Ikonen und Ganoven der Wall Street

An der Wall Street regiert die Gier nach Geld. Ganoven holen es mit Tricks, die Ikonen mit Kalkül und viel Mut zum Risiko. Hossli.com nennt die Männer, die in den letzten 18 Jahren die amerikanische Hochfinanz prägten.

Von Peter Hossli

Der Archetyp der US-Finanzwelt ist eine Erfindung. Regisseur Oliver Stone schuf ihn 1987 für den Film «Wall Street». Er heisst Gordon Gekko, ist weiss, männlich, rücksichtslos und selbstbewusst. Ein Raider, der Firmen kauft, zerstückelt, einträglich abstösst, egal, wie viele Jobs dabei verloren gehen. Nur ein Prinzip leitet ihn – ungezähmte Gier.

Eine Filmszene hob Gekko, grandios verkörpert von Michael Douglas, zur Ikone. «Meine Damen und Herren», sagt er den Aktionären der Firma, die er gerade aushöhlt, «Gier ist gut, Gier ist richtig. Gier funktioniert, Gier in jeder Form – Gier nach Leben, Liebe, Geld, Wissen – bringt die Menschheit voran.»

Während der Regisseur Stone Gekko als diabolischen Inbegriff einer verrotteten Branche sah, veränderte der Film «Wall Street» das Image der Finanzwelt. Er veranlasste weltweit Studienabgänger, bei Investmentbanken anzuheuern. Keine Rolle spielte da, dass Gekko wegen Insider-Deals ins Zuchthaus muss. Man eifert ihm nach, weil er tut, was viele wollen: Möglichst schnell möglichst viel verdienen.

Inspirieren liess sich Stone von echten Raidern. Arbitrageur Ivan Boesky, heute 71, sprach 1986 an der University of Berkeley zu Absolventen der Wirtschaftsschule. «Gier ist okay, das sollt ihr wissen», bestellte er ihnen. «Ihr könnt gierig sein und euch trotzdem gut fühlen.» Das war am 18. Mai 1986. Sechs Monate später gestand der braun gebrannte Boesky – laut «Time» der «reichste und frenetischste individuelle Spekulant an der Wall Street» -, Kopf eines weitverbreiteten Insider-Rings zu sein. «Ivan der Schreckliche», so der Kosename, zahlte 100 Millionen Dollar Busse und fasste 22 Monate Haft. Milder fiel die Strafe aus, weil er Mitwisser verpfiffen hatte.

Junkbonds waren für den Bankier Milken kein Ramsch

Einer war Michael Milken, der Junkbond-King der Wall Street und vermutlich famoseste Finanz-Gauner der letzten 20 Jahre. Milken, 61, gilt als Erfinder der Anleihen mit extrem hohen Risiken und daher hohem Zinssatz. Mit dem dubiosen Finanzinstrument wuchtete er Drexel Burnham Lambert in den Achtzigerjahren zur gewinnträchtigsten Investmentbank der USA. Raidern besorgte Milken mit Junkbonds nötiges Kapital für ihre Übernahmen. Zuletzt verwaltete er Anleihen in der Höhe von 200 Milliarden Dollar und strich jährliche Kompensationen von fast 550 Millionen Dollar ein. Bis ihn 1989 ein aggressiver Ankläger namens Rudolph Giuliani der Steuerhinterziehung, des Betrugs und des illegalen Handels mit Wertpapieren überführte. Milken kassierte zehn Jahre Knast, wurde aber nach 22 Monaten entlassen. Er darf lebenslänglich nicht mehr mit Wertschriften handeln. Heute sammelt er Geld für die Krebsforschung.

Noch scheint nicht entschieden, ob Milken die Wall Street belebt oder ob er betrogen hat. Die einen sagen, er hätte zerstört, nichts geschaffen und den Junkbond-Markt bewusst aufgeblasen. Andere meinen, Junkbonds seien eine brillante Idee gewesen, um das Kapital zu beschaffen, das die lange Zeit dümpelnde US-Wirtschaft belebte.

