrat ein Taubenschlag, der Aktienkurs im Keller und ein Topmanagerin den USA angeklagt. Peter Kurer hat viel zu tun bei der UBS.

Von Carmen Gasser und Peter Hossli

kurerrohner.jpgDie Schelte war hart in der Sache und fast schon sanft im Ton. «Das passiert in absehbarer Zeit nicht mehr», sagte UBS-Präsident Peter Kurer vergangenen Montag in der Börsensendung des Schweizer Fernsehens. Der Fingerzeig des Präsidenten ging an UBS-Neuverwaltungsrat Rainer-Marc Frey, der seine Loyalität mit der gebeutelten Bank auf seine Weise unterstrich. Indem er Tabula rasa machte und eine Million UBS-Aktien wie Ramschpapiere auf den Markt warf. Ein Vertrauensbeweis der besonderen Art. Einer wie Frey kann einfach nicht anders: Was kein Geschäft mehr ist, muss weg. Die Kursentwicklung gab ihm sogar recht: Am Dienstag fiel die UBS-Aktie erstmals in der Geschichte unter zwölf Franken; innert Wochenfrist hatte die Bank ein Viertel ihres Wertes eingebüsst.

Dennoch sind ihm die Worte des Chefs offenbar eingefahren. Wer ihn zum Thema «Aktienverkauf» befragen will, muss damit rechnen, dass er den Hörer auf die Gabel knallt. Die Nerven liegen offensichtlich blank bei Rainer-Marc Frey. Der Shootingstar der Finanzszene hatte mit seiner Berufung in den UBS-Verwaltungsrat den für alle sichtbaren Aufstieg in das Wirtschaftsestablishment geschafft; nun aber wurde er von Peter Kurer ermahnt wie ein ungezogener Junge. Der UBS-Präsident muss sich derzeit ohnehin vorkommen wie der Vorsteher eines aus der Spur geratenen, fast unkontrollierbaren Gremiums. Während Frey nur seine Aktien verflüssigte, nahm UBS-Vize Sergio Marchionne bekanntlich seinen Präsidenten direkt ins Visier und betitelte Peter Kurer als zweite Wahl für den Topjob. Seither rätselt die Szene, ob der Italo-Kanadier nur an chronischer Selbstüberschätzung leidet oder, schlimmer noch, derartige Giftpfeile zur Unzeit gedankenlos abfeuert. «Kein nachhaltiger Manager auf lange Zeit», sagt Max Amstutz, der Marchionne aus verschiedenen Verwaltungsräten kennt, «aber ein guter Turnaround-Manager.» Und der Ex-Lonza-Aktionär Christoph Blocher sagt: «Ein fähiger Manager, ein Meister des Troubleshooting.»

Wie gut ist Marchionne wirklich?

Die Marchionne-Story liesse sich auch anders lesen. Bei Lonza hatten die Ausrichtung der Firma auf Biopharmazeutika andere vorgespurt; Marchionne schüttete einen warmen Geldsegen über die Aktionäre. «Geld, das man in industrielle Alternativen hätte investieren können», urteilt Martin Vögtli, Analyst bei Sal. Oppenheim. «Er schaffte es nicht rechtzeitig, den Kunststoffbereich zu verkaufen», sagt Blocher, aber er wolle das nicht tadeln. Für die Kapitalgeber war die Ära Marchionne bei Lonza ja einträglich. Er verlängerte die Dauer der Abschreiber so, dass sich das positiv auf die Gewinne auswirkte. Ein Vorgehen, welches seinem Nachfolger nicht mehr beschieden war. Dem fielen gleich drei Produkte im klinischen Stadium und damit Millionenumsätze weg; er musste den Job quittieren. Was, wenn dies früher, noch unter Konzernchef Marchionne, passiert wäre?

Beim Genfer Warenprüfkonzern SGS war der Tiefpunkt des Negativzyklus bereits überschritten, als Marchionnes Kostensparmassnahmen umgesetzt waren und er auf der Welle einer gutgehenden Weltwirtschaft surfen konnte. Und bei Fiat, wo dies nun nicht mehr möglich ist, steht seine Bewährungsprobe erst noch bevor. «Als Fiat beinahe pleiteging, machte Marchionne einen grossartigen Job», sagt Massimo Vecchio, Analyst bei der Mediobanca, «der wahre Test kommt aber erst jetzt.» In der Tat. Die Automobilbranche wird von der Finanzkrise ähnlich gebeutelt wie die Banken, und selbst Marchionne hat mit derartigen Stürmen keine Erfahrung. Im Oktober musste er eine verklausulierte Gewinnwarnung herausgeben, und an der Börse scheint der einst betörende «Marchionne-Effekt» nicht mehr zu wirken. Die Fiat-Aktie liegt nach einem Zwischenhoch von 24 Euro derzeit noch bei bescheidenen 6 Euro. Marchionne hat, so viel ist klar, im eigenen Haus genug zu tun, als dass ihm der Kopf nach Personaldiskussionen innerhalb der Führungscrew der UBS stehen sollte.

