Der Gigant der kleinen Dingen

1989 schreibt Don Eigler Nano-Geschichte. Aus 35 Xenon-Atomen formte der IBM-Wissenschaftler ein winzig kleines I-B-M-Logo. Anfang September sprach der Physiker in Boston auf Einladung der Credit Suisse über die Zukunft der Informationstechnologie. Eigler ist überzeugt, dass die Nanotechnologie eine zentrale Rolle bei der IT-Entwicklung spielen werde.

Von Peter Hossli

Die Neugier war spürbar, als Don Eigler im fensterlosen Saal zum Referat ansetzte. Schliesslich will jeder heute schon wissen, was morgen ist. Doch der elegante und eloquente IBM-Forscher mit dem ergrauten Pferdeschwanz dämpfte die Erwartungen gleich vorne weg, mit einem Zitat des ersten IBM-Chefs. «Ich glaube, der weltweite Markt für Computer umfasst fünf Stück», sagte Thomas Watson 1943. Wie er doch irrte. «Das zeigt, wie gefährlich Prognosen sind», sagte Eigler – bevor er selbst prophezeite.

Den Mut zur Voraussage basiere auf Zuversicht, sagte der IBM-Physiker, der am Almaden Research Center im kalifornischen San José forscht. «Die Nanotechnologie wird eine zentrale Rolle bei der IT-Entwicklung spielen, da bin ich mir sicher.» Bereits jetzt würden Halbleiter im Nanobereich fabriziert, begründete er den Optimismus. Zudem lechze die IT-Industrie geradezu nach noch Kleinerem. Je winziger die Chips, laute die Devise der Branche, desto besser die Integration, desto höher die Leistung und günstiger der Preis. «Kein Feld ist berufener, all das abzudecken als die Nanotechnologie.»

Der Künstler unter den Wissenschatlern

Sein Vortrag in Boston geriet zum Höhepunkt eines Interactive Field Trips, den die Credit Suisse organisierte. Prägnant und gut verständlich schilderte Eigler hoch komplexe Vorgänge in etlichen Feldern der Nanotechnologie. Er wurde seinem Ruf als «Renaissance-Mann» gerecht, wie ihn einst der Risikokapitalist Steve Jurvetson beschrieben hatte. Ein «nüchterner Wissenschaftler, aber auch ein kreativer Künstler» sei Eigler. Als «Gigant der kleinen Dinge» pries ihn der «San Francisco Chronicle». Grosse Ziele in klit-zekleiner Umgebung verfolgt der promovierte Physiker. Beweisen will er, dass man das Verhalten von Atomen und Molekülen nicht nur beobachten, sondern kontrollieren oder gar verändern werden kann.

Das Meisterstück gelang dem braungebrannten Hobby-Surfer 1989. Er kühlte 35 Xenon-Atome auf extrem niedrige Temperaturen und reihte sie fein säuberlich zu einem IBM-Logo auf. Dafür hatte er 18 Monate lang das 1981 im schweizerischen Rüschlikon entwickelte Rastertunnelmikroskop modifiziert. Später entdeckte Eigler mit Hilfe der Quantenmechanik eine Methode, um Informationen wellenartig zwischen Elektronen zu transportieren.

Die Tage der Silizium-Chips scheinen gezählt

Marktfähige Produkte hat Eiglers Forschung bisher nicht erwirkt. Sie zeigt jedoch auf, wo die IT hineilt – «zur Nanotechnologie», sagt er. Und somit weg vom Silizium, dem Baustoff gegenwärtiger Chips. Erst-mals stösst dieser an Grenzen. Zu schnell werden heutiger Computer zu heiss, ihre Leistung stagniert, ebenso ihre Belastbarkeit. An die Stelle der Silizium-Chips könnten Transistoren aus Kohlenstoffnanoröhrchen treten, glaubt Eigler. Das sind im Nanobereich veränderte Strukturen aus Kohlenstoff. Sie leiten besser, sind widerstandsfähiger und auf weit kleinerem Raum einsetzbar. Möglich wären auch dreidimensionale Chips, die die Gesetze der Quantenmechanik nutzen. Damit liesse sich das Hitzeproblem lösen, glaubt er. «Phänomenale Fortschritte» erwartet Eigler bei der Fotolithografie, also der Beschrei-bung herkömmlicher Halbleiter.

Trotzdem warnt er vor übertriebenen Hoffnungen. Es dauere Jahre, bis erste Produkte die IT-Industrie verändern. «Noch ist Silizium der IT-Kaiser, es ist schwierig, den Kaiser zu stürzen.» Firmen wie Forscher, die das mittels Nanotechnologie versuchten, dürften ein Ziel nie aus den Augen verlieren: «Neue Halbleiter müssen schneller und leistungsfähiger sein als herkömmliche Chips», sagt Eigler, «und ener-gieeffizienter.»

Nicht alles ist rentabel, wo Nano draufsteht

Die Informationstechnologie werde sich in zwei Geschwindigkeiten entwickeln, glaubt er. Es werde die «evolutionäre Nanotechnologie» geben mit absehbaren Fahrplänen, erstellt von etablierten Firmen, mit eher bescheidenen Resultaten. Hinzu käme die «revolutionäre Nanotechnologie», diktiert von Hunderten von Startups. «Diese hat ein riesiges Potenzial».

Doch werden diese Firmen jemals Geld verdienen? Eine Frage, die bei vielen Besuchern in Boston zuvorderst stand. Abschliessend konnte Eigler sie nicht beantworten. Er gab jedoch Tipps ab, welche Fragen Investoren aufwerfen sollten. So hält er es für unentbehrlich, dass die neuen Produkte mit existierenden Werkzeugen hergestellt werden. «Es muss eine Technologie sein», schloss Eigler, «die sich lange Zeit weiterentwickeln kann.» Nur so seien langfristig Gewinne möglich. «Sonst landet man mit Nanotechnologie dort, wo keiner sein will: im Höllenreich der Gebrauchsgüter.»