Wer in «Wall Street» nur eine Anklage sieht, hat den Film missverstanden. Denn ein anderer, ehrlicher Raider floss in die Kunstfigur Gordon Gekko ein: der noch heute aktive Spekulant Carl Icahn. Das Gekko-Zitat «wenn du einen Freund brauchst, kauf dir einen Hund» stammt von Icahn, der genau das einer Angestellten einer Fluggesellschaft, die er Mitte der Achtzigerjahre übernommen hatte, an den Kopf warf. Inzwischen 71, führt der leidenschaftliche Pokerspieler Hedgefonds und attackiert noch immer angeschlagene Firmen, zuletzt erfolglos Motorola. Sein Vermögen beträgt 8,7 Milliarden Dollar.

Während Icahn reich wurde, indem er zerstückelte, bauten andere Imperien auf. Der wohl nachhaltigste Bauherr war Sanford «Sandy» Weill. In den Achtzigerjahren kaufte er verschiedene kleine Banken und Versicherungen auf. 1998 gelang ihm das Meisterstück, indem er Travelers und Citicorp zum Finanzkoloss Citigroup zusammenführte. Seit 1933 war eine kommerzielle Bank nicht mehr mit einer Versicherung fusioniert worden. Weill brachte den US-Kongress dazu, ein Gesetz ausser Kraft zu setzen, das genau das verboten hatte. Er formte ein Finanzhaus, das in fast jedem Sektor führend und profitabel war. Erst sein Abtritt 2005 änderte das.

Schweizer Banker kauft abgetakeltes Schlosshotel

Ein anderer bedeutender Architekt der Hochfinanz feierte als Banker wenige Erfolge – Michael Bloomberg, derzeit 65 und Bürgermeister von New York. Mit der Abgangsentschädigung von Salomon Brothers gründete er 1982 eine eigene Firma. Fortan lieferte er Börsenhändlern über Terminals verlässliche Finanzdaten. Der Boom der Neunzigerjahre bescherte ihm jährlich zweistellige Wachstumsraten und ein privates Vermögen von über 12 Milliarden Dollar. Genug Geld, um künftig unentgeltlich der Allgemeinheit zu dienen. 2001 wählte ihn New York zum Bürgermeister. Ein Amt, das er wie ein Manager stets auf Erfolg bedacht ausübt. Gerüchten zufolge will er sich 2008 um das Weisse Haus bewerben. «Bloomberg macht das nur, wenn er weiss, dass er die Wahl gewinnt», zitiert die «New York Times» eine ehemalige Beraterin.

Einen Höhepunkt erlebte die Gier nach schnellem Cash um die Jahrhundertwende. Jeder wollte an heissen Internetfirmen teilhaben. Der Meister der Technologie-IPO war Frank Quattrone, 51. Der Banker führte Amazon und Netscape an die Börse. 1999 und 2000 trieb er die Credit Suisse First Boston an die Spitze der Emissionsbanken. Quattrone selbst verdiente pro Jahr über 160 Millionen Dollar. Später warf ihm die Anklage vor, er hätte Neuemission erlesenen Kunden zugeschoben. Eine zwar illegale, aber übliche Praxis an der Wall Street. Wegen Verfahrensfehlern entkam Quattrone der Haftstrafe.

Schlechter erging es dem schillerndsten Schweizer Ganoven der US-Finanzwelt. Acht Jahre lang sitzt Hanspeter Walder, ein ehemaliger Privatbanker der UBS. 2001 war aufgeflogen, dass der Zürcher während 20 Jahren in einem Pyramidensys-tem Kredite in der Höhe von insgesamt 75 Millionen Dollar an Kunden ausgestellt hatte. Mit dem Geld kaufte er sich ein abgetakeltes Schlosshotel in der Nähe von New York. «Ich habe eine Ruine zum Leben erweckt», sagt er vom Knast aus. Folglich kapierte er Gekko nicht. Statt von Gier hatte sich Walder von Grössenwahn leiten lassen.