«Nanotechnologie kann Leben retten»

Seit fünf Jahren identifiziert Mostafa Analoui für den amerikanischen Pharmakonzern Pfizer neue Methoden, um Medikamente zu entwickeln. Der Nanotechnologie misst er eine zentrale Rolle bei. Gleichzeitig warnt er Investoren und Patienten vor übertriebenen Erwartungen.

Von Peter Hossli

Sie suchen nach neuen Möglichkeiten, Medikamente zu entwickeln und setzen vermehrt auf Nanotechnologie. Warum?
Mostafa Analoui: Ich möchte auf meinem Gebiet etwas bewegen – die Nanotechnologie hilft mir dabei. Jeden Tag sterben allein in den USA etwa 3000 Menschen an Herzkrankheiten. Ich halte es für möglich, dank der Nanotechnologie neue Therapieformen zu entwickeln, die Tausenden das Leben retten wird.

Die Frage ist, wann. Sei Jahren heisst es, noch sei es «zu früh», durch Nanotechnologie entwickelte konkrete Medikamente klinisch zu testen. Wann fällt der «zu früh»-Zusatz weg?
Analoui: Er wird noch einige Zeit bleiben. Es ist schwierig zu sagen, wo wir im Jahr 2015 stehen. Die Entwicklung neuer Medikamente dauert mehrere Jahre. Selbst bei herkömmlichen Verfahren resultieren aus 100 Ideen, denen im Labor nachgegangen wird, bestenfalls zwei Arzneien. Obwohl das Potenzial der Nanotechnologie enorm ist, müssen verantwortungsvolle Wissenschaftler übertriebene Hoffnungen dämpfen und die Unterschiede zwischen Science und Fiktion klar kommunizieren.

In welchen medizinischen Bereichen sehen Sie die schnellsten Entwicklungen?
Analoui: Die so genannt niedrig hängenden Nano-Früchte liegen vor allem in der Diagnostik sowie bei der Verabreichung von Medikamenten.

Zunehmend warnen Nanokritiker davor, Menschen molekular veränderte Organismen auszusetzen. Was müssen die einflussreichen Player tun, damit die Nanotechnologie nicht dasselbe Image-Problem kriegt wie die Gentechnologie?
Analoui: Jede neue Technologie birgt Risiken. Wir müssen jedoch unterscheiden zwischen realen Gefahren und solchen, die in der Öffentlichkeit zwar wahrgenommen werden, aber nicht real sind. Gemeinsam müssen wir die echten Risiken definieren und Rahmenbedingungen im Bereich der Anwendung erstellen. Besonders wichtig ist es, transparent zu kommunizieren. So müssen wir deutlich sagen, dass uns ein wirklich gutes Verständnis der Gefahren noch fehlt. Persönlich erachte ich sie als gering.

Wie gross schätzen Sie das Marktpotenzial für Nanotechnologie ein?
Analoui: Wir gehen von einem Umsatz von 377 Milliarden Dollar im Jahr 2015 aus, wobei die Life Scien-ce mit 70 Milliarden Dollar am bedeutendsten sein wird.

Seit Jahren fliessen öffentliche wie private Gelder in die Nanoforschung. Einige der amerikanischen Startups sind bereits börsenkotiert. Noch fehlen aber die Gewinne. Droht nach der Internetblase nun die Nanoblase?
Analoui: Es gibt fundamentale Unterschiede. Nanotechnologie ist ein zusammenfassendes Wort für etli-che technische Methoden und für Grundlagenwissen. Zahlreiche Industriezweige profitieren da-von. Allerdings besteht wie einst beim Internet eine Diskrepanz zwischen Versprechen und Realität. Investoren müssen Wunschdenken und echte Wertschöpfung auseinander halten. Das geht nur dann, wenn sie die Metrik der verwendeten Technologie verstehen, in die sie investieren.

Dann kann die Nanoblase abgewendet werden?
Analoui: Die Investoren haben von der Internetblase gelernt. Damals wollte jeder einen möglichst raschen Return-on-Investment. Bei der Nanotechnologie haben die Leute die längere Zeitspanne zwischen Investition und Ertrag akzeptiert. Das Verhalten von Investoren ist jedoch nicht immer rational. Gepaart mit einer höchst komplexen Technologie könnte das zu Problemen führen. Beide Seiten sind daher gefordert, die Technologie einer Firma genau zu verstehen, um deren Wert berechnen zu können. Gleichzeitig rate ich dringend von Firmen ab, bei denen die Forscher das Management stellen.

Mit welchen Problemen sind Nanotechnologie-Investoren konfrontiert?
Analoui: Grundsätzlich fehlen historische Referenzen, um Bewertungen vornehmen zu können. Es ist schwierig, den Wert einer jungen Firma zu eruieren, die ein paar Patente hält, aber noch keine Produkte auf dem Markt hat. Umso wichtiger ist es, die wissenschaftliche Komponente nicht nur zu verstehen, sondern sich darüber im Klaren zu sein, welches Potenzial diese tatsächlich haben. Ein Durchbruch im Nanobereich kann noch so phänomenal sein. Die grosse Herausforderung liegt darin, ein marktaugliches Produkt zu entwickeln.

Wie bedeutsam ist die Nanotechnologie?
Analoui: Es wird die wichtigste Technologie des 21. Jahrhunderts sein, daran zweifle ich nicht.