“Es gibt kein globales Rezept”

Die Kapitalisierung der Banken muss weltweit stark ansteigen und die Verschuldung sinken. Dazu äusserte sich in Washington der Präsident der Schweizerischen Nationalbank, Jean-Pierre Roth, an einer Pressekonferenz.

Aufgezeichnet von Peter Hossli

roth.jpgHerr Roth, der Ökonom Paul Krugman sagte am Freitag, die Börsen würden montags weltweit schmelzen, falls die Notenbankchefs am Wochenende keine gemeinsame Strategie verkünden. Wurde in Washington genug erreicht, um die Panik aus den Märkten zu nehmen?
Jean-Pierre Roth:
Wir alle respektieren Herrn Krugman. Als ich am Massachusetts Institute of Technologie war, ist er mir als brillanter Student aufgefallen. Das bedeutet aber nicht, dass wir Notenbankchefs alle in einer Reihe marschieren, wenn Krugman spricht. Seit zwölf Monaten arbeiten die Zentralbanken ausgesprochen intensiv zusammen. Zuletzt haben wir vergangene Woche im Einklang die Zinsen gesenkt. Wir müssen nicht deklarieren, dass wir kooperieren. Das sieht doch jeder.

Trotzdem sind die Börsen weltweit hypernervös. Was können Sie gegen diese Panik tun?
Roth:
Es braucht vertrauensbildende Massnahmen, die von den grossen Ländern ausgehen. Angesichts der Krise ist ein koordinierter Ansatz wichtig, wobei den Notenbanken eine zentrale Rolle zukommt. Sie müssen weiter Liquidität in den Märkten sicherstellen.

Reicht das aus?
Roth: Jedes Land muss zusätzlich individuelle Massnahmen ergreifen. Es gibt kein globales Rezept, das überall greift. Gewisse Länder werden spektakulär vorgehen, andere eher innovativ. Es gibt auch Länder, in denen die Situation weniger kritisch ist.

Was ist in der Schweiz notwendig?
Roth: Der Bundesrat hat gesagt, er werde alles Nötige tun, den Bankensektor zu konsolidieren.

Welchen Spielraum haben Sie bei den Zinsen?
Roth: Noch haben wir genügend Handlungsspielraum. Letzte Woche haben wir erstmals seit 2003 die Zinsen um 0,25 Prozent gesenkt. Der Leitzinssatz liegt neu bei 2,5 Prozent. Sollte sich die wirtschaftliche Situation weiter verschlechtern, können mit zusätzlichen Zinssenkungen darauf reagieren.

Wir befinden uns in einer Krise mit historischem Ausmass. Welche Schlüsse hat der Internationale Währungsfonds nun gezogen?
Roth: Neu erfinden müssen wir das internationale Finanzsystem nicht. Es muss aber stabiler werden. Die Banken müssen ihre Kapitalstruktur stärken und ihre Schulden vermindern. Banken mit solider Kapitalbasis sind wichtig, um das Vertrauen wieder zu stärken. Die Schweiz steht diesbezüglich relativ komfortabel da. Die Kapitalisierung unserer Banken ist jener anderer Länder überlegen.

Wie viel Gehör verschafft sich die Schweiz?
Roth: Der IWF ist eine Denkfabrik, wo Ideen und Vorschläge debattiert werden. Da kommt der Schweiz eine wich-tige Rolle zu. Zumal wir aktiv an Diskussionen teilnehmen und eng mit der Federal Reserve Bank, der Bank of England und der Europäischen Zentralbank zusammenarbeiten.

Die Krise hat in den USA angefangen und weitet sich jetzt auf den Rest der Welt aus. Der britische Premierminister hat letzte Woche gesagt, die Rolle der USA müsse neu definiert werden. Wie könnte sie aussehen?
Roth: Das müssen Sie Herrn Bush fragen.

Die US-Regierung rettet Banken vor dem Kollaps oder versorgt sie direkt mit Liquidität. Es gibt zwei grosse Schweizer Banken. Was werden Sie tun, wenn eine der beiden in einen akuten Liquiditätsengpass gerät?
Roth: Darüber rede ich an dieser Stelle nicht.

Wenn nun Staaten ihren Banken unter die Arme greifen, führt das zu Wettbewerbsverzerrungen. Wird die Schweiz mit relativ gesunden Finanzhäusern nicht benachteiligt?
Roth: Angesichts der grossen Unsicherheit des heutigen Umfelds ist diese Dimension zweitrangig. Das Hauptziel ist derzeit die Sicherheit des Systems. Die staatlichen Eingriffe müssen jedoch von temporärer Natur sein.

Droht die Finanzkrise den Schweizer Franken übermässig zu stärken?
Roth: Der Schweizer Franken hat sich als erstaunlich stabil erwiesen. In der Vergangenheit ist er in ähnlichen Situationen jeweils rasch zum Spekulationsobjekt geworden. Das trat bisher nicht ein. So hat sich etwa das Verhältnis des Frankens zum Euro nur unwesentlich verändert. Überhaupt sind die Währungsmärkte bisher nicht aus den Fugen geraten. Das ist für die Schweiz sehr wichtig, da unsere Wirtschaft stark vom Export abhängig ist.

In welchem Ausmass wird die Schweizer Wirtschaft nächstes Jahr wachsen?
Roth: Für das laufende Jahr haben wir ein Wachstum von 1,5 bis 2 Prozent erwartet. Das dürfte sich in etwa einstellen. Wir sagen seit einiger Zeit, 2009 werde schlechter ausfallen als 2008. Das zweite Halbjahr 2008 fiel wie prognostiziert schwächer aus als das erste. Nächstes Jahr erwarten wir eine weitere Verlangsamung der Wirtschaft. Eine prozentuelle Prognose für 2009 gebe ich aber nicht ab.

Wagen Sie eine Prognose abzugeben, wann die aktuelle Finanzkrise vorbei ist?
Roth: Ich hatte vor ein paar Monaten gesagt, die Sache werde bald vorbei sein. Das war zu optimistisch. Zumal wir jetzt nicht nur eine Finanzkrise haben, sondern eine deutliche Verschlechterung der Wirtschaftslage sehen, was wiederum Rückwirkungen auf die Finanzmärkte hat. Deshalb wird die Situation für die Wirtschaft 2009 schwierig werden.

Der Walliser Jean-Pierre Roth, 62, ist seit 2001 Präsident des Direktoriums der Schweizer Nationalbank. Der promovierte Ökonom amtet zudem als schweizerischer Gouverneur des Internationalen Währungsfonds und ist Präsident des Verwaltungsrates der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ).