Macht Geld blöd?

Prominente sorgen mit ihren Eskapaden für Schlagzeilen und Kopfschütteln. Das hat System, sagt ein amerikanischer Psychologieprofessor: Denn Reichtum schafft Macht, und Macht enthemmt das Verhalten.

Von Peter Hossli

Ein letztes Mal noch wollte Steve Wynn den liebsten Picasso seinen Freunden vorführen. Am nächsten Morgen würde der Kasino-Magnat «Le rêve» für 139 Millionen Dollar verkaufen. «Der Preis ist ein Weltrekord», prahlte Wynn letzten Oktober in Las Vegas. Triumphierend fuchtelte er mit Händen und Armen – und durchstiess mit dem Ellbogen die dünne Leinwand des 1932 gemalten abstrakten Kunststücks. «Scheisse, schaut nur, was ich getan habe», sagte Wynn und bat die Gäste um Diskretion.

Der Kunstdeal platzte, der Missgriff flog auf. Schadenfreudig verunglimpften Blogger wie angesehene Magazine Wynn als «reichen Trottel». Ebenso erging es Anfang April dem US-Komiker Eddie Griffin. Der hatte sich von einem Freund einen roten Ferrari Enzo geliehen und das 1,5 Millionen Dollar teure Gefährt auf einer Teststrecke gegen eine Absperrung gesteuert. Scham zeigte er nachher nicht. «Das ist ein Ferrari, Baby, damit fährt man schnell», frotzelte er nach dem Crash ins Mikrofon einer Fernsehreporterin. «Ich habe versucht, ein Rennfahrer zu sein, jetzt bleib ich halt beim Witzeln.» Will heissen: Dumm gelaufen, doch was sind schon 1,5 Millionen Dollar?

Immerhin bescherten sie Griffin die Aufnahme in die online publizierten Annalen der «reichen Idioten, die schöne Autos zerstören». Dazu gehören der Schauspieler Rowan Atkinson, der einen 1,2 Millionen teuren McLaren verschrottete, oder der Geschäftsmann Ajay Soni, der den Bugatti Veyron seines Bruders demolierte. Wert des Wagen: 1,4 Millionen Dollar. Die Autos fielen der Torheit der Fahrer anheim.

Nicht nur hinter dem Steuer verlieren Reiche und Berühmte zuweilen die Kontrolle. Anfang April beleidigte der millionenschwere Radiotalker Don Imus junge schwarze Basketballerinnen rassistisch und sexistisch. Prompt kippte CBS seine Sendung. Als «nigger» beschimpfte «Seinfeld»-Komiker Michael Richards während eines Auftritts zwei Zwischenrufer. Die per Mobiltelefon gefilmte Hasstirade ging online um die Welt. Abrupt stoppte Richards’ Karriere. Irreparablen Schaden erlitt auch die Laufbahn von Schauspieler und Regisseur Mel Gibson. Betrunken lallte er vor zwei Polizisten antisemitische Sprüche.

Ob es sich um oralen Sex im Weissen Haus oder Liebesaffären an Königshöfen handelt – Mächtige tun Tollpatschiges, das meist drastische Konsequenzen hat. Das seien «keine historischen Abweichungen, sondern das liegt in der Natur der Macht», sagt der amerikanische Psychologe Dacher Keltner von der University of California in Berkeley. Mächtige wollten unaufhörlich material belohnt werden, «und verhalten sich dafür oft unanständig».

Bei einem seiner Experimente liess der Psychologe ein paar Dreiergruppen eine halbe Stunde lang belanglos etwas erledigen. Zuvor kürte er einen zum Chef. Nach getaner Arbeit brachte ein Vierter einen Teller mit fünf Keksen und setzte sich an den Gruppentisch. Den fünften Keks schnappte sich stets ganz auf sich bedacht der Chef.

«Geld scheint doof zu machen», schliesst Keltner. Er belegt die nonchalante Aussage wissenschaftlich, meist mit Experimenten. «Bei vielen Reichen entfallen die sozialen Hemmschwellen», beschreibt er die Ursache der Entgleisungen und Blödheiten angesehner Leute. «Wer reich und somit mächtig ist», sagt der Psychologe, «trägt sich, anderen oder der Umgebung weniger Sorge.» Erhöhte Macht steigere das Verlangen nach Belohnung und «enthemme das Verhalten». Das Resultat sei in Verwaltungsratssitzungen wie an Familientischen zu erkennen. Oft ist der Chairman der einzige, dessen Krawatte nicht makellos sitzt. Der kleinere Bruder isst weit anständiger als der grosse.