Die UBS täte gut daran, wenigstens innerhalb der Bank den Burgfrieden auszurufen. Denn der nächste Tsunami kommt aus den USA. Am vergangenen Mittwoch in der Früh traf bei der Schweizer Botschaft in Washington eine schriftliche Warnung ein. Das US-Justizdepartement setzte die Schweizer ins Bild, dass gegen den UBS-Topbanker Raoul Weil in Florida Strafanzeige erhoben werde. Der Vorwurf: In der elfseitigen Klageschrift wird dem Chairman des UBS Global Wealth Management vorgeworfen, Tausenden von amerikanischen Kunden der UBS geholfen zu haben, insgesamt rund 20 Milliarden Dollar Vermögen vor dem Fiskus zu verstecken. Weil ist zur Fahndung ausgeschrieben; es drohen ihm fünf Jahre Gefängnis und eine Busse von 250 000 Dollar. «Wir hatten keine Vorwarnung», sagt ein hoher UBS-Banker in Zürich, der nicht namentlich genannt werden will, die Klage sei eine «Breitseite» gegen die oberste Führungscrew der Bank. Weil ist der wichtigste Manager nach Konzernchef Marcel Rohner und als solcher derart exponiert, dass er seinen Job als Verantwortlicher für das globale Vermögensverwaltungsgeschäft sofort zur Verfügung stellen musste. «Diese Klage gegen Weil bringt die UBS einem Deal näher», sagt John Coffee, Rechtsprofessor an der Columbia University. Das Ziel: ein sogenanntes deferred prosecution agreement, bei dem die Bank ohne Schuldeingeständnis bereit ist, eine saftige Busse zu bezahlen, um damit eine Anklage gegen sich abzuwenden.

Dafür müsste die UBS allerdings vollständige Kooperationsbereitschaft zeigen und Beweise zu irregulärem Verhalten von Bankangestellten offenlegen. «Sie muss einen Bericht erstellen, aus dem klar ersichtlich wird, wer was wann getan hat», sagt Coffee. Innerhalb der UBS, so ist zu hören, arbeiten die Anwälte und Banker hastig an diesem Dossier.

Falls dies noch nicht fruchtet, könnten die US-Behörden den Druck durchaus weiter erhöhen. Die nächsten Dominosteine, die sie zu Fall bringen könnten, wären Weils direkte Vorgesetzte: CEO Marcel Rohner und Verwaltungsratspräsident Peter Kurer.

Kurer und Rohner im Visier der Justiz

Diese Eskalation ist in der Anklageschrift gegen Weil bereits angelegt. Dort heisst es, dieser habe als Vorgesetzter eine systematische Verletzung von amerikanischen Steuerrechten toleriert. Das Gleiche liesse sich ohne Aufwand auch von Rohner oder Kurer behaupten. Namentlich ist in der jetzt eingereichten Anklageschrift zwar ausschliesslich Raoul Weil genannt. Auf Seite zwei der Schrift heisst es aber auch, «weitere Manager auf der höchsten Managementebene der Schweizer Bank» seien Mitverschwörer. Diese Manager hätten Posten bekleidet, die sich um die «Rechtmässigkeit» des grenzüberschreitenden Geschäfts kümmerten. Einer dieser Männer: Peter Kurer, der zwischen 2001 und 2008 Leiter der Rechtsabteilung der UBS gewesen war.

Dass die UBS diesen Fall nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte, liegt auch an der Bissigkeit des Anklägers: R. Alexander Acosta, 39, dient seit Mai 2005 als Chefankläger des US-Justizdepartements im Southern District of Florida in Miami. Acosta führt auch die Anklage gegen den ehemaligen UBS-Banker Bradley Birkenfeld, der einst den Fall ausgelöst hatte, und er hat nun Anklage gegen Raoul Weil erhoben – mit der fast identischen Beweisführung wie bei Birkenfeld. Acosta gilt als einer der aggressivsten Staatsanwälte der USA. Während seiner Amtszeit führte er spektakuläre Prozesse gegen den Terrorverdächtigen José Padilla, den Lobbyisten Jack Abramoff oder die beiden Gründer des kolumbianischen Kokainrings Cali-Kartell. 2003 ernannte ihn George W. Bush zum Assistenten des Justizministers.

Gegen solch einen Gegner hat die UBS nur eine Chance, wenn sie mit einer geeinten Führungscrew auftritt. Peter Kurer scheint im Verwaltungsrat fast der Einzige zu sein, dem diese Notwendigkeit bewusst ist.