Je mehr Macht eine Person in Beziehung zur anderen hat, desto enthemmter sei sie gegenüber der ohnmächtigen, stellte Keltner zudem fest. Kein Wunder, vergreife sich der Präsident an der Praktikantin, der Chef an der Lehrtochter – egal, ob die Übergriffe die Karriere knicken. Nicht nur eine soziale, auch eine körperliche Enthemmung stellte Keltner bei Mächtigen fest. Sie würden dazu tendieren, die Sphäre von Untergebenen zu missachten und sie ständig zu berühren. Als Präsident George W. Bush unlängst Kanzlerin Angela Merkel von hinten flapsig in den Nacken fiel, war das eine hemmungslos dumme Machtdemonstration.

Da Macht ständig nach zusätzlicher Stimulans verlange, seien Mächtige stets auf Sex, Geld oder eben teure Autos erpicht. «Es überrascht nicht, dass Firmenchefs oft perverse hohe Saläre fordern», sagt Keltner. «Ihre Hemmschwelle ist zerbrochen.»

Das famoseste Beispiel eines nimmersatten Chefs gibt Dennis Kozlowski ab, der den Industriekonzern Tyco von 1992 bis 2001 führte – und rund 400 Millionen Dollar unterschlug. Auf Firmenkosten liess er sich in New York eine Wohnung für 30 Millionen Dollar einrichten, einschliesslich Duschvorhängen für 6000 Dollar. Die viertägige Geburtsparty seiner Frau liess er von Tyco bezahlen. Sie fand auf Sardinien statt und glich einer römischen Orgie mitsamt Wodka urinierender David-Statue. Dumm nur, dass Kozlowski all das per Video filmen liess. Jetzt sitzt er im Knast.

Macht enthemme nicht nur, sie mache «weniger nuanciert und weniger fürsorglich», sagt Keltner. «Menschen von einer höheren sozialen Schicht beschäftigen sich weniger mit anderen Menschen.» Die Folge: Wer zuoberst steht glaubt, alles sei möglich. Keltner erklärt dies mit dem Prinzip der natürlichen Selektion, beschrieben von Charles Darwin in seiner Evolutionstheorie. «Wenige Mächtige sind nicht auf andere angewiesen und nehmen keine Rücksicht auf Mitmenschen, wohingegen die meisten von anderen abhängig sind und etwas für deren Zuneigung tun.»

Die neusten Dummheiten der Reichen

Jon Corzine, Gouverneur von New Jersey und Ex-Partner bei Goldman Sachs. Vermögen: Meh-rere hundert Millionen Dollar. Dummheit: Corzine trägt bewusst nie einen Sicherheitsgurt. Letzte Woche fuhr ihn ein anderes Auto an. Corzine schleuderte es auf den Rücksitz. Er wurde lebensgefährlich verletzt – weil er keinen Gurt trug.

Steve Wynn, Bauherr. Vermögen: Über zwei Milliarden Dollar. Dummheit: Durchstiess mit sei-nem Ellbogen einen Picasso, dessen Wert 139 Millionen Dollar betrug. Der Deal platzte.

Dennis Kozlowski, Ex-Firmenchef, jetzt Zuchthäusler. Vermögen: Er verdiente bei Tyco 100 Millionen Dollar jährlich. Dummheit: Liess eine von der Firma bezahlte Orgie per Video filmen. Kaufte in New York teure Kunst. Weil er die Verkaufssteuer nicht zahlen wollte, liess er Bilder in einen Staat ohne Verkaufssteuer schicken und sie dann per Lastwagen nach New York zurück-führen.Eine Untersuchung der Steuerbehörde brachte alle seine Verbrechen ans Licht. Er kriegt 8,5 Jahre Gefängnis.

Don Imus, Radiotalker. Jährlich 50 Millionen Dollar an Werbeeinnahmen brachte Imus den Sendern CBS und MSNBC. Aus schierer Blödheit bezeichnete er Anfang April die schwarzen Mädchen eines Basketball-Teams als «nappy-headed hos», was etwa «krausköpfige Huren» be-deutet. Er löste einen Sturm der Entrüstung aus, die Werbeindustrie sprang ab, Imus verlor seine Sendung. Psychologe Dacher Keltner hat eine Erklärung dafür: «Macht führt oft zur Geringschätzung und Stereotypisierung der weniger Mächtigen.»

Dick Cheney, amerikanischer Vizepräsident. Vermögen: 100 Millionen Dollar. Dummheit: Cheney schoss während der Wachteljagd seinem Freund eine Ladung Schrott ins Gesicht.